Leiharbeit: Kein Einsatzverbot bei rechtswidrigen Streiks

Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch, Leiter der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht an der Universität Freiburg und Rechtsanwalt in Lahr

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) bestimmt seit jeher, dass Leiharbeitnehmer nicht verpflichtet sind, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist. Leiharbeitnehmer sollen nicht gezwungen sein, in einem Arbeitskampf als Streikbrecher tätig zu werden und damit die Arbeitskampfparität zulasten der streikführenden Gewerkschaft zu verschieben.

Die am 1. April 2017 in Kraft getretene Neufassung des AÜG hat dieses Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers durch ein an den Entleiher gerichtetes Einsatzverbot ergänzt. Nach § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG darf dieser Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, wenn sein Betrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist. Eine Ausnahme gilt nach § 11 Abs. 5 Satz 2 AÜG nur, wenn der Entleiher sicherstellt, dass Leiharbeitnehmer keine Tätigkeiten ausüben, die bisher von Arbeitnehmern erledigt wurden, die sich im Arbeitskampf befinden oder ihrerseits Tätigkeiten von Arbeitnehmern übernommen haben, die sich im Arbeitskampf befinden. Der Verstoß gegen das Einsatzverbot stellt nach § 16 Abs. 1 Nr. 8a AÜG eine Ordnungswidrigkeit dar, die nach § 16 Abs. 2 AÜG mit einer Geldbuße bis zu 500.000 € sanktioniert werden kann.

§ 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG hat sein Vorbild in Bestimmungen der zwischen den DGB-Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden der Zeitarbeitsunternehmen abgeschlossenen Manteltarifverträge. Diese haben in einer Streikklausel festgelegt, dass Arbeitnehmer im Umfang eines Streikaufrufs einer Mitgliedsgewerkschaft des DGB nicht in bestreikten Betrieben oder Betriebsteilen eingesetzt werden dürfen. Während diese Bestimmungen aber voraussetzen, dass der Einsatzbetrieb „ordnungsgemäß“ bestreikt wird, sich die streikführende Gewerkschaft also an die arbeitskampfrechtlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks hält, erfasst § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG seinem Wortlaut nach jeden Streik und damit auch den gewerkschaftlichen Streik, der rechtswidrig ist weil er ein tariflich nicht regelbares Ziel verfolgt oder gegen die Friedenspflicht verstößt. Ihrem Wortlaut nach erstreckt sich die Vorschrift auch auf den nicht von einer Gewerkschaft geführten „wilden“ Streik.

Verfassungswidrigkeit des § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG n.F.

Dass § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG keinen Unterschied zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Streiks macht, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar:

Mit dem Einsatzverbot greift der Gesetzgeber in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufsausübung der betroffenen Unternehmen ein. Um dem Gebot der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden, bedarf dieser Eingriff eines legitimen sachlichen Grundes. Beim rechtmäßigen Streik gibt die Koalitionsfreiheit der streikführenden Gewerkschaft einen solchen sachlichen Grund ab. Der Gesetzgeber kann es zu deren Schutz für erforderlich halten, dass der Arbeitgeber die Kampfparität nicht dadurch verschieben kann, dass er Leiharbeitnehmer als Streikbrecher einsetzt. Auch dürfte es noch im Ermessen des Gesetzgebers liegen, sich nicht mit einem Leistungsverweigerungsrecht zu begnügen, sondern mit einem Einsatzverbot dem Arbeitgeber von vornherein die Möglichkeit abzuschneiden, Druck auf Leiharbeitnehmer auszuüben, Streikbrecherarbeit zu leisten.

Beim rechtswidrigen Streik fehlt dieser sachliche Grund, weil die streikführende Gewerkschaft insoweit nicht am Schutz der Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG teilhat. Wie das BAG in seiner, einen Streik der Gewerkschaft der Flugsicherung betreffenden, Entscheidung vom 26.07.2016 (1 AZR 160/14, Rn 52) ausgeführt hat, sind Forderungen, die tariflich nicht regelbare Gegenstände betreffen oder die Friedenspflicht verletzen, „nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt und beeinträchtigen grundrechtlich geschützte Interessen des Kampfgegners“. Damit entfällt der Grund für die mit dem Einsatzverbot verbundene Beschränkung der Berufsfreiheit des Unternehmers.

Die Erstreckung des Einsatzverbots auf rechtwidrige Streiks verletzt zudem das nach der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 21.04.1971 (GS 1/68 unter D 2a) aus Art. 9 Abs. 3 GG folgende Recht des Arbeitgebers, sich gegen rechtswidrige Streiks mit kollektiven Maßnahmen zu wehren. Zu den kollektiven Abwehrmaßnahmen des Arbeitgebers zählen anerkanntermaßen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs, die gegenüber Suspendierung und Aussperrung das mildere Mittel darstellen. Das umfasst den Einsatz von Leiharbeitnehmern.

Was für den von der Gewerkschaft geführten rechtswidrigen Streik richtig ist, gilt auch für den wilden Streik. Dieser hat nach der Rechtsprechung des BAG am Schutz der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG nicht teil mit der Folge, dass sich der Arbeitgeber gegen ihn mit den Mitteln des Arbeitskampfs wehren kann. Zu diesen Mitteln zählt der Versuch, die Arbeit mit Arbeitswilligen oder eben auch mit Leiharbeitnehmern fortzuführen. Ihn wegen des Einsatzverbots stattdessen auf die Schließung des Betriebs und damit verbunden die Suspendierung der Arbeitsverhältnisse oder gar die Aussperrung zu verweisen, wäre unverhältnismäßig.

Wird ein wilder Streik von der zuständigen Gewerkschaft übernommen und damit rechtmäßig, greift das Einsatzverbot erst ab dem Zeitpunkt der Übernahme. Rückwirkung kann der Übernahme insoweit nicht zukommen. Denn der Arbeitgeber hat bis zum Zeitpunkt der Übernahme rechtmäßig gehandelt. Das Eingreifen des  Ordnungswidrigkeitstatbestands des § 16 Abs. 1 Nr. 8a AÜG scheitert insoweit schon am Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG.

Dass die Anwendung des Einsatzverbotes auf rechtswidrige Streiks nicht richtig sein kann, zeigt im Übrigen auch das Schadensersatzrecht. Der rechtswidrige Streik stellt einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar und verpflichtet die streikführende Gewerkschaft nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz. § 254 BGB begrenzt diese Schadensersatzpflicht durch die Obliegenheit des Arbeitgebers, den Schaden nach Möglichkeit abzuwenden oder zu mildern. Unterliegt der Arbeitgeber auch beim rechtswidrigen Streik dem Einsatzverbot, ist dieser Weg der Begrenzung des Schadens zum Nachteil aller Beteiligten verbaut. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Schadensersatzpflicht wild streikender Arbeitnehmer wegen Verletzung ihres Arbeitsvertrags.

Fazit

Aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG folgt: Das neue Verbot, Leiharbeitnehmer im Falle von Streiks einzusetzen, kann keine Anwendung finden, soweit der Streit rechtswidrig ist, sei es dass ein tariflich nicht regelbares Ziel verfolgt wird, die Friedenspflicht verletzt ist oder dass es an der Führung des Arbeitskampfes durch eine Gewerkschaft fehlt.

§ 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG ist deshalb verfassungskonform dahin auszulegen, dass das Einsatzverbot nur im Falle rechtmäßiger Streiks gilt. Dementsprechend greift auch die Ordnungswidrigkeitsvorschrift des § 16 Abs. 2 Nr. 8a AÜG nur bei einem rechtmäßigen Streik.

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