Mit seinem Urteil vom 19.02.2019 (9 AZR 541/15) hat das BAG die Entscheidungen des EuGH zum Urlaub (hier Rs. C‑684/16 und C‑619/16) nationale Rechtsprechung werden lassen. Gegenstand ist der Verfall von Urlaubsansprüchen infolge einer Nichtinanspruchnahme durch den Arbeitnehmer. Konkret geht es um das Verhältnis von Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie und § 7 Bundesurlaubsgesetz, in dem es – verkürzt – heißt, dass Urlaub im relevanten Kalenderjahr genommen, nur in Ausnahmefällen übertragen werden kann und bis spätestens Ende März des Folgejahres zu nehmen ist. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass nicht genommener Urlaub am 1. April des Folgejahres ersatzlos verfiel. Relevant war insoweit, dass es letztlich dem Arbeitnehmer oblag, seinen Urlaub rechtzeitig geltend zu machen und anzutreten.
In Zukunft muss ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer „klar und rechtzeitig“ darauf hinweisen, dass ein Urlaubsverfall droht. Andernfalls kann der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abgeltung des aufgelaufenen Urlaubs verlangen.
Missbrauchspotential der neuen Hinweispflicht
Der dem BAG-Urteil zugrundeliegende Fall betraf einen über Jahre wiederholt befristet bediensteten Wissenschaftler. Dieser nahm trotz der Bitte des Arbeitgebers keinen Urlaub vor dem anstehenden Ende seines Arbeitsverhältnisses, sondern machte einen Abgeltungsanspruch für seinen Urlaubsanspruch in Höhe von 51 Tagen geltend. Der EuGH geht davon aus, dass Arbeitnehmer sich in einer Zwangslage dergestalt befinden, dass sie ihr berufliches Fortkommen von ihrem Wohlverhalten abhängig machen und ihr Grundrecht auf Urlaub daher nicht oder nicht in vollem Umfang geltend machen. Daraus wird gefolgert, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ggf. sogar förmlich auf den Urlaub hinzuweisen hat. Das BAG konkretisiert dies dahingehend, dass der Arbeitgeber eine Obliegenheit hat, den Arbeitnehmer aktiv auf den ihm noch zustehenden Urlaub und drohenden Verfall hinzuweisen. Ob der klagende Arbeitnehmer sich bei beendetem Arbeitsverhältnis in der vom EuGH beschriebenen Zwangslage befand, ist zumindest kritisch zu hinterfragen. Wenn überhaupt, wirft der Fall eher ein Licht auf die Problematik wiederholter Befristungen (insbesondere im öffentlichen Dienst).
Folgen und Fragen für die Praxis
Sollten Arbeitgeber den Hinweis künftig versäumen, droht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein beträchtlicher Zahlungsanspruch. Es entbehrt diesbezüglich nicht einer gewissen Ironie, dass der EuGH ausgerechnet in Deutschland wiederholte Anpassungen der Rechtsprechung bewirkt. Nicht nur liegt die „Zwangslage“ der Arbeitnehmer in Zeiten von Fachkräftemangel und de facto Vollbeschäftigung fern, sondern existieren hier auch die oft großzügigsten Urlaubsregelungen.
Zu erwarten ist, dass sich das Urteil nicht auf die regelmäßig weitergehenden Urlaubsansprüche aus Tarifvertrag oder individuellem Arbeitsvertrag bezieht. Arbeitgeber werden die Unterschiede zwischen den Urlaubsarten vertraglich klar offenlegen und dies auch kommunizieren müssen. Dass der vertragliche (Zusatz-)Urlaubsanspruch anders behandelt werden kann als der gesetzliche Mindesturlaub, ist anerkannt (vgl. etwa BAG vom 12.11.2013 – 9 AZR 51/12). Gleichwohl ist eine transparente Abgrenzung im Arbeitsvertrag geboten, um nicht Gefahr zu laufen, dass Unklarheiten zu Lasten des Verwenders gehen.
Was ist „klare und rechtzeitige“ Hinweispflicht?
Dem Gebot der Klarheit wird der Arbeitgeber wohl schon aus Beweiszwecken nur nachkommen können, wenn er jedenfalls per E-Mail auf den noch vorhandenen Urlaub und die drohenden Konsequenzen eines Verfalls hinweist. Schwieriger wird die zeitliche Komponente sein: Rechtzeitig meint nach allgemeinem Sprachverständnis so frühzeitig, dass der Betroffene die erforderlichen Maßnahmen treffen kann. Der Erholungszweck erfordert es, dass der Arbeitnehmer den Urlaub nicht nur zur Hinderung des Verfalls nimmt, sondern die Freizeit auch gestalten kann.
Bleibt beispielsweise einen Monat vor Verfall des Urlaubs noch Anspruch auf 10 Tage Urlaub, könnte es für einen „rechtzeitigen“ Hinweis schon zu spät sein, auch wenn eine Inanspruchnahme faktisch noch möglich ist. Wenngleich eine verbindliche Empfehlung in Ermangelung von Einzelfalljudikatur schwerfällt, spricht vieles für auch eine auch wiederholte Information an die Mitarbeiter, beispielsweise im Quartalsrhythmus, auch um einen frühzeitigen Urlaubsabbau zu ermöglichen. Ein Hinweis drei Monate vor Verfall des Urlaubs sollte generell und vorbehaltlich von extremen Ausnahmefällen signifikanter Restansprüche von mehr als 20 Werktagen genügen.
Schließlich bleibt die Frage, ob der Arbeitgeber Arbeitnehmer „zwangsbeurlauben“ kann oder gar muss, die ihre Ansprüche trotz Aufforderung nicht geltend machen. Vieles spricht dafür, dass es nicht Arbeitnehmern allein obliegen darf, ihr Einkommen zu Lasten der Erholung und des Arbeitsergebnisses zu optimieren.