Unbillige Weisungen im Arbeitsrecht – Umschwung der Rechtsprechung?

RA Dr. Sebastian Schröder, Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare, Essen

RA Dr. Sebastian Schröder, Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare, Essen

Hat der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nicht (unnötigerweise) beschränkt, kann er jedes Arbeitsverhältnis überraschend flexibel gestalten. Dieser Spielraum hat jedoch Grenzen, wenn sich Weisungen als nichtig oder unbillig erweisen. Ein aktuelles Verfahren könnte die Rechte der Arbeitnehmer weiter stärken. Das LAG Hamm entschied, dass ein Arbeitnehmer auch einer nur unbilligen Weisung des Arbeitgebers nicht bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung folgen muss. Nach der Rechtsprechung des BAG gilt bislang das Gegenteil. Die Entscheidung, die in Erfurt noch zu überprüfen ist, geht in die richtige Richtung.

Wann genau ist eine Weisung „unbillig“? Und: Muss der Arbeitnehmer eine unbillige Weisung befolgen? Die Billigkeitskontrolle bereitet letztlich den Nährboden für viele alltägliche Streitigkeiten vor den Arbeitsgerichten und macht das Weisungsrecht zum Dauerbrenner. Ein Überblick zeigt, warum das so ist.

Wie weit reicht das Weisungsrecht des Arbeitgebers?

Das Gesetz gibt auf diese Frage eine – zunächst – simple Antwort: Nach § 106 Gewerbeordnung (GewO) kann er Inhalt, Ort und Zeit (gemeint ist die Lage der Arbeitszeit) der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Was bedeutet das für Arbeitgeber und Arbeitnehmer? Das lässt sich anschaulich an folgenden Beispielen erläutern:

Ort der Arbeitsleistung

Legt ein Arbeitsvertrag ohne Versetzungsvorbehalt abschließend fest, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ausschließlich in einer bestimmten Filiale in einer bestimmten Stadt zu erbringen hat, ist das Versetzungsrecht beschränkt. Versetzungen in andere Filialen des Unternehmens sind ausgeschlossen. Eine entsprechende Weisung verstieße gegen den Arbeitsvertrag. Sie ist schlicht nichtig und muss nicht befolgt werden.

Wurde die Festlegung des Arbeitsortes jedoch mit einem üblichen Versetzungsvorbehalt kombiniert und verfügt das Unternehmen über weitere Filialen im gesamten Bundesgebiet, ist eine Versetzung auch in andere Städte zulässig. Das örtliche Versetzungsrecht gilt grundsätzlich bundesweit! Arbeitnehmer, die bereits seit vielen Jahren am selben Standort eines bundesweit tätigen Unternehmens eingesetzt werden, wähnen sich oft in vermeintlicher Sicherheit, was eine Versetzungsmöglichkeit angeht. Hier ist die Rechtsprechung zugunsten der Arbeitgeber jedoch sehr großzügig. Auch wenn der Arbeitgeber von seinem Versetzungsrecht über Jahre hinweg keinen Gebrauch gemacht hat, bedeutet das nicht unbedingt, dass er diesbezüglich eingeschränkt ist.

Weisungen zur Lage der Arbeitszeit

Bei der Lage der Arbeitszeit gilt im Grundsatz nichts Anderes. Sofern im Arbeitsvertrag keine Festlegung erfolgt, ist das Weisungsrecht sehr weitgehend. Der Arbeitnehmer muss in der Regel immer damit rechnen, dass er von der Tag- in die Nachtschicht versetzt wird oder seine Arbeit eine Stunde früher oder später aufnehmen muss.

Einschränkung „billiges Ermessen“

Auch wenn sich der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag weitgehende Spielräume für sein Weisungsrecht sichern kann, gibt es doch eine entscheidende Beschränkung: In der Praxis darf er Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nur nach billigem Ermessen näher konkretisieren. Die schier grenzenlose Reichweite des Weisungsrechts wird durch die „Billigkeitskontrolle“ kompensiert.

Die Arbeitsgerichte prüfen hierbei, ob die Interessen des Arbeitgebers an der Befolgung der Weisung und die Interessen des Arbeitnehmers miteinander abgewogen wurden. Hierbei spielen in der Praxis unter anderem die Vermögens- und Einkommensverhältnisse oder familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers eine Rolle. Im Kern gilt freilich, dass nur eklatant willkürliche oder rechtsmissbräuchliche Weisungen unbillig sein werden.

