„Bis dass der Tod uns scheidet!“ – Dass dieses Ehegelübde schon lange nicht mehr in seiner vollen Konsequenz gewahrt wird ist in der heutigen Zeit kein Geheimnis mehr. Angesichts der hohen Scheidungsquoten ist dies sicherlich auch gut so, andernfalls würde so mancher Ehepartner den Bund für das Leben mit dem Selbigen bezahlen. Doch so eine Scheidung bietet ja auch neue Möglichkeiten und nicht selten mündet der Anlass einer solchen in einem neuerlichen Eheversprechen. Jedoch, während das weltliche Glück erneuert wurde hatte dies für Menschen römisch-katholischen Glaubens nicht nur den Verlust der Sakramente zur Folge, sondern bislang auch oftmals den Verlust des Arbeitsplatzes, verstieß man doch mit der Wiederheirat gegen die Grundordnung der katholischen Kirche (GrO). So erging es dann auch dem Chefarzt eines katholischen Krankenhauses, dessen Arbeitsvertrag eben auf diese Grundordnung der katholischen Kirche aus dem Jahr 1993 verwies und der mit seinem Fall nicht nur seit vielen Jahren die Arbeitsgerichte, sondern auch das BVerfG und den EuGH beschäftige. Nachdem er im Jahr 2008 geschieden wurde, heiratete der Arzt im selben Jahr seine neue Lebensgefährtin, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden war. Nachdem die Geschäftsleitung des Krankenhauses im Jahr 2009 von der erneuten Heirat Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum Ende des Monats wegen eines Verstoßes gegen die GrO. Der Kläger habe er durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe in erheblicher Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis. verstoßen. Das ArbG Düsseldorf gab der Klage statt (6 Ca 2377/09). Die Berufung wurde vom LAG Düsseldorf ebenso zurückgewiesen (5 Sa 996/09), wie die Revision durch das BAG ( 2 AZR 543/10). Doch die darauf erhobene Verfassungsbeschwerde beim BVerfG durch die Beklagte hatte insoweit Erfolg, als dieses das Urteil des BAG aufhob und die Sache an zurückverwies (BAG vom 22.10.2014 – 2 BvR 661/12). Bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten über Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer hätten die staatlichen Gerichte einerseits das Statusrecht der Kirchen und andererseits den Grundrechten der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Auf einer ersten Prüfungsstufe sei zunächst im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle zu überprüfen, ob die Arbeitgeberin an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhabe. Auf einer zweiten Prüfungsstufe sei eine Gesamtabwägung vorzunehmen, in der die – im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verstandenen – kirchlichen Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen seien.
Dies wiederum nahm das BAG zum Anlass, dem EuGH zur Vorabentscheidung mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 4 II RL 2000/78/EG vorzulegen. Der EuGH entschied, dass eine Kirche oder eine andere öffentliche oder private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruhe, bei der Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos zu verhalten, ihre Beschäftigten in leitender Stellung nur dann je nach deren Zugehörigkeit zur Religion unterschiedlich behandeln dürfe , wenn die Religion im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts dieses Ethos sei. Ein solcher Zusammenhang könne sich entweder aus der Art dieser Tätigkeit ergeben oder aus den Umständen ihrer Ausübung. Die Entscheidung führte die Rechtsgedanken der Entscheidung des EuGH aus April 2018 (EuGH vom 17.04.2018 – Rs. C-414/16) fort. Ebenso wie das Verlangen einer Kirchenzugehörigkeit bei Stellenausschreibungen sei auch die Aufstellung von besonderen, beruflichen Anforderungen nur dann erlaubt, wenn dies für die Ausübung der Tätigkeit eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstelle. Dies sei gerichtlich voll überprüfbar.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Vor diesem Hintergrund war es wenig überraschend, dass das BAG nunmehr in seiner finalen Entscheidung entschied, dass die Revision der Beklagten keinen Erfolg habe. Die Kündigung sei nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Mit seiner Wiederverheiratung verletzte dieser weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung der Beklagten. Die Vereinbarung im Dienstvertrag der Parteien, mit der die GrO 1993 in Bezug genommen wurde, sei gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit dadurch das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß bestimmt sei. Diese Regelung benachteilige den Kläger gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeitern wegen seiner Religionszugehörigkeit und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Dies folge aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG, jedenfalls aber aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Die Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, sei im Hinblick auf die Art der Tätigkeiten des Klägers und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung.
Nationales Verfassungsrecht stehe dem nicht entgegen. Das Unionsrecht dürfe die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten. Der EuGH habe mit seiner Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG seine Kompetenz nicht überschritten.
Praxishinweise
Die Entscheidung des BAG, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, hat ein enormes Medienecho hervorgerufen, obwohl sie nach der Stellungnahme des EuGH so zu erwarten war. Damit verengt sich der Entscheidungsspielraum der deutschen Arbeitsgerichte weiter, was dazu führen wird, dass Entscheidungen und Maßnahmen kirchlicher Arbeitgeber zukünftig deutlich häufiger von deutschen Arbeitsgerichten überprüft werden können. Ob der vorliegende Fall tatsächlich vor dem BAG sein Ende finden wird oder noch ein weiteres Mal das BVerfG angerufen wird bleibt abzuwarten. Dann wird auch zu klären sein, wie das BVerfG sich in dieser Fragestellung positioniert und ob es – wie das BAG – sich der Auslegung des EuGH „beugt“. Sollte es sich hingegen gegen den EuGH stellen, so würden sich noch ganz andere rechtliche Fragestellungen auftun.
Für kirchliche Arbeitgeber bedeutet die Entscheidung hingegen, dass sie zukünftig prüfen müssen, ob bestimmte kirchenrechtliche Vorgaben eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstellen oder nicht.
Für den Fall der Wiederheirat wurde das vorliegende Verfahren hingegen bereits durch eine Änderung der GrO überholt, die eine darauf gegründete Kündigung nur noch dann gestattet, wenn diese Ehe objektiv geeignet ist, „ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit in der Kirche zu beeinträchtigen“.