Das AGG feiert am kommenden Donnerstag seinen 10. Geburtstag. Pünktlich zum Jubiläum hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Evaluierung beauftragt und spricht sich nun auf deren Grundlage für Reformen des Gesetzes aus.
Am 18. August 2006 trat das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ – kurz AGG – in Kraft. Der Gesetzgeber setzte damit verschiedene unionsrechtliche Vorgaben aus insgesamt vier Antidiskriminierungs- und Gleichbehandlungsrichtlinien um. Das Besondere an den Bestimmungen des AGG ist die Ausdehnung eines Gleichbehandlungsgebots und Diskriminierungsschutzes auf (bestimmte) Privatrechtsbeziehungen. Das im Grundgesetz verankerte Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) bindet zunächst nur den Staat im Verhältnis zum Bürger. Gleichwohl war auch vor Einführung des AGG die Ausstrahlungswirkung des Art. 3 GG ins Zivilrecht anerkannt. Neben dem Grundsatz der sog. „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte, wonach grundsätzliche Wertungen des Grundgesetzes in unbestimmte Rechtsbegriffe „gelesen“ werden (z.B. „Treu und Glauben“, vgl. § 242 BGB), ist jedoch insbesondere im Arbeitsrecht ein „allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz“ inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkannt und wird in verschiedenen einfachgesetzlichen Bestimmungen erwähnt (z.B. § 75 BetrVG). Das AGG ging hier jedoch noch einen Schritt weiter und erstreckte Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsschutz auch auf (Massen-)Rechtsgeschäfte des täglichen Rechtsverkehrs (z.B. der Einlass in eine Bar oder Diskothek).
Aus juristischer Sicht gewann das AGG besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Diskriminierung von Kandidaten im Bewerbungsverfahren. Auch wenn die gerade in diesem Zusammenhang befürchtete Klageflut wohl ausgeblieben ist, fanden doch zahlreiche Fälle ihren Weg durch die Instanzen. Inzwischen kann man hier auf eine ganze Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen zurückblicken. Genau auf diesem Feld tummelten sich dann leider auch sog. „AGG-Hopper“, vornehmlich Rechtsanwälte, die Stellenanzeigen auf vermeintlich diskriminierenden Inhalt hin durchsuchten und sich dann mit der Absicht, eine Entschädigung zu verlangen, auf die jeweilige Stelle bewarben.
Gerade im Bereich der Stellenanzeigen ist es aufgrund des Umstands, dass der vermeintliche Bewerber für einen Entschädigungsanspruch lediglich Indizien, die auf eine Diskriminierung hindeuten („Bäckereifachverkäuferin“, „Junges dynamische Team“) darlegen muss, für die Hopper recht einfach: Sie schauen sich die meist online veröffentlichten Stellenanzeigen an und können jene mit vermeintlich diskriminierenden Inhalt dann für eine „Bewerbung“ nutzen.
Evaluation der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Die Evaluation der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kommt nun zu dem Ergebnis, dass nach 10 Jahren AGG weitere Schutzlücken bestehen, die es nun durch den Gesetzgeber zu schließen gelte. Unter anderem spricht sie sich für eine Verlängerung der Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGG aus. Die Beratungspraxis zeige, dass an den Zwei-Monatsfristen des AGG viele Betroffene scheiterten. Diese Fristen seien daher auf sechs Monate zu verlängern.
Zum anderen sollten auch Verbände die Möglichkeit erhalten, stellvertretend für (potentiell) Betroffene zu klagen. Daneben erfasse das AGG keine der klassischen Leiharbeit vergleichbare Formen von Fremdpersonaleinsatz, d.h. gelte insbesondere nicht bei den berüchtigten Werkverträgen. Darüber hinaus sollten auch Dritte, wie etwa vom Arbeitgeber eingeschaltete Personalvermittler, neben dem Arbeitgeber für diskriminierende Bewerbungsverfahren haften.
