AÜG-Reform 2016/17 – Der Referentenentwurf ist da! *** mit Update vom 23.02.2016 ***

RA/FAArbR Dr. André Zimmermann LL.M., Partner, Orrick, Herrington & Sutcliffe LLP, Düsseldorf/München

RA/FAArbR Dr. André Zimmermann LL.M., Partner, Orrick, Herrington & Sutcliffe LLP, Düsseldorf/München

Nach langem Warten ist es nun soweit: Der Referentenentwurf zur AÜG-Reform ist da. Er ging gestern, 16. November 2015, in die „Frühkoordinierung“, die Vorabstimmung mit dem Bundeskanzleramt vor der Ressortabstimmung. Der Kabinettsbeschluss soll bis Ende des Jahres vorliegen. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2017 in Kraft treten. Was kommt auf Zeitarbeits- und Einsatzunternehmen zu?

Einführung einer arbeitnehmerbezogenen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten

Wohl wichtigste „Neuerung“ ist die Einführung einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. Bei Einführung des AÜG 1972 betrug die Überlassungshöchstdauer drei Monate, wurde dann schrittweise auf 24 Monate verlängert und fiel Ende 2003 ganz weg.

Die „neue“ Überlassungshöchstdauer soll nach dem Referentenentwurf arbeitnehmerbezogen augestaltet sein: „Derselbe Leiharbeitnehmer darf nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen werden.“ (§ 1 Abs. 1b AÜG-RefE). Einsatzzeiten vor dem 1. Januar 2017 sollen ausdrücklich unberücksichtigt bleiben. Ob der Begriff „vorübergehend“ nach geltendem Recht arbeitnehmer- oder arbeitsplatzbezogen auszulegen ist, ist umstritten. Die neue Überlassungshöchstdauer ist als maximal zulässige Einsatzdauer des einzelnen Leiharbeitnehmers ausgestaltet, also arbeitnehmerbezogen.

Der Verleiher kann demselben Entleiher dann nach Ablauf der 18 Monate einen anderen Leiharbeitnehmer überlassen, ohne dass die vorangegangene Überlassung angerechnet wird. Denselben Leiharbeitnehmer kann er aber auch dann nicht überlassen, wenn der bei demselben Einsatzunternehmen auf nacheinander auf unterschiedlichen Arbeitsplätzen tätig wird. darauf kommt es nach dem Wortlaut nicht an.

Ähnlich wie bis 2003 soll  eine vorherige Überlassung durch denselben oder einen anderen Verleiher vollständig angerechnet werden, wenn zwischen den Einsätze jeweils nicht mehr als sechs Monate Karenz liegen. Interessant ist, dass bei dieser Anrechnung eine Forderung, die im Rahmen der Koalitionsverhandlungen von der SPD aufgestellt wurde, sich dann aber nicht in der finalen Fassung des Koalitionsvertrages findet, wiederbelebt wird.

Wie im Koalitionsvertrag vereinbart soll in Tarifverträgen der Einsatzbranche oder aufgrund solcher Tarifverträge durch Betriebsvereinbarung von der Überlassungshöchstdauer abgewichen werden können. Hier muss laut der Begründung aber eine zeitlich bestimmte Höchstdauer vorgesehen sein, um den vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung sicherzustellen. Das soll aber nur für tarifgebundene Unternehmen gelten: Nicht tarifgebundene Einsatzunternehmen können weder durch Bezugnahmeklauseln noch durch Betriebsvereinbarungen von der Überlassungshöchstdauer abweichen.

Bei Verstoß: Arbeitsverhältnis mit Einsatzunternehmen

Welche zivilrechtlichen Folgen an eine Überschreitung der Höchstdauer anknüpfen, ließ der Koalitionsvertrag offen. Auch hier wurde die von der SPD gewünschte Formulierung („automatisches Arbeitsverhältnis“ mit dem Einsatzunternehmen) in der finalen Fassung gestrichen. Früher (bis 1997) wurde über die vermutete Arbeitsvermittlung und § 13 AÜG a.F. ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert. Das hat das BAG für die geltende Rechtslage bei einer mehr als vorübergehenden Überlassung zu Recht abgelehnt (BAG, Urteil vom 10.12.2013 – 9 AZR 51/13).

In Zukunft soll wieder die Fiktion greifen: Nach §§ 9 Nr. 1b, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG-RefE soll bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer ein Arbeitsverhältnis zustande kommen, wenn der Leiharbeitnehmer dem nicht widerspricht.

