Amazon in die Knie zwingen? – Streiks in der Vorweihnachtszeit

RA Dr. Hans-Hermann Aldenhoff, Partner bei Simmons & Simmons, Düsseldorf/Frankfurt/München

Nach mehreren Arbeitsniederlegungen in den vergangenen Wochen, unter anderem am Standort Leipzig, hat die Gewerkschaft Verdi erneut zum Ausstand bei Amazon in der Vorweihnachtszeit aufgerufen. Damit versucht die Gewerkschaft weiterhin hartnäckig, den Versandhändler zu einer Tarifbindung zu bewegen. Verdi nutzt dabei gezielt das umsatzstarke Weihnachtsgeschäft aus, um den Druck noch einmal deutlich zu erhöhen. Es stellt sich zu Recht die Frage, ob ein solches Vorgehen nicht als unverhältnismäßig anzusehen ist.

 

 

Gewerkschaft hat Pflicht, Möglichkeiten auszuschöpfen

Die Rechtsprechung spricht eine klare Sprache: Seit einem Beschluss des BBAG aus dem Jahr 1971 (BAG vom 21.04.1971 – GS 1/68) ist jede Arbeitskampfmaßnahme am Gebot der Verhältnismäßigkeit zu messen. Demnach dürfen Streiks nur durchgeführt werden, wenn sie zur Erreichung rechtmäßiger Ziele geeignet, erforderlich und angemessen sind. Verdis Ziel, Amazon zum Abschluss eines Tarifvertrags zu zwingen, ist als solches legitim. Die Niederlegung der Arbeit ist geeignet und mangels Gesprächsbereitschaft ebenso erforderlich, um dieses Ziel zu verfolgen. Die Gewerkschaft hat jedoch die Pflicht, vor der Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen zunächst alle Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Erst wenn alle Gespräche scheitern, kommt als letzte Möglichkeit die Arbeitsniederlegung in Betracht. Zweifel kommen jedoch auf, wenn es um die Angemessenheit von Streikmaßnahmen im ohnehin stressigen Weihnachtsgeschäft geht.

Ein Streik ist nicht ohne weiteres deshalb unangemessen und damit unverhältnismäßig, weil er beim Arbeitgeber zu finanziellen Schäden führt. Im Gegenteil: Dem Streik ist immanent, dass er den bestreikten Arbeitgeber schädigt. Darin liegt die Hebelwirkung, die den Arbeitgeber zum Abschluss einer Tarifvereinbarung bewegen soll. Allgemein wird ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz deshalb erst dann angenommen, wenn der Streik für den Arbeitgeber unmittelbar existenzgefährdend ist. In diesem Fall spricht man von einem sogenannten Vernichtungsstreik.

Es bleibt weiterhin spannend

Darüber hinaus können Streiks als unangemessen angesehen werden, wenn sie neben dem Arbeitgeber unbeteiligte Dritte oder die Allgemeinheit übermäßig beeinträchtigen. Dies wird jedoch nur in Ausnahmefällen und bei ganz erheblichen Beeinträchtigungen von besonderen Allgemeinwohlinteressen in Frage kommen. Die Arbeitsgerichte sind hier eher zurückhaltend und entscheiden meist zugunsten der Gewerkschaften.

Die durch die Streiks entstehenden Störungen im Weihnachtsgeschäft mögen für Amazon zu erheblichen finanziellen Einbußen führen, dürften jedoch keinesfalls das Ausmaß einer Existenzgefährdung erreichen. Und auch wenn es für Amazon-Kunden zu störenden Verzögerungen kommen würde, wären keine Interessen der Allgemeinheit beeinträchtigt. Im Ergebnis sind die vorweihnachtlichen Streiks daher als fragwürdig, jedoch nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Der Tarifstreit zwischen Verdi und Amazon bleibt also weiterhin spannend.

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