Das BAG hat eine wesentliche Richtungsentscheidung getroffen und damit der Praxis etwas mehr Rechtssicherheit verschafft: Das BetrVG kann – mit allen Konsequenzen – auch für Arbeitnehmer gelten, die in einen ausländischen Betrieb eingegliedert sind, sofern und solange sie zumindest auch der „Ausstrahlung“ eines deutschen Betriebes unterfallen. Wann genau dies der Fall ist, damit lässt das BAG die Praxis hingegen allein – potentieller Handlungsbedarf für alle international tätigen Unternehmen, die mit Entsendungs- und Matrixorganisationen arbeiten. Spannend sind die Ausführungen des BAG auch vor dem Hintergrund der Frage: lässt sich die Argumentation auf das KSchG übertragen?
Sachverhalt
Der Arbeitgeber, ein internationaler Erdöl- und Erdgaskonzern, unterhielt einen Betrieb in Deutschland, für den ein Betriebsrat gebildet war. Der Kläger war als Arbeitnehmer seit Juni 2007 bei ihr beschäftigt, und dies durchgehend im Ausland. Nachdem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne Anhörung des deutschen Betriebsrates (ordentlich) gekündigt hatte, erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage. Das ArbG Lingen (vom 22.09.2016 – 1 Ca 89/16) wies die Klage ab. Das LAG Niedersachsen (vom 09.11.2017 – 5 Sa 1127/16) führte mit bemerkenswerter Begründung aus, „angesichts der zunehmenden internationalen Verflechtungen, der Globalisierung [der] Rechts- und Wirtschaftsordnung, der zunehmenden Konzernstrukturen und Matrixstrukturen von Unternehmen müss[t]en die Anforderungen, die an die Ausstrahlung eines inländischen Betriebes an einen ausländischen Arbeitnehmer gestellt werden, im Interesse eines effektiven Arbeitnehmerschutzes herabgesetzt werden.“ Es hielt die Kündigung in Ermangelung einer Betriebsratsanhörung für unwirksam und das Betriebsverfassungsgesetz für anwendbar.
Entscheidung
Das BAG hob die Berufungsentscheidung auf und verwies sie zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landgericht zurück. In Fortführung der bisherigen Rechtsprechung stellte der 2. Senat klar, dass maßgeblich für die räumliche Geltung des BetrVG zwar grundsätzlich das Territorialitätsprinzip sei, entscheidend für die Geltung hinsichtlich ausländischer Beschäftigter hingegen allein der persönliche Geltungsbereich des Gesetzes. Daher unterfielen solche Beschäftigen, wo sie nicht der Ausstrahlung eines Inlandsbetriebes unterliegen, grundsätzlich (jedenfalls bei ständiger Beschäftigung im Ausland) nicht dem persönlichen Geltungsbereich des Gesetzes.
Eingliederung in deutschen Betrieb
Anders hingegen bewertete das BAG den möglichen Fall der „Doppeleingliederung“ eines Arbeitnehmers in einen in- und einen ausländischen Betrieb: Wenn der Arbeitnehmer nämlich (auch) von dem inländischen Arbeitgeber betriebsverfassungsrechtlich relevante Weisungen erhalte, ergebe sich ein hinreichend starker Inlandsbezug, dass bei einer normzweckorientierten Auslegung des Gesetzes die Anwendung des BetrVG geboten sei. Dies leitet das BAG im Wesentlichen dem Rechtsgedanken des § 14 Abs. 1 AÜG her (so auch schon BAG vom 20.04.2005 – 7 ABR 20/04).
Keine Aufklärung durch das LAG
Ob der Arbeitnehmer im hier maßgeblichen Fall aber in den deutschen Betrieb eingegliedert war, hatte das LAG Niedersachsen nicht aufgeklärt. Das BAG verwies daher den Fall an das LAG zurück. Das LAG habe zudem versäumt, die wesentliche Unterscheidung zwischen arbeitstechnischen und wirtschaftlichen Zwecken zu berücksichtigen: Allein, dass ein ausländischer Betrieb auch den Interessen eines in Deutschland tätigen Arbeitgebers diene, berechtige noch nicht zu der Annahme, diese teilten auch den gleichen arbeitstechnischen Zweck. Eine vermeintliche Selbstverständlichkeit, aber anhand der offenkundig recht ergebnisgetriebenen Argumentation des LAG Niedersachsen durchaus ein angezeigter Kommentar.
Fazit
Die Entscheidung verschafft international tätigen Arbeitgebern zunächst einen begrüßenswerten Grad an Rechtssicherheit: Überall dort, wo ein Arbeitnehmer im Ausland tätig ist, ohne dass es einen verfestigten Bezug zu inländischen Betrieben gibt, ist die Geltung des BetrVG kein Thema (mehr).
Etwas alleingelassen wird die Praxis aber bei der Folgefrage: Was genau ist erforderlich, um diesen Bezug herzustellen? Hier wird man genau differenzieren (und bestehende Fallgestaltungen prüfen) müssen: Konstellationen, in denen lediglich eine passive Anbindung an einen inländischen Betrieb besteht (wie etwa Entsendungsfälle, in denen der Hauptvertrag ruhend gestellt und ein befristeter Zweitvertrag begründet wird), können nicht ausreichen. Gleiches gilt für die bloße matrixmäßige Einbindung in eine fachliche Berichtslinie, bei der der Vorgesetzte im deutschen Betrieb ansässig ist, der Arbeitnehmer jedoch im Ausland. Nur dort, wo der Arbeitnehmer (nach dem BAG: in „betriebsverfassungsrechtlich relevanter“ Weise) derart eng mit einem in Deutschland befindlichen Betrieb verknüpft ist und bleibt, dass seine Auslandstätigkeit dieses Band nicht durchtrennt, kann eine Geltung des BetrVG auch für diesen Arbeitnehmer angenommen werden. Dann jedoch gilt sie auch mit allen Konsequenzen, von der Geltung etwa örtlicher Betriebsvereinbarungen bis hin zur Betriebsratsbeteiligung bei personellen Einzelmaßnahmen.
Keineswegs folgt aus der Entscheidung des BAG aber, dass nach dem BAG nun auch die Geltung des KSchG transnationale Bezüge erhielte: Das BAG differenziert hier weiterhin sehr klar allein nach der Frage, ob eine kündigungsschutzrechtlich relevante Eingliederung im Inland vorliegt oder nicht (so schon zutreffend BAG vom 29.08.2013, 2 AZR 809/12 unter Bezug auf Hoffmann-Remy/Zaumseil, DB 2012 S. 1624). Insoweit bleibt also alles beim Alten.