Wer in den letzten Monaten die Wirtschaftsnachrichten verfolgt hat, könnte meinen, dass sich die meisten DAX-Konzerne in börsenfähige Einzelteile zerlegen: zuletzt die Deutsche Bank mit ihrer Fondstochter DWS und Siemens mit der Medizintechniksparte Healthineers. In den Vorjahren hatten Metro mit dem Elektronikhändler Ceconomy, E.ON und RWE mit Uniper und Innogy sowie Bayer mit der Kunststoffsparte Covestro Konzernteile abgetrennt und an die Börse gebracht. Weitere Börsenaspiranten könnten folgen, etwa die Öl- und Gassparte von BASF oder der Stahlbereich von ThyssenKrupp. Sogar im wichtigsten deutschen Industriezweig, der Autoindustrie, halten sich Gerüchte über Ausgliederungen von LKW-Sparten und Aufspaltungen von Zuliefererkonzernen mit späterem Börsengang.
Ist der betreffende Bereich nicht schon in einer eigenen Gesellschaft zusammengefasst, muss er zunächst vom Rest des Konzerns separiert werden („Carve-out“). Ein dafür oft genutztes Instrument ist die Ausgliederung, bei der das Anlage- und Umlaufvermögen, die Verträge und Mitarbeiter auf eine bestehende oder neu zu gründende Tochtergesellschaft übertragen werden. In Ausnahmefällen kann die Zustimmung der Hauptversammlung der übertragenden Gesellschaft mit einer Mehrheit von 75 Prozent erforderlich sein. Deren Beschluss kann von Aktionären angefochten und damit verzögert oder sogar aufgehoben werden. In der Tochter müssen sodann fehlende Zentralfunktionen wie Controlling, Recht oder Investor Relations neu aufgebaut werden.
Beim anschließenden Börsengang werden die Aktien der Tochter meist öffentlich angeboten. Wie viele Aktien abgegeben werden, hängt von den kurz- und langfristigen Kurserwartungen sowie der letztlich angestrebten Beteiligungshöhe ab. Denkbar ist auch eine dauerhafte Kontrolle durch die Konzernmutter. Das lässt sich erreichen, indem sie die Aktienmehrheit behält, stimmrechtslose Vorzugsaktien ausgibt oder die Rechtsform einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) gewählt wird. Die KGaA kann von einer Managementgesellschaft geleitet werden, die dauerhaft von der Mutter beherrscht wird. Neben vielen Familienunternehmen wurde zuletzt die DWS als KGaA an die Börse gebracht.
Teilweise wird schon ein Abgesang auf Konglomerate angestimmt: Spezialisierte Unternehmen (sogenannte „Pure Plays“) seien fokussierter und agiler, könnten zielgenauer und schneller ihre Ressourcen allokieren, um die sie nicht mit anderen Konzernbereichen wetteifern müssen, und könnten ihre eigenen Aktien für Unternehmenskäufe oder zur Mitarbeitermotivation nutzen. Die Unternehmensleitung könne sich stärker auf das operative Geschäft konzentrieren als die Führung von Holding-Konzernen. In Zeiten steigenden Wettbewerbsdrucks durch Globalisierung und digitale Geschäftsmodelle seien Flexibilität und auf das Kerngeschäft fokussierte Einheiten gefordert. Aber müssen diese Einheiten selbst börsennotiert sein? Auch Konzernteile können organisatorisch und rechtlich so verselbständigt werden, dass sie viele dieser Ziele erreichen. Tatsächlich dürfte der Trend zur Auflösung von Konglomeraten noch weitere Gründe haben: Die jahrelange Börsenhausse und die hohen Gewinnerwartungen erhöhen den Druck auf die Vorstände zu kurssteigernden Maßnahmen. Oft sind es aktivistische Investoren, die – unter dem Renditedruck ihrer eigenen Geldgeber – Aktienrückkaufprogramme, Sonderdividenden, die Trennung von unrentablen Bereichen oder die Auflösung von Konglomeratsstrukturen fordern.
Aus Sicht des Konzernvorstands gibt es gute Gründe sowohl für als auch gegen die Ausgliederung von Geschäftsbereichen mit anschließendem Börsengang. Wichtig ist aber, Folgendes zu beachten: Der Vorstand ist verpflichtet, die Unternehmensstrategie laufend zu überprüfen, Alternativszenarien zu entwickeln und die Strategie bei Bedarf anzupassen – dazu gehört die Analyse, ob einzelne Geschäftsbereiche besser inner- oder außerhalb des Konzerns aufgehoben sind.
Redaktioneller Hinweis:
Vgl. zu diesem Thema auch Bungert/Rogier, Der Carve-out von Unternehmensteilen in der gesellschaftsrechtlichen Praxis, DB 2017 S. 2977.