Equal Pay spätestens nach neun Monaten

Equal Pay soll, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, nach spätestens neun Monaten gelten. Soweit für das Arbeitsverhältnis ein (Branchen-) Zuschlagstarifvertrag gilt, der eine stufenweise Heranführung des Arbeitsentgelts an Equal Pay vorsieht, besteht der Anspruch auf Equal Pay erst nach einer Einsatzdauer von zwölf Monaten (§ 8 Abs. 4 AÜG-RefE). Der praktische Anwendungsbereich der Regelung dürfte aber eher gering bleiben: Nur sehr wenige Leiharbeitnehmer erreichen eine Einsatzdauer von neun Monaten. Hier helfen heute schon die Branchenzuschläge nach dem jeweiligen Tarifvertrag.

Gesetzliche Fixierung der Abgrenzungskriterien

Systematisch verunglückt sollen im BGB (!) Kriterien zur Unterscheidung von Arbeitnehmerüberlassung und dem Fremdpersonaleinsatz auf Grundlage von Werkverträgen festgelegt werden (§ 611a BGB-RefE). Auch inhaltlich sind Zweifel berechtigt: Hier werden acht Kriterien genannt, die für die Gesamtbetrachtung, ob jemand eingegliedert und weisungsgebunden tätig ist (dann Arbeitnehmerüberlassung), maßgeblich sein sollen. Der Entwurf hält aber auch Kriterien für entscheidend, die von der Rechtsprechung gerade als nicht maßgeblich beurteilt werden (z.B. Nutzung fremder Arbeitsmittel).

Sanktionierung „verdeckter“ Arbeitnehmerüberlassung

Bislang entsprach es der Praxis, im Grenzbereich zwischen Überlassung und Werk-/Dienstvertrag vorsorglich eine Überlassungserlaubnis zu beantragen, um die Folgen illegaler Überlassung abzuwenden. Diese „Vorratserlaubnis“ soll bei Schweinwerk- und -dienstverträgen künftig nicht mehr helfen (vgl. dazu de lege lata die Urteile des LAG Baden Württemberg vom 18.12.2014 – 3 Sa 33/14, dazu den Blogbeitrag von Zimmermann, 03.12.2014 – 4 Sa 41/14, 09.04.2015 – 3 Sa 53/14 und 07.05.2015 – 6 Sa 78/14 und zuletzt den Blogbeitrag von Bissels). Die „verdeckte“ Überlassung über Scheinwerk- und -dienstverträge mit Erlaubnis soll der Überlassung ohne Erlaubnis gleichgestellt werden: In beiden Fällen soll künftig über §§ 9 Nr. 1a, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG-RefE ein Arbeitsverhältnis zum vermeintlichen Werkbesteller/Dienstberechtigten zustande kommen – und der haftet als Arbeitgeber für die Beiträge zur Sozialversicherung und Lohnsteuer.

Nur wenn bei vorhandener Erlaubnis die Überlassung eindeutig als solche kenntlich gemacht und bezeichnet ist, also „offen“ überlassen wird, soll diese Rechtsfolge ausbleiben. Hiermit korrespondiert eine neue Informationspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer (§ 11 AÜG-RefE): Der Verleiher muss den Leiharbeitnehmer vor jeder Überlassung darüber informieren, dass er als Leiharbeitnehmer tätig wird.

Verbot von Streikbrecher-Arbeit

§ 11 Abs. 5 AÜG-RefE sieht vor, dass ein Beschäftigungsverbot für Leiharbeitnehmer besteht, wenn ein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Bislang besteht (nur) ein Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers, auf das er vom Zeitarbeitsunternehmen hinzuweisen ist. Er kann dann frei entscheiden, ob er im bestreikten Betrieb arbeitet. Die aktuellen DGB-Tarifverträge der Zeitarbeit sehen allerdings heute schon vor, dass Leiharbeitnehmer nicht in bestreikten Betrieben eingesetzt werden dürfen(z.B. § 12 Manteltarifvertrag iGZ-DGB-Tarifgemeinschaft).

Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats bei Werkverträgen

Der Entwurf sieht vor, dass sich die allgemeine Unterrichtungspflicht gegenüber dem Betriebsrat auf „den zeitlichen Umfang des Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben dieser Personen“ erstreckt. Zu den dem Betriebsrat vorzulegenden Unterlagen sollen auch die Verträge gehören, die dem Fremdpersonaleinsatz zugrunde liegen.

Schon nach geltendem Recht hat der Betriebsrat aber Auskunftsansprüche beim Einsatz von Fremdpersonal. Er kann nach der Rechtsprechung insbesondere verlangen, dass ihm Werkverträge vorgelegt werden, um zu prüfen, ob tatsächlich ein Werkvertragsverhältnis vorliegt.Gravierender für die Einsatzunternehmen wäre die Schaffung eines „echten“ Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats gewesen, wie es bei der Arbeitnehmerüberlassung besteht und es der Gesetzentwurf des Bundesrates (BR-Drucks. 687/13) als § 99a BetrVG n.F. vorsah.

