Neues zur Ad-hoc-Publizität nach der Marktmissbrauchsverordnung

RA Dr. Marcus C. Funke, LL.M. (Chicago), RA Dr. Dirk Kocher, LL.M., Partner, Latham & Watkins LLP

RA Dr. Marcus C. Funke, LL.M. (Chicago), RA Dr. Dirk Kocher, LL.M., Partner, Latham & Watkins LLP

Mit der am 3. Juli 2016 nach mehr als zweijähriger Vorlauf- und Vorbereitungszeit für Emittenten in Kraft getretenen Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation oder „MAR“) ist in Deutschland das bisherige Regime der Ad-hoc-Publizität nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz („WpHG“) abgelöst worden. Insbesondere mit Blick auf praktische Fragen der Ad-hoc-Publizität ist die Rechtslage damit nicht einfacher geworden. Im Folgend wird ein Überblick gegeben, was sich im Detail geändert hat. Insbesondere wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen die Veröffentlichung einer Insiderinformation verschoben werden kann.

Artikel 17 MAR als neue Rechtsgrundlage ist Teil des unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts und wird auf europäischer Ebene durch eine Durchführungsverordnung und eine Delegierte Verordnung sowie Leitlinien der European Securities Markets Authority („ESMA“) weiter konkretisiert. Daneben gelten der durch das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz (1. FiMaNoG) geänderte § 15 WpHG sowie die bisherige Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisordnung („WpAIV“) weiter, wobei die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen in der Anwendung vorgehen. Während sich ungeachtet dieses komplexeren Zusammenspiels mehrerer Regelungsebenen für Emittenten von Finanzinstrumenten im regulierten Markt abseits einiger in ihren Auswirkungen allerdings wichtiger Details nichts allzu Grundlegendes geändert hat, sind Emittenten von Finanzinstrumenten, die an einem multilateralen Handelssystem (Multilateral Trading Facility oder „MTF“) gehandelt werden, erstmals von der Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität betroffen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Regelungen in Artikel 17 MAR ist allerdings, dass der Emittent der Einbeziehung in den MTF Handel ausdrücklich zugestimmt hat, indem er selbst oder durch einen Dritten einen entsprechenden Antrag gestellt oder einer Einbeziehung ggf. auch nachträglich zugestimmt hat.

Aber auch für Emittenten von Finanzinstrumenten im regulierten Markt steckt der Teufel im Detail, denn in einigen Punkten unterscheidet sich das neue Regime von den Vorgängernormen und der bisherigen Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Zumindest die gesetzliche Definition der Insiderinformation hat sich nicht geändert: Nach Artikel 7 MAR sind Insiderinformationen nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich beeinflussen könnten. Es ist anerkannt, dass der Begriff der „präzisen“ Information dem der „konkreten“ Information in § 15 WpHG a.F. inhaltlich entspricht. Auch die Marktmissbrauchsverordnung verpflichtet Emittenten von Finanzinstrumenten, sie unmittelbar betreffende Insiderinformationen „so schnell wie möglich“ zu veröffentlichen. Der sprachliche Unterschied gegenüber der Verpflichtung zur „unverzüglichen“ Veröffentlichung von Insiderinformation nach § 15 WpHG hat insoweit keine Bedeutung, „so schnell wie möglich“ und „unverzüglich“ (d.h. ohne schuldhaftes Zögern) werden anerkanntermaßen und nach Ansicht der BaFin synonym verwendet.

