Der Referentenentwurf zur virtuellen Hauptversammlung

RA Sebastian Goslar, Latham & Watkins

Die Unternehmenspraxis hat an der coronabedingt eingeräumten Möglichkeit, Hauptversammlungen rein virtuell abhalten zu können, großen Gefallen gefunden. Der Koalitionsvertrag der „Ampel-Koalition“ enthält entsprechend die Absicht, Online-Hauptversammlungen dauerhaft zu ermöglichen. Am 9.2.2022 hat das Bundesjustizministerium dieser Absichtsbekundung folgend den Referentenentwurf (RefE) eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften vorgelegt.

Der RefE sieht vor, dass die Satzung entweder das virtuelle Format selbst anordnen oder den Vorstand entsprechend ermächtigen kann. Lediglich bis August 2023 soll die virtuelle HV noch ohne eine solche Ermächtigung möglich sein, um den Gesellschaften die Möglichkeit zur Herbeiführung einer Satzungsänderung zu geben. Die virtuelle HV soll vollwertig neben der weiterhin möglichen – und den gesetzlichen Regelfall bildenden – Präsenzversammlung stehen, und zwar für alle denkbaren Beschlussgegenstände.

Hinsichtlich der Ausgestaltung der virtuellen HV lehnt sich der RefE eng an die Regelung in § 1 Abs. 2 COVMG an, doch gibt es einige beachtliche Unterschiede. Bestehen bleiben die Verpflichtung zur Übertragung der gesamten Versammlung in Bild und Ton, die Möglichkeit der Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation, die elektronische Widerspruchsmöglichkeit sowie die erst zur HV-Saison 2021 eingeführte Bestimmung, dass rechtzeitig und auch sonst ordnungsgemäße Gegenanträge und Wahlvorschläge als in der Versammlung gestellt zu behandeln sind. Bedeutsame Änderungen erfahren hingegen die Rechte der Aktionäre im Zusammenhang mit der HV. Das Auskunftsrecht nach § 131 Abs. 1 AktG kann so gewährt werden, dass die Aktionäre ihre Fragen im Wege der elektronischen Kommunikation in der Versammlung stellen können. Es soll künftig aber auch angeordnet werden können, dass Fragen – ggf. in einem angemessen beschränkten Umfang – bis zu vier Tage vor der HV eingereicht werden müssen, wobei diese Fragen dann allen Aktionären vor der HV zugänglich zu machen sind. Ferner ist den Fragen einreichenden Aktionären ein Nachfragerecht in der HV einzuräumen. Der Vorstandsbericht oder sein wesentlicher Inhalt sind spätestens sechs Tage vor der HV zugänglich zu machen.  Darüber hinaus soll die bislang schon teilweise geübte Praxis, Aktionären die Einreichung von Stellungnahmen zu den Gegenständen der Tagesordnung im Wege elektronischer Kommunikation oder per Videobotschaften zu ermöglichen, zur Pflicht erhoben werden, wobei auch hier eine Frist von vier Tagen vor der HV für die Übermittlung vorgesehen werden kann. Auch ist Aktionären in der HV grundsätzlich eine Redemöglichkeit im Wege der Videokommunikation sowie das Recht zur Übermittlung von Anträgen, die keine Gegenanträge sind, in der HV zu gewähren. Das COVMG sah einen weitgehenden Anfechtungsausschluss vor. Daran hält der RefE nicht fest. Anfechtungsrisiken werden nur adressiert, soweit sie aufgrund technischer Störungen entstehen.

Nachdem Verbänden nur bis zum 11.3.2022 Gelegenheit zur Stellungnahme zum RefE gegeben wurde, ist mit einem zügigen Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens zu rechnen. Zu hoffen bleibt freilich, dass der Gesetzgeber einzelne Elemente der virtuellen HV auf die Präsenzveranstaltung überträgt, um deren Attraktivität sowohl für Gesellschaften als auch institutionelle Investoren zu steigern.

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