Fällt das Entgelt einer Frau geringer als das vom Arbeitgeber mitgeteilte Entgelt männlicher Kollegen in vergleichbarer Position aus, begründet dies die widerlegbare Vermutung, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts nach § 22 AGG vorliegt.
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
ein Grundsatz, der im Jahr 2021 zwar selbstverständlich klingt, ja sogar in den EU-Verträgen (Art. 57 Abs. 1 AEUV) und seit dem 06. Juli 2017 auch im Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen (EntgTranspG) verankert, aber längst nicht Realität in der Unternehmenswelt ist. Unzählige Statistiken belegen, dass Frauen in Deutschland noch immer weniger als Männer verdienen – trotz gleicher bzw. gleichwertiger Arbeit. Die Ursache liegt auf der Hand: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Deutschland längst noch keine Selbstverständlichkeit. Beides unter einen Hut zu bringen, ringt vielen Frauen unverändert das Maximum ihrer Leistungsfähigkeit ab. Nicht zuletzt nehmen Frauen häufig schlechtere Bezahlung sehenden Auges in Kauf. Sie kämpfen nicht um eine Entgelterhöhung – häufig aus Angst, in einem anderen Job Beruf und Familie nicht (mehr) vereinbaren zu können. Und mal ehrlich, welcher Arbeitgeber nimmt das nicht auch – zumindest in Teilen – so hin?
Jetzt hat eine Frau das Differenzgehalt zwischen ihrem Entgelt und dem Entgelt entsprechender männlicher Vergleichspersonen bis zum Bundesarbeitsgericht eingeklagt – und letztendlich Recht bekommen. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 21. Januar 2021 (Az.: 8 AZR 488/19) entschieden, dass es regelmäßig eine vom Arbeitgeber widerlegbare Vermutung der Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts begründe, wenn bei der Klage einer Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG) deren Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichspersonen.
Zum Fall
Die bei der beklagten Arbeitgeberin als Abteilungsleiterin beschäftigte Klägerin erhielt im August 2018 eine Auskunft nach §§ 10 ff. EntgTranspG. Daraus ging unter anderem hervor, dass die Klägerin im Vergleich zu den männlichen Abteilungsleitern sowohl ein niedrigeres Grundgehalt als auch eine geringere Zulage entsprechend dem nach § 11 Abs. 3 EntgTranspG “auf Vollzeitäquivalente hochgerechneten statistischen Median” erhielt.
Mit ihrer Klage nahm die Angestellte ihren Arbeitgeber – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt sowie der ihr gezahlten Zulage und der ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelte für die Monate August 2018 bis Januar 2019 in Anspruch.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht gab der Klage zunächst statt. In zweiter Instanz änderte das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts und wies die Klage ab (LAG Niedersachsen, Urteil vom 01. August 2019 – 5 Sa 196/19). Die Berufungsinstanz führte aus, es lägen keine ausreichenden Indizien im Sinne von § 22 AGG vor, die die Vermutung begründeten, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfahren habe.
Das Bundesarbeitsgericht entschied allerdings mit Urteil vom 21. Januar 2021 (Az.: 8 AZR 488/19), dass die Klägerin gegenüber den ihr von der Beklagten mitgeteilten männlichen Vergleichspersonen eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG erfahren habe, denn ihr Entgelt war geringer als das den Vergleichspersonen gezahlte. Dieser Umstand begründet für das Bundesarbeitsgericht die – von der Beklagten widerlegbare – Vermutung im Sinne des § 22 AGG, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung “wegen des Geschlechts” erfahren habe. Da das Bundesarbeitsgericht letztlich nicht feststellen konnte, ob die Beklagte diese Vermutung den Vorgaben in § 22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt hat, und den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vorbringen zu geben ist, wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung letztlich an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Gerechte Gehaltsstrukturen in Unternehmen?
Arbeitgeber kennen den Grundsatz “gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit”. Dieser ist seit jeher Forderung der Gewerkschaften. Viele Unternehmen haben auch schon seit Jahren mit entsprechenden Entlohnungssystemen die Grundlage für ein gerechtes Entlohnungsprinzip von Frauen und Männern gelegt. Das ist auch gut so – aber wie immer steckt der Teufel im Detail.
Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Januar 2021 wurde die Messlatte für Arbeitgeber nun hoch gehängt. Ein Arbeitnehmer hat ohnehin schon seit Juli 2017 nach § 10 EntgTranspG einen individuellen Auskunftsanspruch über die Entgeltbestandsteile von Kollegen, die gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten (Vergleichstätigkeiten) ausüben. Darüber hinaus nimmt das Bundesarbeitsgericht nun im Falle eines geringeren Entgeltes einer Frau im Verhältnis zu männlichen Vergleichspersonen bei gleicher bzw. gleichwertiger Tätigkeit an, dass im Sinne von § 22 AGG eine widerlegbare Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts vorliegt. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden, sondern eine konsequente Umsetzung geltenden (EU-)Rechts.
Es darf sich jeder Arbeitgeber daher kritisch fragen, ob seine Gehaltsstrukturen tatsächlich diesen hohen Anforderungen an das Gebot “gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit” entsprechen. Erhalten tatsächlich alle Frauen aktuell das gleiche Entgelt wie ihre männlichen Kollegen bei gleicher bzw. gleichwertiger Arbeit? Könnte der Arbeitgeber gegebenenfalls die Vermutung widerlegen, dass, wenn eine Mitarbeiterin in seinem Unternehmen für gleiche oder gleichwertige Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, dies nichts mit einer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu tun hat? Entscheidend dürfte an dieser Stelle häufig sein: Kann der Arbeitgeber all diese Fragen auch für Führungskräfte bejahen? Im vorliegenden Fall ging es nämlich um eine Abteilungsleiterin, die mit ihren Differenzlohnansprüchen Erfolg hatte. Gerade bei Führungskräften divergiert häufig die Bezahlung. Die Gründe dafür sind vielschichtig, letztlich beruht die Vergütung von Führungskräften häufig auf dem Verhandlungsgeschick des Einzelnen. Bleiben dabei insbesondere Frauen auf der Strecke, kann das im Einzelfall für den Arbeitgeber teuer werden.
Fazit
Unternehmen kann nicht deutlich genug vor Augen geführt werden, wie ratsam es ist, von Anfang an gerechte Entgeltstrukturen bis in die Führungsebenen zu etablieren und gegebenenfalls diese anzupassen und möglicherweise offenzulegen.