Personelle Mindestbesetzungsregelungen in Krankenhäusern – Kein Betätigungsfeld für Betriebsräte

RA/FAArbR Thomas Ubber, Partner, Allen & Overy LLP (Frankfurt/M.)

Eine für viele Experten spektakuläre Entscheidung des Arbeitsgerichts Kiel wurde nun vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein am 25.04.2018 (6 TaBV 21/17) zu Fall gebracht: Es geht zu weit, wenn der Betriebsrat über sein Mitbestimmungsrecht bei Regelungen über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften Personalbesetzungsregelungen durchsetzen könnte.

Hintergrund

Auf der Grundlage der Beratungen der Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ hat das Bundesgesundheitsministerium gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen und den Ländern bereits am 07.03.2017 Maßnahmen zur Verbesserung der Personalsituation in der pflegerischen Patientenversorgung vorgeschlagen. Danach soll die Selbstverwaltung von Krankenhäusern und Krankenkassen zur Vereinbarung von Personaluntergrenzen in Krankenhausbereichen verpflichtet werden, in denen dies aufgrund der Patientensicherheit besonders notwendig ist, wie beispielsweise in Intensivstationen oder im Nachtdienst. Sollten bis zum 30.06.2018 keine entsprechenden Vereinbarungen der Selbstverwaltung zustande kommen, die ab dem 01.01.2019 wirksam werden, will das Bundesministerium bis zum Jahresende ersatzweise entsprechende Entscheidungen treffen.

Weitergehend sollen nach dem Koalitionsvertrag sogar strikte Personalvorgaben für alle Stationen verbindlich festgelegt werden. Die Kosten des Pflegepersonals sollen künftig unabhängig von Fallpauschalen erstattet werden.

Der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geht dies alles nicht weit genug. Sie fordert seit geraumer Zeit tarifliche Mindestbesetzungsregelungen im gesamten Pflegebereich, durch die die Pflegekräfte in den Krankenhäusern nachhaltig entlastet werden sollen. Bislang ist es ver.di aber lediglich in Einzelfällen gelungen, Tarifverträge über eine Mindestpersonalbesetzung auf den Pflegestationen abzuschließen. Beispiel hierfür ist der bereits im Mai 2016 geschlossene Tarifvertrag über Gesundheitsschutz und Mindestbesetzungsregelungen in der Pflege bei der Berliner Charité.

Dementsprechend verwundert es nicht, dass Betriebsräte, auch auf Initiative von ver.di, den Versuch unternehmen, Mindestbesetzungsregelungen über ihre Mitbestimmungsrechte durchzusetzen.

Der Fall

Der nun vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein am 25.04.2018 (6 TaBV 21/17) entschiedene Fall spielt in einer Spezialklinik für Wirbelsäulen und Gelenke. Bereits in der Vergangenheit stritten die Klinik und ihr Betriebsrat immer wieder über Fragen der Mindestbesetzung für den Pflegedienst auf bestimmten Stationen. Da man sich nicht verständigen konnte, wurde im Frühjahr 2013 eine Einigungsstelle zum Arbeits- und Gesundheitsschutz gebildet. Im Laufe des Einigungsstellenverfahrens schlossen die Betriebsparteien verschiedene Zwischenvereinbarungen über die Einholung von Gutachten zur Belastungs- und Gefährdungssituation des Pflegepersonals. Über die Bewertung der Ergebnisse der drei eingeholten Gutachten und etwaige hieraus abzuleitende Maßnahmen konnten sich Arbeitgeberin und Betriebsrat nicht einigen. Die Einigungsstelle verabschiedete daraufhin am 08.12.2016 durch Spruch eine Betriebsvereinbarung, die Schichtbesetzungen mit einer bestimmten Anzahl von Pflegekräften, abhängig von der jeweiligen Belegungssituation, vorsieht. Ein solcher Spruch darf nur dann ergehen, wenn der Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht für sich in Anspruch nehmen kann. Die Einigungsstelle vertrat mehrheitlich die Auffassung, ein solches Mitbestimmungsrecht folge aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, wonach der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften mitzubestimmen hat.

