Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Position von Unternehmen gegenüber Scheinbewerbern gestärkt, die allein auf Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) abzielen. Wer sich nur zum Schein bewirbt, verliert dem Grundsatz seinen Schutz nach den EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinien und damit auch nach dem AGG (Rs. C‑423/15).
Schwachstelle im AGG
Der Gesetzgeber hat im Jahr 2006 mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein Gesetz erlassen, welches die Rechte von Bewerbern und Arbeitnehmern gegen Diskriminierung schützen soll. Das Gesetz wurde damals ausdrücklich als ein „lernendes“ Gesetz beschrieben. Eine Lehre, die die Arbeitgeber kurze Zeit später daraus ziehen mussten, war, dass die gut gemeinte Zielrichtung auch missbraucht werden kann. Es entwickelte sich recht schnell der sogenannte „AGG-Hopper“. Hierbei handelt es sich um eine Person, die sich auf kritische Stellenanzeigen bewirbt mit dem einzigen Ziel, Schadensersatz in Höhe von drei Monatsgehältern zu erzielen. Diesem Phänomen wurden die Arbeitgeber nicht Herr, schlicht aufgrund der im Gesetz vorgesehenen quasi umgekehrten Darlegungs- und Beweislast: Der Bewerber muss lediglich Indizien beweisen, die auf eine Diskriminierung hinweisen. Der Arbeitgeber muss die Indizien widerlegen.
Die Argumentation in einigen Fällen, die Bewerbung sei gar nicht ernst gemeint, sondern diene alleine dazu, sich den Schadensersatzanspruch zu verschaffen, konnte selten belegt werden. Eine Hilfe hätte beispielsweise eine einheitliche Datenbank bei den Arbeitsgerichten versprochen, welche jedoch – jedenfalls nicht institutionalisiert – existiert. Dem Versuch einer entsprechenden Datenbank durch eine Kanzlei standen datenschutzrechtliche Bedenken entgegen.
Der Musterfall vor dem EuGH
Ein besonderer Fall des AGG-Hoppings war Nils-Johannes Kratzer, ein Volljurist mittleren Alters. Er bewarb sich bei zahlreichen Kanzleien und Unternehmen, wurde oftmals abgelehnt und klagte dann auf Schadensersatz wegen angeblicher Diskriminierung aufgrund seines Alters und/oder Geschlechts. Ein Verfahren führte er gegen ein Versicherungsunternehmen, bei welchem er sich auf die Stelle eines Trainees beworben und abgelehnt worden war. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Das BAG nutzte sodann die Gelegenheit, die Sache dem EuGH vorzulegen und sinngemäß zu fragen:
- Sind die maßgeblichen Regelungen der Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können?
- Falls die erste Frage bejaht wird: Kann eine Situation, in der der Status als Bewerber nicht im Hinblick auf eine Einstellung und Beschäftigung, sondern zwecks Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen erreicht wurde, nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch bewertet werden?
Unternehmen müssen weiterhin vorsichtig sein
Der EuGH entschied nun – erfreulicherweise – wie folgt:
Verfolgt ein Bewerber alleinig das Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, fällt diese Situation schon nicht unter den Begriff „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne der Richtlinie. Dies kann zudem als Rechtsmissbrauch bewertet werden.
Mit anderen Worten: Scheinbewerber haben keinen Anspruch auf Schadensersatz, selbst wenn Indizien für eine Diskriminierung vorliegen. Ihr Verhalten ist rechtsmissbräuchlich.
Diese Entscheidung ist aus Sicht der Arbeitgeber sehr erfreulich. Allerdings sollte sie nicht als „Freifahrtschein“ verstanden werden. Zum einen muss der Rechtsmissbrauch bzw. die Scheinbewerbung von Arbeitgeberseite bewiesen werden. Zum anderen nimmt die Entscheidung keinen Einfluss auf die wirklichen Diskriminierungsfälle. Eine Gefahr wird z.B. bei der Gestaltung von Stellenanzeigen für Berufseinsteiger immer bleiben.