Vorinsolvenzliche Sanierung – Der Entwurf der EU-Kommission steht!

RA Daniel F. Fritz, RA Daniel F. Fritz, hww Hermann Wienberg Wilhelm, Sprecher der Europagruppe der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein

RA Daniel F. Fritz, Sprecher der Europagruppe der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein

Am 22.11.2016 hat die Europäische Kommission ihren Richtlinienvorschlag COM(2016) 723 zum präventiven Restrukturierungsrahmen, zur zweiten Chance und zu Maßnahmen zur stärkeren Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren vorgestellt. Die Frage lautet daher nicht mehr, ob, sondern nur wann in Deutschland ein gesetzliches Werkzeug zur vorinsolvenzlichen Sanierung eingeführt und wie es aussehen wird. Dazu seien die Eckpunkte des Entwurfes beleuchtet.

Welcher Zeitplan ist zu erwarten?

Damit aus dem Entwurf eine verbindliche Richtlinie wird, sind Europäisches Parlament und Rat zu beteiligen, was voraussichtlich noch zwei Jahre dauern wird. Der Entwurf lässt den Mitgliedstaaten dann noch zwei Jahre zur Umsetzung. Indes haben schon viele Staaten den Vorläufer der Richtlinie, die „Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014 (C(2014) 1500 final) für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen“ zum Anlass genommen, vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren einzuführen bzw. Reformvorhaben angestoßen. Aktuell steht für das Bundesjustizministerium  (BMJV) noch die Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen („ESUG“) im Vordergrund. Es würde aber nicht überraschen, wenn das BMJV die Erkenntnisse aus der Evaluation und die Vorgaben der Richtlinie aufgreifen und schon vor Inkrafttreten der Richtlinie einen Entwurf präsentieren würde. So hat das BMJV schon die Einführung eines europaweiten Konzerninsolvenzrechts durch einen deutschen Entwurf für ein hiesiges Konzerninsolvenzrecht beeinflusst. Es ist daher damit zu rechnen, dass wir in den nächsten drei Jahren mit einer deutschen Variante eines vorinsolvenzlichen Verfahrens rechnen können; zumindest ein deutscher Entwurf zur Umsetzung ist zu erwarten.

Zielsetzung

Der Entwurf ist Teil des viel größeren Projektes der Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechte. Wie der Autor schon in seinem Beitrag im Rechtsboard vom 24.03.2016 berichtete, wurde im Green Paper zur Kapitalmarktunion (http://hbfm.link/363) eine weitreichende Harmonisierung der Insolvenzsysteme gefordert. Deren Divergenz sei ein Hindernis für den Kapitalmarkt.

Was umfasst der präventive Restrukturierungsrahmen?

Im Kern will der präventive Restrukturierungsrahmen dafür Sorge tragen, dass bei weiterhin autonomem und unterschiedlichem materiellem Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten zumindest auf der Ebene der vorinsolvenzlichen Verfahren in der EU ein weitgehend angeglichenes System geschaffen wird. Dies unterscheidet sich wesentlich von einem klassischen Insolvenz- und auch von einem „modernen“ ESUG-Verfahren. Unterschiede sind:

  • Ein vorinsolvenzliches Verfahren findet nicht in, sondern vor einer Insolvenz bzw. zum Zwecke deren Abwendung statt
  • das Verfahren umfasst nicht alle Gläubiger, sondern nur solche, in deren Rechte durch den Restrukturierungsplan eingegriffen werden soll
  • durch den Restrukturierungsplan wird lediglich die Passiv-Seite der Bilanz neu gestaltet („Balance Sheet Restructuring“)
  • eine operative Restrukturierung findet – jedenfalls mittels dieses Verfahrens – nicht satt.

Verfahrensvoraussetzung

Voraussetzung des Verfahrens ist die „Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz“. Dies entspricht nach deutschem Insolvenzrecht dem Zeitpunkt, in dem bei der Überschuldungsprüfung die Fortbestehensprognose nicht mehr überwiegend wahrscheinlich ist. Antragsberechtigt ist der Schuldner; ein Gläubiger nur mit Zustimmung des Schuldners. Der Schuldner soll sich in Eigenverwaltung sanieren. Die Bestellung eines Sanierungsexperten durch ein Gericht ist nicht zwangsläufig. Ein solcher soll bestellt werden, wenn ein Moratorium verhängt wird oder der Plan die Überstimmung von Gläubigergruppen vorsieht („Cross-class Cram-down“).

Moratorium und Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Das Moratorium soll grundsätzlich max. vier Monate umfassen und die Erarbeitung des Restrukturierungsplanes unterstützen; es kann einzelne oder alle Gläubiger umfassen. Es kann in berechtigten Fällen auf bis zu zwölf Monate ausgedehnt werden, wobei sich auch Regelungen finden, die verhindern wollen, dass ein Moratorium zum Schaden der Gläubiger führt. Das Spannende ist aber, dass in dem Fall, in dem während des Moratoriums ein Insolvenzgrund eintritt, die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt wird. Auch ein Gläubigerantrag ist in dieser Phase nicht statthaft. Den Mitgliedstaaten soll lediglich die Option eingeräumt werden, im Falle des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit von diesem Prinzip abzuweichen. Damit kann der Antragsgrund der Überschuldung, der durchaus in der Kritik steht, ausgehebelt werden. Da die Kommission auch die Harmonisierung der Insolvenzgründe in ihrem Aufgabenheft stehen hat, handelt es sich hier nicht um eine sprachliche Ungenauigkeit. Eine konsequente Reaktion wäre es für Deutschland, die Überschuldung künftig nur noch als fakultativen Antragsgrund zu führen.

