Diskriminierung nicht tarifgebundener Arbeitgeber im neuen AÜG

Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch, Leiter der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht an der Universität Freiburg und Rechtsanwalt in Lahr

Eine wesentliche Neuerung des am 1. April geänderten  AÜG ist die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. Sie beschneidet die Möglichkeit der Unternehmen, durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern für Auftragsschwankungen vorzusorgen und so betriebsbedingte Kündigungen der Stammbelegschaft zu vermeiden. Der Gesetzgeber hat das Problem gesehen und die einschlägigen Vorschriften deshalb tarifdispositiv ausgestaltet: In Tarifverträgen der Einsatzbranche  oder in auf Grund eines solchen Tarifvertrages geschlossenen Betriebs- oder Dienstvereinbarungen kann eine abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Die Tarifvertragsparteien der Metallindustrie haben von dieser Möglichkeit denn auch alsbald Gebrauch gemacht und vereinbart, dass die Betriebsparteien im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung eine Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten festlegen können.

Tarifdispositive Höchstüberlassungsdauer nicht für tarifungebundene Arbeitgeber adaptierbar

Werden Gesetze tarifdispositiv ausgestaltet, führt das stets zu der Frage, wie mit den mangels Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht tarifgebundenen Arbeitgebern zu verfahren ist. Bislang lautet die Antwort regelmäßig: Die vom Gesetz abweichenden Tarifregelungen können im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers durch Betriebsvereinbarung oder, wenn ein Betriebsrat nicht besteht, durch Arbeitsvertrag übernommen werden. Mit dieser Regel bricht das neue Recht. Nach § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG dürfen nicht tarifgebundene Arbeitgeber die Überlassungshöchstdauer in einer Betriebsvereinbarung nur auf 24 Monate ausdehnen, auch wenn der Tarifvertrag eine längere Dauer, etwa 48 Monate zulässt. Eine bloß arbeitsvertragliche Ausdehnung ist überhaupt ausgeschlossen.

Sachgründe für diese Beschränkung lassen sich aus dem Schutzzweck des AÜG nicht ableiten. Leiharbeitnehmer nicht tarifgebundener Arbeitgeber sind, was die Überlassungshöchstdauer angeht, nicht schutzbedürftiger als Leiharbeitnehmer tarifgebundener Arbeitgeber. Auf der anderen Seite haben nicht tarifgebundene Unternehmen und deren Stammbelegschaften das gleiche Bedürfnis, für Auftragsschwankungen vorsorgen zu können. Allenfalls macht es noch Sinn, arbeitsvertragliche Übernahmen als missbrauchsanfällig einzustufen und deshalb auszuschließen. Dass Betriebsräte nicht tarifgebundener Arbeitgeber die Interessen der von ihnen vertretenen Belegschaft weniger effektiv wahrnehmen als Betriebsräte tarifgebundener Arbeitgeber, lässt sich aber schlechterdings nicht sagen.

Anreiz für Tarifbindung?

Der Grund für den Regelbruch liegt denn auch woanders. Die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 18/9232 S. 21) formuliert ihn lapidar: „So wird ein weiterer Anreiz zur Tarifbindung gesetzt“. Das aber hält der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten negativen Koalitionsfreiheit der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber nicht stand. Diese müssen zwar Fernwirkungen tariflicher Regelungen und deren – an gesetzliche Voraussetzungen gebundene – Allgemeinverbindlicherklärung als Preis des Fernbleibens hinnehmen. Ihnen die Übernahme tariflicher Regelungen nicht aus Sachgründen, sondern nur zu dem Zweck zu untersagen, einen Anreiz zum Arbeitgeberverbandsbeitritt auszuüben, diskriminiert sie und ist damit unverhältnismäßig.

Fazit: Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG

Lassen Tarifverträge die Ausdehnung der Überlassungshöchstdauer durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu, können davon in gleichem Ausmaß auch Betriebs- und Dienstvereinbarungen Gebrauch machen, die zwischen nicht tarifgebundener Arbeitgebern und deren Betriebs- bzw. Personalräten abgeschlossen werden. Die in § 1 Absatz 1b Satz 6 AÜG enthaltene Beschränkung auf 24 Monate ist verfassungswidrig und damit unbeachtlich.

Betriebs- und Dienstvereinbarungen nicht tarifgebundener Arbeitgeber können also ebenso wie Betriebs- und Dienstvereinbarungen tarifgebundener Arbeitgeber die vom Tarifvertrag vorgegebene Überlassungshöchstdauer ausschöpfen. In der Metallindustrie stehen auch ihnen 48 Monate zur Verfügung.

Alle Kommentare [1]

  1. Klingt folgerichtig und gut. Aber das Fazit ist risikoreich: Solange die Agentur für Arbeit als Prüfbehörde nicht offiziell in Ihre Prüfvorschriften aufnimmt, dass sie Betriebsvereinbarungen > 24 Monate für tarifungebundene Unternehmen akzeptiert, riskieren Entleiher und Verleiher sehr viel.
    Der Verleiher riskiert den Entzug der Erlaubnis (und damit die Insolvenz), der Entleiher risikiert, dass er auf einmal neue Mitarbeiter hat…
    Es wäre also ein ziemliches Wagnis für alle Beteiligten, sich auf diesen Artikel zu verlassen.