Wie stark kann ein Arbeitgeber das Erbringen der Arbeitsleistung selbst überprüfen und das Arbeitsverhältnis gar an diese Kontrolle knüpfen? In den Niederlanden widersetzte sich ein Arbeitnehmer erfolgreich innovativen Überwachungsforderungen seines Arbeitgebers, wie im Oktober 2022 das Gericht Zeeland-West Brabant entschied.
Sachverhalt
Dreieinhalb Jahre nach Aufnahme seiner Tätigkeit als Vertriebsmitarbeiter aus dem heimischen Arbeitszimmer änderte die Arbeitgeberin (Chetu Inc. mit Sitz in Florida) kurzfristig die Arbeitsanforderungen. Am 23.8.2022 ordnete sie die sofortige Teilnahme des Beschäftigten an einem „Corrective Action Program (CAP) – Virtual Classroom“ an. Dazu sollte der Arbeitnehmer den ganzen Arbeitstag über eingeloggt sein, seinen Bildschirm freigeben und seine Kamera eingeschaltet lassen. Zwei Tage nach der ersten Anforderung erinnerte die Chetu den Beschäftigten an die Anweisung, woraufhin dieser am selben Tag darauf verwies, sich unwohl zu fühlen, wenn er 9 Stunden am Tag von einer Kamera überwacht werden würde. Gegen die Freigabe des Bildschirms machte er dagegen keine Einwände geltend. Am 26.8.2022 forderte Chetu noch zweimal das Einschalten der Kamera, wogegen sich der Beschäftigte erneut mit der Begründung vom Vortag weigerte. Am selben Abend kündigte die Gesellschaft das Arbeitsverhältnis außerordentlich und begründete das lediglich mit den Stichworten Arbeitsverweigerung und Ungehorsam.
Entscheidung
Das vom Arbeitnehmer angerufene Gericht hielt die außerordentliche Kündigung für unwirksam und verurteilte die Arbeitgeberin zur Zahlung von mehr als 70.000 EUR. Neben offenen Gehaltsansprüchen, Vergütung für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist sowie einer Übergangsentschädigung wegen der Arbeitgeberkündigung hat das Gericht darin auch 50.000 EUR als Entschädigung für die unwirksame außerordentliche Kündigung selbst zugesprochen.
Begründung
Dazu stellte das Gericht fest, dass die außerordentliche Kündigung schon keine Angaben zu Art, Schwere und Zeitpunkt des vermeintlichen Fehlverhaltens des Beschäftigten enthält, damit die niederländischen Anforderungen an außerordentliche Kündigungen verfehlt und bereits deshalb Grund für eine Entschädigung besteht.
Dennoch setzt sich das Gericht auch mit der Forderung der Arbeitgeberin zur dauerhaften Einschaltung der Kamera auseinander. Dabei lässt das Gericht die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) außen vor, da es eine bloße Bildübertragung der Kamera ohne Aufzeichnung unterstellt, dafür den Anwendungsbereich der DSGVO verneint und das Vorgehen allein am Recht auf Privatheit aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) misst. Die Einschaltung der Kamera würde das Recht auf Achtung des Privatlebens des Beschäftigten verletzen, ohne dass es dafür einen rechtfertigenden Grund gibt. Damit war die Weisung der Arbeitgeberin zur Einschaltung der Kamera nicht zumutbar, so dass die Weigerung des Beschäftigten – wenn das überhaupt der Grund sein sollte – keinen dringenden Grund für die fristlose Kündigung darstellt.
Zur Begründung führte das Gericht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 28.11.2017 (Antović und Mirković gegen Montenegro – 70838/13) an, wobei dem Fall eine Speicherung von Videoüberwachungsdaten am Arbeitsplatz – einem Universitätshörsaal – zugrunde lag. Allerdings hatte der EGMR dort festgehalten, dass die Achtung des Privatlebens weiterbestehe, auch wenn es „so weit wie notwendig“ beschränkt werden könnte. Im niederländischen Fall ist jedenfalls nicht ersichtlich, warum überhaupt eine so starke Einschränkung der Privatsphäre notwendig sein sollte.
Wie lässt sich das übertragen?
