Berücksichtigung von Wandelschuldverschreibungen bei der Ermittlung der angemessenen Gegenleistung

RA Dr. Markus Rasner, Partner / RA Katharina Leoff, LL.M., Oppenhoff & Partner, Köln

Bei der Ermittlung der angemessenen Gegenleistung für ein öffentliches Übernahmeangebot sind grundsätzlich auch die vom Bieter für den Erwerb von Wandelschuldverschreibungen gezahlten Preise zu berücksichtigen, so den BGH in einem aktuellen Urteil vom 07.11.2017 (II ZR 37/16). Der Entscheidung lag folgender Fall zugrunde: Anfang 2014 übernahm der US-Konzern McKesson den Stuttgarter Pharmahändler Celesio. Im Vorfeld hatte McKesson Wandelschuldverschreibungen der Celesio von einem Hedgefonds erworben und unmittelbar danach in Aktien gewandelt. Der höchste dabei gezahlte Preis betrug 30,95 €. Die klagenden Aktionäre, die das Übernahmeangebot zum Preis von 23,50 € je Aktie angenommen hatten, verlangten Zahlung des Differenzbetrags von 7,45 € je Aktie.

Im Kern hatte der BGH entschieden: Bei der Ermittlung der angemessenen Gegenleistung für ein öffentliches Übernahmeangebot sind grundsätzlich auch die vom Bieter für den Erwerb von Wandelschuldverschreibungen gezahlten Preise zu berücksichtigen, da auch der Erwerb von Wandelschuldverschreibungen eine Vereinbarung darstellt, auf Grund derer der Erwerb von Aktien verlangt werden kann (§ 31 Abs. 6 Satz 1WpÜG). Dies gilt auch, wenn die Wandelschuldverschreibung nicht originär (also vom Emittenten), sondern derivativ von einem Dritten erworben wird. Die Vereinbarung i.S.d. § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG muss nicht selbst der Rechtsgrund für den Erwerb der Aktien sein (wie es nur beim originären Erwerb der Fall wäre). Vielmehr genügt es, dass auf Grund der Wandelschuldverschreibung die Übereignung von Aktien verlangt werden kann.

BGH stärkt die Aktionärsrechte

Das Celesio-Urteil des BGH stärkt die Aktionärsrechte und hat weitreichende Folgen für Bieter. Während grundsätzlich anerkannt war, dass der Erwerb von Wandelschuldverschreibungen unter § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG fällt, war umstritten, ob dies nur für den originären oder auch für den derivativen Erwerb gilt (Nachweise in Rz. 14 des Urteils). Der BGH hat sich nun der letzteren Auffassung angeschlossen und damit die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. in zweiter Instanz (5 U 2/15) bestätigt.

Auslegung des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG

Dazu befasst sich das Gericht intensiv mit der Auslegung des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG und stellt fest, dass der Wortlaut nicht eindeutig sei und sowohl den originären als auch den derivativen Erwerb umfassen könne. Auch der systematische Zusammenhang mit § 31 Abs. 6 Satz 2 WpÜG führe zu keinem eindeutigen Ergebnis: Zwar gelte nach Satz 2 die Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts auf Grund einer Erhöhung des Grundkapitals der Zielgesellschaft nicht als Erwerb nach Satz 1. Dies sei zwar ebenso wie der derivative Erwerb der Wandelanleihe und deren Ausübung ein mehraktiger Erwerbsvorgang. Daraus lasse sich aber nicht schließen, ob die Mehraktigkeit allein den Erwerbsvorgang disqualifiziere, oder ob Satz 2 nur eine Klarstellung sei. Auch wäre der Erwerb auf Grund eines gesetzlichen Bezugsrechts ein originär mehraktiger und kein derivativ mehraktiger Erwerb. Die Entstehung des Gesetzes hingegen spreche für eine weite Auslegung im Sinne eines allgemeinen Umgehungsschutzes. Die ursprüngliche Beschränkung auf Kauf- und Austauschverträge im Diskussionsentwurf des BMF vom 29.06.2000 sei im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen worden, um Umgehungen zu vermeiden und insbesondere auch Optionsgeschäfte einzubeziehen, die zum Bezug der Aktien berechtigen. Eine für ihn entscheidende Parallele zieht der BGH hierbei immer wieder zu den nach der Gesetzesbegründung unter § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG fallenden Optionsrechten: Auch hier komme es nicht darauf an, ob sie ausgeübt werden, oder dass es möglicherweise auf Grund von Verzinsung o.ä. Berechnungsschwierigkeiten des Wertes der Option im Vergleich zum Wert der Aktien gebe, sondern darauf, dass der Bieter zeige, welchen Preis er im zeitlichen Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot selbst als angemessen angesehen hat.

Sinn und Zweck der Vorschrift

Diese Auslegung entspreche auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift: Sie solle sicherstellen, dass der Bieter an dem Preis festgehalten wird, den er selbst als angemessen angesehen hat. Dies treffe auch für Wandelanleihen zu, die im maßgeblichen Zeitraum erworben werden und in Aktien gewandelt werden können. Dass der Erwerber die Wandelanleihen umwandeln könne, aber nicht müsse, spreche ebenfalls nicht gegen die Anwendung der Vorschrift. Bereits mit dem Erwerb der Übereignungsmöglichkeit bringe der Bieter zum Ausdruck, welchen Preis er im zeitlichen Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot selbst als angemessen angesehen hat. Folglich kann in solchen Fällen, in denen die Übereignungsmöglichkeit entfällt, etwa wenn die Wandelschuldverschreibungen im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr umgewandelt werden können, der Preis der Wandelschuldverschreibung keinen Anhaltspunkt mehr für den Wert der Aktien liefern. Ausschlaggebend für den Erwerb sind hier gerade nicht die Wandlungsmöglichkeit, sondern Anlagemotive. Kurz befasst sich der BGH auch mit der EU-Übernahmerichtlinie (2004/25/EG) vom 21.04.2004 und erläutert, dass diese zwar nur „gleiche Wertpapiere“ berücksichtige, dies aber der vom BGH vertretenen Auslegung des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG nicht entgegenstehe: Die Richtlinie lege nur Mindestanforderungen fest, die Mitgliedstaaten können zusätzliche und strengere Bestimmungen festlegen (Art. 3 Abs. 2).

Herausforderungen bei der Strukturierung des Übernahmeangebots

Mit seiner Entscheidung stellt der BGH Bieter künftig bei der Strukturierung des Übernahmeangebots vor noch größere Herausforderungen: Bereits die Möglichkeit indirekter Aktienerwerbe über derivative Instrumente bei der Berechnung des Mindestpreises kann maßgeblich sein und bei unzutreffender Berechnung können entsprechende Nachzahlungsansprüche der Aktionäre bestehen, die das – folglich zu geringe – Angebot angenommen haben. Auch nach dem Celesio-Urteil offen bleibt die Frage, ob den Aktionären, die das Angebot aufgrund des unzutreffend berechneten und damit ihnen zu niedrig erscheinenden Preises nicht angenommen haben, ein Recht zur Andienung ihrer Aktien zu dem zutreffend ermittelten Preis zusteht.

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