Auch unter Geltung der Marktmissbrauchsverordnung können Emittenten die Veröffentlichung einer Insiderinformation allerdings unter bestimmten Umständen und auf eigene Verantwortung aufschieben, wenn die unverzügliche Veröffentlichung die berechtigten Interessen des Emittenten beeinträchtigen würde, der Aufschub die Öffentlichkeit nicht irreführt und der Emittent die Vertraulichkeit für die Dauer des Aufschubs gewährleisten kann. Diese Frage ist für die Unternehmenspraxis von besonderer Bedeutung, da gerade bei so genannten gestreckten Sachverhalten oft schon verhältnismäßig früh vom Vorliegen einer Insiderinformation ausgegangen wird. Die aus der Vergangenheit bekannten und in § 6 WpAIV aufgeführten Regelbeispiele haben auch nach den aktuellen Leitlinien der ESMA Bestand, d.h. laufende Verhandlungen und die ausstehende Zustimmung eines weiteren Organs des Emittenten (typischerweise der Aufsichtsrat) berechtigen Emittenten von Finanzinstrumenten grundsätzlich dazu, die Veröffentlichung einer Insiderinformation aufzuschieben (vorbehaltlich der noch zu erläuternden Einschränkungen). Eine Irreführung der Öffentlichkeit durch den Aufschub der Veröffentlichung wäre dann zu befürchten, wenn die fragliche Insiderinformation in Widerspruch zu Markterwartungen steht, die der Emittent zuvor in zurechenbarer Art und Weise begründet hat, beispielsweise durch ein Dementi von Gerüchten, obwohl diese sich rückblickend als zutreffend darstellen, oder durch Prognosen (insbesondere im Rahmen der Guidance). Während dieses Kriterium bereits unter Geltung des früheren Rechts einem Aufschub der Ad-hoc-Publizität entgegenstand, war die Praxis insoweit überwiegend großzügig; angesichts der Leitlinien der ESMA ist allerdings für die Zukunft unter Geltung der Marktmissbrauchsverordnung mit einer restriktiveren Handhabung zu rechnen, so dass noch größere Sensibilität bei der Kapitalmarktkommunikation notwendig werden wird.

Die Vertraulichkeit ist nicht mehr gewährleistet, wenn im Markt hinreichend präzise Gerüchte kursieren, die mehr als bloße Spekulationen darstellen und erkennen lassen, dass es ein Leck gegeben haben muss und die Vertraulichkeit nicht gewahrt werden konnte. Entgegen der früheren Verwaltungspraxis der BaFin zu § 15 WpHG kommt es in einem solchen Fall nicht mehr darauf an, ob das Leck in der Sphäre des Emittenten liegt oder nicht. Wenn durch hinreichend präzise Gerüchte im Markt klar ist, dass die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist, entfällt das berechtigte Interesse des Emittenten am Aufschub der Veröffentlichung der Insiderinformation und die Veröffentlichung muss unverzüglich erfolgen. Diese Änderung der Rechtslage durch die Marktmissbrauchsverordnung dürfte zu den für die Praxis wichtigsten gehören und unterstreicht einerseits das gesteigerte Bedürfnis, die Vertraulichkeit etwa von wesentlichen Unternehmenstransaktionen bis zum letzten Augenblick zu wahren, und andererseits die Notwendigkeit, sich darauf vorzubereiten, unter Umständen auch schon zu einem früheren Zeitpunkt als gewünscht eine Insiderinformation veröffentlichen zu müssen. Eine Fortführung der früheren No Comment Policy wird damit in Zukunft nicht mehr möglich sein.

Wie im früheren Recht ist auch nach der Marktmissbrauchsverordnung unter den genannten Voraussetzungen ein Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen zulässig, wenngleich erste Erkenntnisse andeuten, dass die Anforderungen strikter werden. Während § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV insoweit vermeiden wollte, dass der Kapitalmarkt durch zwar kursrelevante, aber mangels finaler Entscheidung nicht belastbare Informationen beeinträchtigt wird, hatte die BaFin in ihrer Verwaltungspraxis ergänzend auf den Schutz der aktienrechtlichen Kompetenzordnung abgestellt: Der Aufsichtsrat sollte durch eine Vorabveröffentlichung in seiner Entscheidungsfreiheit nicht um den Preis einer möglichen Führungskrise eingeschränkt werden, wenn er eine vom Vorstand bereits im Wege der Ad-hoc Mitteilung veröffentliche Maßnahme letztlich doch noch ablehnt.