In Deutschland würde ein vergleichbarer Fall – bloße Videoübermittlung, keine Aufzeichnung – von § 26 Abs. 7 BDSG erfasst. Danach gelten die nationalen Datenschutzvorschriften über die DSGVO hinaus auch dann, wenn Beschäftigtendaten ohne Speicherung in einem Dateisystem verarbeitet werden. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG müsste die Verarbeitung (dauerhafte Beobachtung) für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses „erforderlich“ sein, was regelmäßig nicht der Fall sein dürfte. Theoretische Ausnahmen sind Gefahrensituationen, in denen die Beobachtung dem Schutz der Beschäftigten (und der Unterstützung) in kritischen Situationen dient. Zudem wären auch die Rechte Dritter Personen zu berücksichtigen, etwa der Haushaltsmitglieder der Beschäftigten bei Tätigkeiten im Homeoffice. Damit wäre eine solche Beobachtung unzulässig, die Weigerung eines Beschäftigten zur Einschaltung der Kamera folgenlos.
Entsprechendes gilt für die Forderung zur dauerhaften Freischaltung des Bildschirms. Von zeitlich begrenzten Ausnahmen abgesehen (etwa Lernkontrollen, wenn sich der Erfolg nur durch die Demonstration eines Vorgehens am eigenen Bildschirm darstellen lässt) wird eine Beobachtung des Bildschirms für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses nicht erforderlich und damit auch nicht zulässig sein.
Kann Einwilligenden Unrecht geschehen?
Ein Ausweichen auf eine Einwilligung der Beschäftigten würde nicht helfen. Einerseits sind die Anforderungen an die erforderliche Freiwilligkeit der Erklärung aufgrund der Abhängigkeit der Beschäftigten hoch. Andererseits kann ein Arbeitnehmer, der die Beobachtung (bzw. die Einwilligung dazu) verweigert, aufgrund dieser Haltung gerade nicht entlassen werden. Zudem wäre eine Einwilligung durch die Beschäftigten jederzeit für die Zukunft widerrufbar, selbst wenn sie beispielsweise im Arbeitsvertrag (wie auch immer „freiwillig“ und ohne Zwang, gerade bei Vertragsabschluss) erteilt worden wäre.
Eine darüberhinausgehende, wirksame vertragliche Vereinbarung der „Beobachtung“ ist nur in den Ausnahmefällen denkbar, in denen die Beobachtung selbst (oder wohl eher die Aufzeichnung) gerade Teil der Leistungserbringung ist. Beispiele dafür könnten Modell-Verträge (Big-Brother) oder Bildschirm-Aufzeichnungen von der Lösung von Computerspielen sein, für die allgemeine Büroarbeit scheint es wenig relevant.
Aber im echten Büro …
Auch ein Vergleich mit der Situation im Präsenzbüro hilft nicht weiter. Tatsächlich kann die Arbeitgeberin das Verhalten der Beschäftigten auch im Büro dauerhaft beobachten. Allerdings müsste sie sich auch in diesem Fall an die Anforderungen von § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG halten, die Beobachtung müsste „für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich“ sein. Die rechtliche Bewertung derartiger Fälle (Platzierung einer Person für den gesamten Arbeitstag unmittelbar neben dem zu beobachtenden Beschäftigten, die sich still verhält und Notizen macht) durch Gerichte ist bislang übersichtlich, möglicherweise auch, weil Arbeitgeberinnen „besseres“ zu tun haben. Eine lediglich gelegentliche Beobachtung im Präsenzbüro ist mit der dauerhaften Überwachung durch Kamera und Bildschirmübertragung daher kaum vergleichbar, das Argument scheint vorgeschoben.
Und was kostet das?
Eine unwirksame Arbeitgeberkündigung – etwa wegen der zulässigen Weigerung des Beschäftigten, die Kamera einzuschalten – beendet in Deutschland das Arbeitsverhältnis nicht. Stellt ein Gericht die Unwirksamkeit fest, steht Beschäftigten die Fortzahlung der Vergütung bis zum Zeitpunkt der Feststellung zu, auch wenn bis dahin keine Arbeitsleistung erbracht wurde (Verzugslohnanspruch). Ein Schadenersatzanspruch wegen der unwirksamen Kündigung besteht dagegen nicht.
Hat die Arbeitgeberin unzulässige Datenverarbeitungen durchgeführt (im niederländischen Fall war das nur beabsichtigt), stehen Beschäftigten Schadenersatzansprüche zu. Diese ergeben sich direkt aus der DSGVO, wenn gegen sie verstoßen wird. Wird dagegen nur gegen das BDSG verstoßen (bloße Beobachtung, keine Speicherung), können betroffene Beschäftigte gegenüber ihrer Arbeitgeberin Schadenersatz wegen der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend machen.
Fazit
Arbeitgeber können ihre Beschäftigten nicht ununterbrochen beobachten. Auf die Nichtbefolgung unzulässiger Anweisungen können sie keine Kündigung stützen. Beschäftigten stehen bei unzulässigen Datenverarbeitungen durch Arbeitgeber gegen diese Schadenersatzansprüche zu.