Restrukturierungsplan als Kernstück

Kernstück der Sanierung ist der Restrukturierungsplan. Er kennt wie der Insolvenzplan Gläubigergruppen, deren Zusammensetzung durch das Gericht anlässlich der notwendigen gerichtlichen Bestätigung überprüft wird. Anteilsinhaber bilden eine eigene Klasse. Das Quorum in den Klassen soll nicht mehr als 75% betragen. Der Plan benötigt immer gerichtlicher Zustimmung, wenn in Gläubigerrechte eingegriffen oder dem Unternehmen eine neue Finanzierung zur Verfügung gestellt wird. Messlatte für die gerichtliche Bestätigung ist zunächst nur das Liquidationsszenario. Im Vergleich zu diesem darf niemand schlechter gestellt werden.

Soweit sich nicht in allen Klassen eine Mehrheit findet, kann der Plan auch durch die Mehrheit der Gruppen angenommen werden. Hierzu muss u.a. sichergestellt werden, dass die Gläubiger bei Heranziehung des Unternehmenswertes, der durch gerichtlich zu bestellende Experten zu ermitteln ist, nicht schlechter gestellt werden. Der Plan bindet nur einbezogene Gläubiger. Der Entwurf sieht zwar Rechtsmittel gegen die Planbestätigung vor, indes ohne Suspensiveffekt.

Schutz von „Fresh Money“

Flankierend soll „Fresh Money“ vor Anfechtung geschützt sein. Ein höchstrichterliches Sanierungsprivileg ist zwar schon gegeben, da dies aber – in der Rückschau – an oft schwer nachvollziehbare Bedingungen geknüpft wird („hindsight bias“), will der Entwurf de lege ferenda für konkrete Rechtssicherheit der Beteiligten sorgen. Das „neue“ Geld soll zudem vor den regulären, ungesicherten Gläubigern rangieren; diese Senior-Position darf nur nicht betrügerisch erschlichen sein.

Keine Gläubigerschädigung sollen zudem folgende jeweils angemessene Zahlungen bzw. Transaktionen darstellen:

  • Kosten für die Verhandlung, das Aufsetzen, die Bestätigung und die Implementierung des Restrukturierungsplanes;
  • Kosten professioneller Beratung zu allen Aspekten des Restrukturierungsplanes;
  • Mitarbeitergehälter und Löhne für erbrachte Arbeitsleistungen;
  • Zahlungen und Ausgaben im üblichen Geschäftslauf;

Transaktionen bezüglich „neuen“ Geldes und andere außerordentliche Transaktionen, soweit im engen Zusammenhang mit dem Restrukturierungsplan, ggf. mit dem Erfordernis der Zustimmung eines Gerichtes oder Sanierungsexperten.

Fazit

Der neue Restrukturierungsrahmen nach dem RL-Entwurf kann und will eine umfassende Insolvenz mit ihren Gestaltungsmöglichkeiten nicht ersetzen. Dabei kommt er aber mittels optionalem Moratorium deutlich robuster daher als sein Vorbild, das Englische Scheme of Arrangement. In einfachen Fällen, bei denen wenig aktiver Widerstand zu erwarten ist, kann das Verfahren durchaus, wie aus berufenem Mund schon gefordert, „still, schlicht und schnell“ ablaufen. Als Mittelweg können Akkordstörer ggf. durch einen gerichtlich ebenfalls bestellbaren Mediator eingefangen werden. In der robusten Variante kann aber auch in einem zeitlich begrenzten Rahmen unterstützt durch Moratorium und Haftungsprivilegien geschützt und durch eine Art Sachwalter kontrolliert, saniert werden. Die Kommission ist damit auf dem Weg zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für Sanierungen nicht den Weg der Haftungsverschärfung gegangen, sondern will Anreize setzen, bei Nutzung des Sanierungsrahmens im Vorfeld der Insolvenz – und unter gerichtlicher Aufsicht wohlgemerkt – rechtssicher und geschützt sanieren zu können. Dies kann nur begrüßt werden. Bei der künftigen Umsetzung ist bei der zugegebenermaßen hohen Komplexität des Verfahrens auch gerade der Aspekt der Rechtssicherheit im Auge zu behalten; um das Verfahren auf eine vertrauensvolle Basis zu setzen, sollten dabei aber auch in ausreichendem Maße Schutz und Kontrollfunktionen eingeführt werden, ohne zu Lasten der Effizienz zu gehen.

Redaktioneller Hinweis:

Diskutieren Sie zum Thema vorinsolvenzliche Sanierung mit renommierten Experten auf der Fachtagung Unternehmenssanierung am 17.02.2017 in Düsseldorf. Weitere Informationen finden Sie hier.

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