Digitale Weiterbildung – Neue arbeitsrechtliche Herausforderungen für Arbeitnehmer oder „Unwissenheit ist freiwilliges Unglück”

Prof. Dr. Wolfgang Kleinebrink, VBU®, Textilakademie NRW gGmbH, Honorarprofessor an der Hochschule Niederrhein

Die Digitalisierung der Arbeitswelt kann aus mehreren Gründen einen Weiterbildungsbedarf bei Arbeitnehmern auslösen. Der Arbeitgeber muss aber nicht jede Weiterbildung ermöglichen. Scheitert sie, droht Arbeitnehmern außerdem eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sodass sie gefordert sind.

Wichtige Auslöser des digitalen Weiterbildungsbedarfs

Die Digitalisierung von Arbeitsprozessen, von Produkten oder von ganzen Geschäftsmodellen kann die Anforderungen ändern, die ein Arbeitnehmer benötigt, um die von ihm geschuldete Tätigkeit erfolgreich bewältigen zu können. Regelmäßig ist damit eine vom Arbeitgeber beabsichtigte Änderung des Anforderungsprofils Ursache eines evtl. „digitalen Weiterbildungsbedarfs“ beim Arbeitnehmer.

Ein Arbeitgeber kann außerdem gehalten sein, einem Arbeitnehmer digitale Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten, um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betriebs-, personen- oder – in seltenen Fällen – verhaltensbedingten Gründen zu vermeiden. Dies ist aufgrund des in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b) und Satz 3 KSchG konkretisierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der Fall, wenn ein geeigneter freier Arbeitsplatz besteht, dessen Anforderungsprofil der Arbeitnehmer aufgrund mangelnder digitaler Kenntnisse nicht erfüllt. Unmittelbare Ursache der digitalen Weiterbildungsmaßnahme ist in diesem Fall nicht eine Änderung des Anforderungsprofils durch den Arbeitgeber, sondern dessen kündigungsrechtliche Entscheidung.

Ermittlung des individuellen Weiterbildungsbedarfs

Bevor ein Arbeitgeber digitale Weiterbildungsmaßnahmen erwägt, wird er feststellen wollen, ob der betroffene Arbeitnehmer nicht bereits über entsprechende Kenntnisse aufgrund ihm nicht bekannter früherer Weiterbildungsmaßnahmen verfügt. Ein entsprechendes Fragerecht wird man auch datenschutzrechtlich bejahen müssen, da der Arbeitgeber die Kenntnisse für die weitere Durchführung des Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG benötigt.

Allgemein kann der Betriebsrat nach § 96 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vom Arbeitgeber verlangen, den Berufsbildungsbedarf zu ermitteln und mit ihm Fragen der Berufsbildung zu beraten. Insoweit steht ihm nach § 96 Abs. 1 Satz 3 BetrVG auch das Recht zu, Vorschläge zu machen.

Zumutbarkeit der digitalen Weiterbildungsmaßnahme für den Arbeitgeber

Der Arbeitgeber muss Arbeitnehmern trotz fehlender digitaler Kenntnisse aber nicht in jedem Fall Gelegenheit geben, sich weiterzubilden, um dem von ihm veränderten Anforderungsprofil zu entsprechen oder um eine Kündigung trotz eines vorhandenen freien Arbeitsplatzes zu vermeiden. Nach § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG kann er davon absehen, wenn ihm die durch die digitale Weiterbildungsmaßnahme entstehenden Belastungen bei Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers nicht zuzumuten sind.

Das Gesetz regelt nicht, wie der Begriff der Zumutbarkeit in Bezug auf die Weiterbildungsmaßnahme zu konkretisieren ist. Umstritten ist deshalb bereits die zeitliche Grenze der Maßnahme. Es bietet sich an, auf die Länge der individuellen Kündigungsfrist abzustellen, da diese die Länge der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt.