Betriebsverfassungsrechtliche Schwellenwerte

§ 14 Abs. 2 AÜG-RefE legt fest, dass Leiharbeitnehmer grundsätzlichen bei Schwellenwerten der Mitbestimmung zu berücksichtigen sind. der Koalitionsvertrag hatte sich auf die betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerte beschränkt. Die Erstreckung auf die Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung erscheint folgerichtig, da sich die Rechtsprechung zuletzt deutlich in diese Richtung entwickelt hatte (vgl. zuletzt BAG, Beschluss vom 4. November 2015 – 7 ABR 42/13 – und den Blogbeitrag von Ludwig).

 

***************************   Update vom 23.02.2016   *************************

 

Kanzleramt und Bundesarbeitsministerium habe sich Ende vergangener Woche auf einen geänderten Gesetzentwurf geeinigt, nachdem das Kanzleramt mit dem Diskussionsentwurf nicht einverstanden war. Am 9. März 2016 soll das Kabinett über den Gesetzentwurf beschließen.

Nur in wenigen Punkten wurde der Entwurf aber spürbar entschärft:

Abweichung von Equal Pay: 15 statt 12 Monate bei Branchenzuschlagstarifverträgen

Im Grundsatz gilt nach den Regierungsplänen, dass Leiharbeitnehmer nach neun Monaten Anspruch auf denselben Lohn haben wie Stammbeschäftigte. Der ursprüngliche Entwurf hatte für Branchenzuschlagstarifverträge, die eine stufenweise Angleichung der Vergütung regeln, eine Ausnahme vorgesehen: Sie sollten bis zu zwölf Monate von Equal Pay befreien.

Der geänderte Entwurf verlängert diesen Zeitraum nun auf 15 Monate. Spätestens nach diesem Zeitraum muss dieselbe Entgelthöhe erreicht sein. Die Ausnutzung der längeren Abweichung ist aber nur möglich, wenn die stufenweise Heranführung an das Entgelt der Stammbelegschaft spätestens nach einer Einarbeitungszeit von sechs Wochen beginnt.

Höchstüberlassungsdauer: 24 statt 18 Monate aufgrund Tarifvertrags auch bei nichttarifgebundenen Unternehmen

Grundsätzlich soll die Höchstüberlassungsdauer 18 Monate betragen. (Nur) Für tarifgebundene Unternehmen sah der erste Entwurf eine Ausnahme vor: Sie sollten auf Grundlage von Tarifverträgen Leiharbeitnehmer länger einsetzen dürfen. Das war kritisiert worden.

Der geänderte Entwurf sieht nun vor, dass Leiharbeitnehmer auch in nichttarifgebundenen Unternehmen auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung bis zu 24 Monate eingesetzt werden dürfen. Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages, der die Überlassungshöchstdauer verlängert, können die tarifvertraglichen Regelungen zur Überlassungshöchstdauer durch Betriebsvereinbarung übernommen werden. Sofern der Tarifvertrag eine Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen enthält, können auch nicht tarifgebundene Einsatzunternehmen davon Gebrauch machen, allerdings nur bis zu einer Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten. Für tarifgebundene Einsatzunternehmen gilt diese zeitliche Grenze nicht.

Kriterienkatalog zu Werkverträgen gestrichen

Für große Erleichterung sorgt die Streichung des im Diskussionsentwurf vorgesehenen Kriterienkatalogs zur Abgrenzung von Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag. Dort war vorgesehen, dass in einen neuen § 611a Abs. 2 BGB acht Kriterien aufgenommen werden, anhand derer Werk- und Dienstverträge geprüft werden. Das war auf starke Kritik der Unternehmen und Arbeitgeberverbände gestoßen. Viele Unternehmen hatten befürchtet, dass dadurch Werkverträge in vielen Bereichen unmöglich werden.

Stattdessen soll nun in einem neuen § 611 a BGB der Arbeitnehmerbegriff anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung definiert werden. In der Praxis wird diese Änderung kaum zu anderen Ergebnissen bei der Beurteilung des Arbeitnehmerstatus führen, weil schlicht gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung festgeschrieben wird.

Unverändert insbesondere: Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern bei Streiks

Die übrigen Regelungen des Diskussionsentwurfs bleiben unverändert, vor allem das nach dem Wortlaut umfassende zweifelhafte Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern bei einem Streik.

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