Am Wochenende sind Hilfsmaßnahmen für die Republik Irland im Umfang von bis zu 85 Mrd. Euro beschlossen worden. Dabei ist auf den „Rettungsschirm“ zurückgegriffen worden, der mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro nach der Schuldenkrise von Griechenland am 9. 5. 2010 zur Wahrung der Finanzstabilität in Europa beschlossen worden war. Das Vereinigte Königreich und Schweden, die keine Euroländer sind, haben sich auf bilateraler Basis beteiligt.
Der europäische Rettungsschirm, der bis 2013 befristet ist, setzt sich aus drei Bestandteilen zusammen:
- dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus („European Financial Stability Mechanism“ – EFSM) in Höhe von 60 Mrd. Euro, der aus Mitteln der EU finanziert wird
- dem Europäischen Finanzstabilisierungsfonds („European Financial Stability Facility – EFSF) in Höhe von 440 Mrd. Euro, der von den Mitgliedsstaaten der EU getragen wird, die den Euro eingeführt haben
- Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Umfang von bis zu 250 Mrd. Euro.
Die ersten beiden Bestandteile unterscheiden sich wesentlich dadurch, dass im Rahmen des EFSM alle Mitgliedsstaaten der EU an den Lasten (mittelbar) beteiligt sind, während die Lasten aus dem ESFS nur die Euroländer zu tragen haben.
Sowohl die Errichtung des Rettungsschirms als auch die konkreten Maßnahmen werden häufig damit gerechtfertigt, dass sie erforderlich seien, um die Stabilität der gemeinsamen Währung der EU, des Euro, zu wahren und um ein Auseinanderbrechen der Eurozone oder gar der gesamten EU zu verhindern. Diese Argumentation ist politisch gut nachvollziehbar, verstellt aber den Blick dafür, dass es im Kern nicht um den Euro geht, sondern um die Rettung von Banken; nicht nur von irischen Banken, sondern auch den Banken, die Irland und irischen Banken in einem unvertretbaren Ausmaß Kredite gewährt haben. Deren (erneute) Rettung lässt sich aber dem Wähler sehr viel schlechter vermitteln als eine Rettung der gemeinsamen Währung.
Bei aller Komplexität der gegenwärtigen Krise und ihren Ursachen hat es sich von Anfang an um eine Krise von Finanzinstituten, vor allem eine Krise von einigen wenigen Großbanken, gehandelt. In zweiter Linie handelt es sich um eine Krise der Staaten, die sich zu hoch verschuldet haben. Aber auch das war nur mit Hilfe von Finanzinstituten, vor allem von Großbanken, möglich. Obwohl von Analysten und Politikern gerne herbeigeredet, handelt es sich nicht primär um eine Währungskrise, vor allem auch nicht eine Krise des Euro, selbst wenn die Folgewirkungen der Krise auch die Währung in Mitleidenschaft ziehen können. Im Gegenteil hat der Euro durch seine bloße Existenz stabilisierend gewirkt, aber auch die umsichtige Politik der EZB.
So verwundert es nicht, wenn im Grundsatz die Rettungsaktion von der Finanzwirtschaft begrüßt wird: „Goldmann und Sachs lobt die Geschwindigkeit der politischen Einigung, die Konzentration auf die Kapitalisierung der irischen Banken und die lange Laufzeit der Kredite an Irland.“ (FAZ vom 30. 11. 2010, Seite 19). Man würde es nicht glauben, wenn es nicht bittere Realität wäre: Die Regierungen großer Staaten als Musterschüler, die gute Noten erhalten, wenn sie hastig Maßnahmen ergreifen, von denen vor allem große Finanzinstitute profitieren. Selbstverständlich sollen derartige Maßnahmen jetzt und auch künftig nicht die Verursacher der Krise, die Finanzwirtschaft, belasten. „Erleichterung machte sich in der Londoner City breit, dass Gläubiger erstrangiger Bankanleihen von einer Lastenverteilung bei Banksanierungen verschont bleiben.“ (FAZ vom 30. 11. 2010).
Der dadurch erzeugte Eindruck kann nur als verheerend bezeichnet werden: Die Politik hat das zu tun, was „die“ Märkte sich wünschen. Sie agiert nicht mehr, sondern wird von anonymen Mächten vor sich her getrieben: Rettung großer Banken, die sich verspekuliert haben, Schutzschirme für Griechenland, Irland und demnächst Portugal. Der Versuch, die Verursacher der Krise, die in ihrem Vorfeld viel Geld verdient haben und zum Teil immer noch verdienen, an den Lasten von Rettungsaktionen zu beteiligen, hat zu unterbleiben.
Allerdings sind die Staatsleitungen nicht unschuldig an dieser Entwicklung. Sie haben sich durch das nicht vertretbare Anhäufen von Schulden in die Gewalt ihrer Gläubiger begeben. Wenn jetzt ein Neuabschluss oder eine Verlängerung von Krediten ansteht, ist es nicht verwunderlich, dass die Konditionen verschlechtert werden oder überhaupt keine Kredite mehr gewährt werden. Das ist im Wirtschaftsleben nicht ungewöhnlich, aber von den staatlichen Entscheidungsträgern weitgehend verdrängt worden.
Auch sind sie viel zu unkritisch den Sirenengesängen von Deregulierung und Privatisierung gefolgt. Großkanzleien und Unternehmensberater haben sich im Kern der Staatstätigkeit breit gemacht. Zahlreiche Vorschriften, die sehr viel Sinn gemacht haben und auf langjährigen Erfahrungen beruhten, sind in den letzten zehn Jahren so „reformiert“ worden, dass die Finanzwirtschaft in diesem Maße außer Kontrolle geraten konnte, wie es geschehen ist. Zum Teil haben ihre Vertreter in den Ministerien gesessen und an der Formulierung der Gesetze mitgewirkt. Auch wenn Großkanzleien, deren beste Klienten sonst Finanzinstitute und Finanzdienstleister sind, Gesetzentwürfe erstellen, braucht man sich über die Ergebnisse nicht zu wundern, selbst wenn nach bestem Wissen loyal für die neuen Auftraggeber gearbeitet wird. Es macht eben doch einen Unterschied, ob ein privates Steuersparmodell mit überaus verschachtelten gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen entwickelt wird oder ein Gesetz entworfen wird, das hoheitliche Eingriffe ermöglichen soll.
Hier ist eine grundlegende Änderung unverzichtbar. Vor allem müssen alle gesetzlichen Vorschriften überarbeitet werden, in denen unterschiedslos alle Anleihen von Staaten und der ihnen nachgeordneten Körperschaften („sovereign debt“) gleich behandelt werden. Das Risiko einer Griechenlandanleihe wird in der Solvabilitätsverordnung ebenso mit Null angesetzt wie einer Bundesanleihe. Dann ist es Kreditinstituten nicht zu verdenken, wenn sie die Anleihen von Griechenland, Irland und Portugal in einem Ausmaß erwerben und halten, das existenzbedrohend werden kann. Detailverbesserungen der ohnehin schon überaus umfangreichen und komplizierten Regeln des Bankenaufsichtsrechts reichen nicht aus und erhöhen im Gegenteil die schon jetzt aus rechtsstaatlichen Gründen inakzeptable Komplexität der Regelungen und vergrößern damit auch die Umgehungsmöglichkeiten.