Kaum ist das Grünbuch zum Europäischen Corporate-Governance-Rahmen veröffentlicht (die Konsultationsfrist läuft noch bis Ende Juli), kündigt die Europäische Kommission schon ein neues Grünbuch zum Europäischen Gesellschaftsrecht an. Geschehen ist dies anlässlich der Konferenz zur Zukunft des Europäischen Gesellschaftsrechts Mitte Mai 2011 in Brüssel. Erste Vorarbeiten hierfür hat eine unabhängige Reflexionsgruppe zur Zukunft des EU-Gesellschaftsrechts geleistet. Der 80-seitige Bericht dieser dreizehnköpfigen Expertengruppe, die zwischen Dezember 2010 und März 2011 insgesamt dreimal getagt hat, ist inzwischen veröffentlicht und lohnt eine sorgfältige Lektüre (Report of the Reflexion Group on the Future of EU Company Law).
Nach einer kurzen Einführung zum Entwicklungsstand des Europäischen Gesellschaftsrechts (Chapter 1: Introduction) werden drei – von der Kommission vorgegebene – Fragenkreise auf ihre rechtspolitische Reformbedürftigkeit hin analysiert: grenzüberschreitende Mobilität (Chapter 2: Cross-border mobility), Beiträge der Unternehmensführung und der Investoren zur Stärkung einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung (Chapter 3: The contribution of governance and investors to long term viability of companies) und Recht der verbundenen Unternehmen (Groups of companies).
An dieser Stelle sei nur auf das konzernrechtliche Kapitel hingewiesen, das schon für sich genommen eine Überraschung darstellt: Nach dem Scheitern des Vorschlags für eine 9. Richtlinie, die am deutschen Konzernrecht Maß genommen hatte, schien das Konzernrecht als Regelungsgegenstand des Europäischen Gesellschaftsrechts keine Zukunft mehr zu haben. Auch die Reflexionsgruppe ist weit davon entfernt, für ein engmaschig durchnormiertes Konzernrecht auf europäischer Ebene zu werben. Sie stellt aber immerhin zwei punktuelle Reformvorschläge zur Diskussion. Der erste zielt darauf ab, auf Unionsebene das Konzerninteresse als Richtschnur für die Leitungsorgane von Mutter- und Tochtergesellschaft anzuerkennen und festzuschreiben. Pate steht dabei ersichtlich die berühmte französische Rozenblum-Doktrin, aber auch das im Jahre 2003 reformierte italienische Gesellschaftsrecht, das in Art. 2497 Codice civile eine Art konzernweite Saldierung vorsieht („teoria die vantaggi compensativi“).
Der zweite Reformvorschlag ist noch innovativer: Erwogen wird eine neue EU-Richtlinie (oder eine Adaption der 12. Richtlinie), die ganz auf Einpersonen-Kapitalgesellschaften als Konzernbaustein zugeschnitten ist und internationalen Unternehmensgruppen die Möglichkeit eröffnen soll, für ihre Tochtergesellschaften unionsweit einheitliche rechtliche Strukturen zu schaffen. Für ähnliche Zwecke soll bekanntlich die Europäische Privatgesellschaft zur Verfügung stehen, über die zur Zeit intensiv verhandelt wird. Sollte ihre Verabschiedung scheitern, stünde mit einem „simplied single member company template“ schon eine mögliche Ersatzlösung bereit.