Hochtief, Australien und der deutsche Gesetzgeber

Das Übernahmeangebot der spanischen Gesellschaft ACS an die Aktionäre der deutschen HOCHTIEF AG bewegt die Gemüter. Das hängt natürlich damit zusammen, dass es sich um ein „feindliches“ Angebot handelt, also eines, das nicht mit dem Management der Zielgesellschaft – HOCHTIEF – abgesprochen wurde. Vielleicht spielt aber auch das Erstaunen – unter Umständen auch Erschrecken – eine Rolle, dass nach der „Finanzkrise“ wieder eine gewisse Normalität an die Finanzmärkte zurückgekehrt ist. Vor allem aber gibt es Unmut, weil das Gefühl da ist, die spanische Bietergesellschaft verstoße zwar mit ihrem Angebot nicht unbedingt gegen den Wortlaut, wohl aber gegen den Sinn der Bestimmungen des deutschen Übernahmegesetzes, des WpÜG.

Das betrifft vor allem zwei Punkte, die – wenngleich nicht auf den ersten Blick – miteinander zusammenhängen: Einmal orientiert sich nämlich der Angebotspreis an den gewichteten Börsenkursen, die in den letzten drei Monaten vor der Veröffentlichung des Erreichens der Kon­trollschwelle gezahlt wurden (§ 5 WpÜG-AngebVO). Bei steigenden Kursen ist das dann nach § 35 Abs. 2 WpÜG auszulegende Pflichtangebot für die anderen Aktionäre wenig attraktiv: Denn es reflektiert nur den „Wert-Status“ der Gesellschaft bei Erreichen der Schwelle, nicht aber ihre „Entwicklungsperspektive“. Andererseits kann der Bieter im Anschluss an das „lustlose Angebot“ ungeniert seine Mehrheit ausbauen, ohne erneut ein Angebot auslegen zu müssen. Sicher: Welches der Wert einer Gesellschaft ist – und der soll ja im Preis des Pflichtangebots reflektiert werden – ist hochgradig streitig. Denn man kann natürlich argumentieren, dass die steigenden Kurse Ausdruck der Spekulation auf das kommende Pflichtangebot sind – und deshalb den Wert der Zielgesellschaft, den es auf alle Aktionäre zu verteilen gilt, nicht richtig reflektieren. Aber das weiß man nicht: Denn es kann auch so sein, dass dahinter die sich kontinuierlich verbessernde Performance der Zielgesellschaft steht. Andere Rechtsordnungen – wie etwa Österreich – sehen vor diesem Hintergrund zu Recht einen erneuten Pflichtangebotszwang vor, um ein solches creeping in zu verhindern. Im Ansatz richtig verlangt deshalb die SPD in einem Entwurf zur Änderung des WpÜG eine Übernahme dieser Regelungen auch in das deutsche Recht. Problematisch ist freilich die Anwendung einer möglicherweise geänderten Rechtsregel auf diesen konkreten Fall. Denn selbst wenn hier (vielleicht) das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot nicht berührt sein sollte, so geht es doch um das Vertrauen des Kapitalmarkts in den (Fort-)Bestand vorhandener Regeln und damit auch pflichtangebotsfreier Mehrheitspositionen, das nicht ohne Weiteres enttäuscht werden sollte.

Daher kommt der zweite Gesichtspunkt ins Spiel: HOCHTIEF ist mit Mehrheit an der börsennotierten australischen Gesellschaft Leighton beteiligt. Nach eindeutigem Wortlaut des deutschen Übernahmegesetzes (§ 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) verlangt deutsches Recht – übereinstimmend mit der ihm zugrunde liegenden EU-Übernahmerichtlinie –, dass ein Pflichtange­bot auch bei einer bloß „mittelbaren“ Kontrolle über eine Zielgesellschaft ausgelegt wird. Diese Voraussetzungen sind (jedenfalls) dann erfüllt, wenn – wie hier – eine Muttergesellschaft mit mehr als 50% der Stimmrechte an einer Tochtergesellschaft beteiligt ist. Handelte es sich bei Leighton also um eine deutsche Tochtergesellschaft, müsste auch deren außenstehenden Aktionären ein Pflichtangebot gemacht werden. Gleiches gälte im Hinblick auf die Angleichung dieser Frage durch die EU-Übernahmerichtlinie nach den anderen europäischen Rechten, handelte es sich um eine in einem anderen EU-/EWR-Staat ansässige Gesellschaft.

In Bezug auf Australien als „Drittstaat“ ist dies anders, weil australisches Übernahmerecht ein Pflichtangebot im Fall eines bloß mittelbaren Kontrollerwerbs nicht – jedenfalls nicht zwingend – verlangt und der deutsche Gesetzgeber seine internationale Zuständigkeit hinsichtlich ausländischer Gesellschaften (auch wenn sie Tochtergesellschaften deutscher Gesellschaften sind) und solange ihre Aktien nicht in Deutschland an einem organisierten Markt notiert sind, verneint hat. Denn er geht auf der Grundlage der bislang vorherrschenden Vorstellung davon aus, dass in einer solchen Situation deutsche gesellschaftsrechtliche Interessen (die ja auch Teil des übernahmerechtlichen Schutzinstrumentariums sind) nicht betroffen sind, und dass der für den Marktort zuständige Gesetzgeber die nach seiner Sicht unter Marktgesichtspunkten zuständigen Regelungen zu treffen in der Lage ist.

Die dem zugrunde liegende Annahme ist aber durchaus angreifbar: Denn bei dem Zwang, ein Pflichtangebot auch hinsichtlich bloß mittelbar kontrollierter Gesellschaften auszulegen, geht es ja auch darum, die Zahlung eines angemessenen Preises für das gesamte Ziel-Unternehmen – und damit auch die deutsche Muttergesellschaft – zu erreichen. Das wirft dann die Frage auf, warum der deutsche Gesetzgeber nicht versucht, das hier – im internationalen Kapitalmarktrecht – liegende Defizit des deutschen Übernahmerechts zu beseitigen, zumal dabei Vertrauensschutzerwägungen nicht angebracht sind: Denn das Vertrauen darauf, dass eine deutsche und europäische Rechtsregel auf dem „Umweg“ über das Ausland unterlaufen werden kann, dürfte nicht schutzwürdig sein.

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