Die Entscheidung

Die Arbeitgeberin machte beim Arbeitsgericht Kiel (7 BV 67c/16) die Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle geltend. Dieses wies den Antrag der Klinik mit Beschluss vom 26.07.2017 zurück und bejahte damit ein erzwingbares Recht des Betriebsrats, derartige Mindestbesetzungsregelungen durchzusetzen. Es sei gerade Aufgabe der Einigungsstelle über die sich aus der Gefährdung der Arbeitnehmer erforderlichen Maßnahmen zu entscheiden. Dabei sei die Vorgabe einer Mindestbesetzung eine Maßnahme, mit der der Gefährdung der Mitarbeiter begegnet werden könne. Dadurch werde auch nicht in unzulässiger Weise in die unternehmerische Freiheit der Klinik nach Art. 12 GG eingegriffen. Vielmehr sei den Rechten der Beschäftigten aus Art. 31 der EU-Grundrechte-Charta und Art. 2 Abs. 2 GG auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen Vorrang einzuräumen. Schließlich werde die Arbeitgeberseite auch nicht daran gehindert, ihre Bettenkapazitäten voll auszuschöpfen; sie müsse dann lediglich gewährleisten, dass eine entsprechende Anzahl von Pflegekräften verfügbar sei. Der Umstand, dass keiner der Sachverständigen eine Mindestpersonalbesetzung empfohlen hatte, stehe dem nicht entgegen.

Die aufsehenerregende Entscheidung des Arbeitsgerichts Kiel wurde nunmehr im Beschwerdeverfahren durch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein zu Fall gebracht. Das Beschwerdegericht rügt zunächst einmal, dass die Einigungsstelle formal ihre Kompetenz überschritten hat. Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden sind nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 28.03.2017 – 1 ABR 25/15) erst dann gefordert, wenn entweder Gefährdungen der Beschäftigten feststehen oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung konkret festgestellt sind. Hingegen darf die Einigungsstelle die konkrete Gefährdung nicht eigenständig feststellen oder sich auf ein Gutachten beziehen, das den Anforderungen an eine Gefährdungsbeurteilung nicht gerecht wird. Selbst wenn eine konkrete Gefährdung der Gesundheit von Mitarbeitern vorläge, darf die Einigungsstelle keine Mindestbesetzungsregelungen anordnen. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG stellt insoweit keine Grundlage dar.

Keine erzwingbare Mitbestimmung bei Fragen der Personalplanung

In der Tat ginge es zu weit, wenn der Betriebsrat über sein Mitbestimmungsrecht bei Regelungen über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften Personalbesetzungsregelungen durchsetzen könnte. Dies liefe der aufeinander abgestimmten Intensität der unterschiedlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats zuwider. Bei Fragen der Personalplanung des Arbeitgebers kann der Betriebsrat nämlich allenfalls Unterrichtung und Beratung verlangen; erzwingbare Mitbestimmungsrechte hat er hier gerade nicht. Durch die begrenzten Beteiligungsrechte trägt der Gesetzgeber der unternehmerischen Freiheit bei der Personalbemessung Rechnung. Der Arbeitgeber bestimmt letztlich selbst, wie viele Mitarbeiter er für welche Aufgaben beschäftigt. Nichts anderes ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 ArbSchG, der die Grundpflichten des Arbeitgebers bei Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes beschreibt. Bei der Planung und Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes ist nach dieser Bestimmung die – vom Arbeitgeber festgelegte – Zahl der Beschäftigten zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass die Festlegung der Zahl der Beschäftigten gerade nicht zu den Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes gehört. Ein Überlastungsschutz, bei dem der Betriebsrat mitbestimmen kann, muss daher durch andere Maßnahmen, etwa auf organisatorischer Ebene, gewährleistet werden.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Die Auseinandersetzung wird dort weiter fortgesetzt werden.

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