Für das neue Recht der Marktmissbrauchsverordnung ist auch nach den Leitlinien der ESMA anerkannt, dass ein berechtigtes Interesse am Aufschub besteht, wenn die unverzügliche Veröffentlichung der Information vor einer Zustimmung des Aufsichtsrats die zutreffende Bewertung der Information durch die Öffentlichkeit gefährden würde und der Emittent sicherstellt, dass die Entscheidung über die Zustimmung sobald wie möglich getroffen wird. In einer früheren Entwurfsfassung der Leitlinien hatte die ESMA zunächst die Ansicht vertreten, dass ein Aufschub der Veröffentlichung der Insiderinformation nur dann in Betracht komme, wenn die Entscheidung des Aufsichtsrats voraussichtlich von der des Vorstands abweichen werde; das insoweit notwendige Wahrscheinlichkeitsurteil wurde auf die historische Praxis in vergleichbaren Angelegenheiten gestützt, so dass in aller Regel keine Basis für einen Aufschub vorgelegen hätte. In Reaktion auf heftige Kritik aus der Praxis wurden die Voraussetzungen für einen Aufschub insoweit abgeschwächt, als eine unverzügliche Veröffentlichung vor Zustimmung des Aufsichtsrats die korrekte Bewertung der Information gefährden würde und die Zustimmungsentscheidung so rasch wie möglich erfolgt. Dass die Beschlussfassung noch von der Zustimmung eines weiteren Organs abhängt, ist nach den Leitlinien der ESMA für sich genommen kein hinreichender Grund, der den Aufschub der Veröffentlichung rechtfertigen könnte. Welche Anforderungen dabei an den Grad der Wahrscheinlichkeit für die Erteilung oder Ablehnung oder Zustimmung durch den Aufsichtsrat zu stellen sind, wird bis zur Herausbildung einer stabilen Verwaltungspraxis mit Unsicherheiten behaftet bleiben. Im Vergleich mit der früheren Rechtslage und Verwaltungspraxis der BaFin dürfte sich eine Verschärfung dadurch ergeben, dass nach Auffassung der ESMA bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen die sofortige Veröffentlichung von Insiderinformationen auch vor Zustimmung des Aufsichtsrats den Regelfall bilden soll, d.h. das Regel-Ausnahme-Verhältnis kehrt sich um und der Begründungs- und Informationsaufwand für die Darlegung von Zweifeln oder der Möglichkeit der Ablehnung der Zustimmung durch den Aufsichtsrat dürfte zunehmen. Konkrete Anhaltspunkte könnten insoweit etwa vorliegen, wenn im Zuge einer Vorabinformation über eine geplante Maßnahme kritische Nachfragen oder Änderungswünsche aus dem Aufsichtsrat geäußert wurden und der Aufsichtsrat sich eine Entscheidung erst auf Grundlage eines geänderten Konzepts vorbehalten hat. Aber auch insoweit wird erst die Herausbildung einer Verwaltungspraxis Emittenten zu einem höheren Maß an Vorhersehbarkeit verhelfen.

Hat ein Emittent von Finanzinstrumente die Veröffentlichung einer Insiderinformation aufgeschoben, muss er die zuständige Aufsichtsbehörde unmittelbar nach der Veröffentlichung über den vorangegangenen Aufschub informieren und das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erläutern.

Redaktionelle Hinweise:

Vgl. zu diesem Thema auch Kumpan, Ad-hoc-Publizität nach der Marktmissbrauchsverordnung, DB 2016 S. 2039

Diskutieren Sie mit uns zum Thema Ad-hoc-Publizität beim DER BETRIEB Abendgespräch am 15.11.2016 in Düsseldorf. Zu den aktuellen Änderungen wird Christian Dier, Referatsleiter, BaFin, vortragen. Die Veranstaltung ist kostenlos; weitere Informationen finden Sie hier.

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