Ein konkretes Beispiel: Ein Arbeitnehmer – ledig, kinderlos – ist in einer Kölner Filiale eines bundesweit tätigen Einzelhandelsunternehmens als Metzger beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag enthält eine zulässige Versetzungsmöglichkeit. Er wird (mit einer angemessenen Ankündigungsfrist) angewiesen, seine Tätigkeit künftig in einer Hamburger Filiale zu erbringen. Die Weisung ist im Ergebnis wirksam und billig. Der Mitarbeiter wird seinen Wohnort verlegen und der Weisung nachkommen müssen.

Anders sieht es aus, wenn er verheiratet und seiner schwangeren Frau sowie den drei schulpflichtigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist. Dann dürfte die Weisung in einem ersten Schritt von der arbeitsvertraglichen Regelung zwar gedeckt sein. Jedoch wird die Versetzung nicht mehr billigem Ermessen entsprechen.

Müssen nichtige und unbillige Weisungen befolgt werden?

Was ist dem Arbeitnehmer zu raten? Klar ist bislang, dass Arbeitnehmer nichtige Weisungen nicht befolgen müssen. Eine Weisung ist nichtig, wenn sie gegen gesetzliche Vorschriften oder Regelungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder im Arbeitsvertrag verstößt. Die Anweisung an einen Fernfahrer etwa, die gesetzlich zulässige Höchstlenkzeit zu überschreiten, wäre nichtig.

Anders sieht es nach bisheriger Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 249/11) bei unbilligen Weisungen aus. Danach soll ein Arbeitnehmer generell unbillige Weisungen solange befolgen, bis ihm die Unbilligkeit der Weisung rechtskräftig bestätigt wurde. Das kann bekanntlich mitunter mehrere Monate dauern. Lästigen Arbeitnehmern erteilt der Arbeitgeber deswegen nicht selten eine zwar unbillige, aber nicht aus anderen Gründen unwirksame Weisung.

Befolgt der Arbeitnehmer die unbillige Weisung nicht, wird er abgemahnt und erhält sodann eine Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung. Folgt man dem BAG, müsste der Kölner Familienvater im Beispiel oben den neu zugewiesenen Arbeitsplatz zunächst antreten und die Billigkeit der Weisung gerichtlich klären lassen. Naheliegender ist, dass er die Arbeitsaufnahme in Hamburg verweigern wird, auch wenn er damit eine Abmahnung und/oder direkt die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses riskiert.

Praxishinweis

Der Beispielsfall mach deutlich, dass die juristischen Spitzfindigkeiten der Unterscheidung zwischen nichtigen Weisungen einerseits – die nicht befolgt werden müssen – und lediglich unbilligen Weisungen andererseits – die vorläufig bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung befolgt werden sollen – für erhebliche Unsicherheiten im gewöhnlichen Arbeits(rechts)alltag führen.

Diese im Ergebnis nicht nachvollziehbare Differenzierung verlagert ein nicht überschaubares Risiko auf den Arbeitnehmer. Für ihn ist es letztlich irrelevant, ob er sich einer nichtigen oder lediglich unbilligen Weisung ausgesetzt sieht. Befolgt er die Weisung nicht, muss er sich ohnehin gegen eine Abmahnung oder Kündigung wehren. In einem anschließenden Rechtsstreit wäre dann auch die Wirksamkeit bzw. Billigkeit der die Sanktion auslösenden Weisung zu überprüfen.

Im Ergebnis muss für die Verbindlichkeit von nichtigen und unbilligen Weisung somit das Gleiche gelten: Sie sind zunächst unverbindlich. Schließlich ist es der Arbeitgeber, der von seinem „Königsrecht“ Gebrauch macht. Ist er sich hinsichtlich der Wirksamkeit oder Billigkeit seiner Weisung unsicher, kann er gegebenenfalls eine vorsorgliche Änderungskündigung aussprechen. Sein Weisungsrecht, sein Risiko.

Ausblick

Das sieht das LAG Hamm nun ähnlich problematisch und begehrt mit ausführlichen Argumenten gegen das BAG auf. In seinem Urteil vom 17. März 2016 (17 Sa 1660/15 , vgl. dazu auch den Kommentar von Groß) hat das LAG entschieden, dass der Arbeitnehmer eine lediglich unbillige Weisung nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Billigkeit der Weisung folgen muss. Eine vorläufige Verbindlichkeit unbilliger Weisungen sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Das ist überzeugend. Gegen die Entscheidung wurde Revision (Az.: 10 AZR 330/16) eingelegt. Das BAG wird sich dem Thema noch einmal annehmen müssen.

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