Weitere Abwägungskriterien sind insbesondere die Höhe der vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten der Weiterbildung, das Alter des Arbeitnehmers, die bisherige und restliche Beschäftigungsdauer, die persönliche und fachliche Eignung sowie die Möglichkeit des Arbeitgebers, die Arbeitskraft des Arbeitnehmers während der Maßnahme zumindest teilweise nutzen zu können.

Veranlassung der digitalen Weiterbildung

Ist dem Arbeitgeber die digitale Weiterbildung zumutbar, wird er schon im eigenen betriebswirtschaftlichen Interesse die Maßnahme dem Arbeitnehmer anbieten.

Unterlässt er dies, hat der Betriebsrat ein Initiativrecht. Er hat nach § 97 Abs. 2 BetrVG bei der Einführung digitaler Weiterbildungsmaßnahmen mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber Maßnahmen geplant oder durchgeführt hat, die dazu führen, dass sich die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ändert und ihre beruflichen Kenntnisse und Kenntnisse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen. Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet nach § 97 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Einigungsstelle, deren Spruch dann nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BetrVG die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt. Ausnahmsweise besteht damit ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bereits beim „Ob“ der Maßnahme.

Beteiligung des Betriebsrats bei der Durchführung der Weiterbildungsmaßnahme

Der Betriebsrat hat nach § 98 Abs. 1 BetrVG bei der Durchführung von digitalen Weiterbildungsmaßnahmen, dem „Wie“, mitzubestimmen. Den Umfang der erzwingbaren Mitbestimmung regeln die § 98 Abs. 1 bis 5 BetrVG.

Das Scheitern der digitalen Weiterbildung und die Folgen

Die digitale Weiterbildung, die ein Arbeitnehmer benötigt, um dem geänderten Anforderungsprofil zu entsprechen, kann aus verschiedenen Gründen scheitern.

Der Arbeitgeber muss sie nicht ermöglichen, wenn sie ihm nicht zumutbar ist. War die Änderung des Anforderungsprofils unmittelbare Ursache des Weiterbildungsbedarfs, fehlt dem Arbeitnehmer dann die persönliche Eignung für die künftig auszuübende Tätigkeit, so dass eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommt. Sollte die Weiterbildung hingegen die Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz ermöglichen, bleibt es bei dem vom Arbeitgeber angedachten betriebs-, personen- oder – in seltenen Fällen –verhaltensbedingten Kündigungsgrund.

Nach Ansicht des BAG liegt ebenfalls ein personenbedingter und nicht etwa ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die digitale Weiterbildung bei einer Änderung des Anforderungsprofils zwar angeboten, der Arbeitnehmer diese Möglichkeit aber nicht genutzt oder die Weiterbildung eigenmächtig abgebrochen hat. Eine Abmahnung ist zumindest dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer zu erkennen gegeben hat, dass diese sinnlos ist, weil sein Entschluss feststeht.

Neue Herausforderungen für Arbeitnehmer

Für Arbeitgeber stellt die Digitalisierung der Arbeitswelt eine betriebswirtschaftliche Herausforderung dar. Arbeitsrechtliche Überlegungen sind damit – auch in diesem Zusammenhang – strategisch betriebswirtschaftlich gesteuert. Ziel ist es, den Erfolg des Unternehmens zu sichern oder sogar zu verbessern.

Arbeitnehmer hingegen sind gefordert, ihre Arbeitskraft zukunftssicher zu machen, um möglichen neuen „digitalen“Anforderungsprofilen zu entsprechen. Dies kann und muss einerseits dadurch geschehen, das sie vom Arbeitgeber angebotene digitale Weiterbildungsmaßnahmen nutzen, und andererseits sich auch unabhängig von ihrer gegenwärtigen beruflichen Situation digital weiterbilden, da ein Arbeitgeber ihnen – wie dargestellt – nicht jede Weiterbildung ermöglichen muss. Es gilt das zeitlos weiter, was Natzel bereits 2010 zum Titel eines Fachbeitrags wählte: „Unwissenheit ist freiwilliges Unglück”.

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