Handlungsbedarf des Gesetzgebers zweifelhaft
Die auf Basis der Evaluierung erhobenen Forderungen und ihre Begründung sind bemerkenswert, aus juristischer Sicht aber teilweise fragwürdig. Schaltet der Arbeitgeber beispielsweise einen Personalvermittler ein, der ein diskriminierendes Bewerbungsverfahren durchführt, stehen dem potentiellen Kandidaten gleichwohl Ansprüche gegen den Arbeitgeber zu. Diesem steht es dann im Innenverhältnis frei, seinerseits Ersatzansprüche gegen den Vermittler geltend zu machen. Inwieweit Bewerbern hier damit geholfen ist, auch den Vermittler für Entschädigungsansprüche heranziehen zu können – wo doch ein Verschulden gerade nicht Tatbestandsvoraussetzung für einen Entschädigungsanspruch ist – ist für mich nicht nachvollziehbar. Ein weiterer Schuldner nützt Gläubigern zwar, um das allgemeine Insolvenzrisiko zu verringern, im Hinblick auf die geltend gemachten Summen ist diese Angst aber lebensfremd. Daneben entspricht dies aber auch nicht den Zielen des AGG: Potentielle Arbeitnehmer sollen nicht vor Diskriminierung vor jedermann bewahrt werden, sondern nur davor, dass der potentielle Arbeitgeber sie im Bewerbungsverfahren benachteiligt. Wen er hierfür einsetzt, ist aus Sicht des Bewerbers wenig relevant.
Die Länge der Frist zur Geltendmachung von Entschädigungs- und Schadenersatzansprüchen ist letztlich eine gesetzgeberische Entscheidung. Zu beachten ist allerdings, dass derartigen Ausschlussfristen auch eine Befriedungsfunktion zukommt und verhindert werden soll, dass sich Rechtssubjekte über das Bestehen bestimmter Ansprüche jahrelang im Unklaren sind.
Brauchen wir ein Verbandsklagerecht?
Die Forderung nach einem Verbandsklagerecht ist allerdings durchaus kritisch zu sehen. Eine solche Art der gesetzlichen Prozessstandschaft ist dem deutschen Recht zwar nicht unbekannt und existiert z.B. im Natur- und Tierschutzrecht, wo entsprechenden Zweckverbänden eine Klagebefugnis im Verwaltungsverfahren eingeräumt wird. Auch im Zivilrecht gibt es Verbandsklagerechte der Verbraucherzentralen im Bereich der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (eingeführt durch das Unterlassungsklagengesetz). Hier können Verbraucherschutzverbände Klagen wegen unlauteren AGB erheben. Ein solches Recht auch im AGG zu installieren ist mit den o.g. Ausnahmen jedoch kaum vergleichbar, weil dort jeweils aufgrund kollektiven Bezugs ein Bedürfnis für ein Klagerecht nicht unmittelbar betroffener Verbände besteht, während eine Diskriminierung stets im Einzelfall und unter Ansehung der jeweiligen Person erfolgt. Auch könnte ein Verbandsklagrecht dazu führen, dass künftig Verbände anstelle von AGG-Hoppern Stellenanzeigen durchsuchen und dann jeweils die inserierenden Unternehmen verklagen. Ob dies dann dem Einzelnen tatsächlich hilft, ist äußerst fraglich. Jedenfalls verkomplizierte dies den Ausschreibungsprozess für die Arbeitgeber, die hierdurch gehalten werden, Stellenbeschreibungen möglichst allgemein und neutral zu formulieren, was im Ergebnis wiederum dazu führt, dass die passgenaue Suche nach Bewerbern weiter erschwert wird.
Auch zum Thema (Schein-)Werkverträge sind die Forderungen der Antidiskriminierungsstelle rechtlich kaum nachvollziehbar: Dass das AGG ausdrücklich Anwendung im Arbeitsverhältnis findet, ist der besonderen Nähe und dem Abhängigkeitsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien geschuldet. „Echte“ Werkverträge weisen diese Elemente aber nicht auf. Bei Scheinwerkverträgen handelt es sich demgegenüber um illegale Arbeitnehmerüberlassung, die im Ergebnis u.a. zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses und damit zu einer Anwendbarkeit des AGG führt. Schutzlücken sind mithin auch hier nicht zu erkennen.
Kurz zusammengefasst sind die Mehrzahl der Forderungen der Antidiskriminierungsstelle in juristischer Hinsicht kaum nachvollziehbar und haben eher den Charakter politischer Statements. Deswegen: Happy Birthday AGG!