Überwachungsorgane: Die eigene Qualifizierung im Auge behalten

 
 
 

RA Peter Lindt, Partner bei Rödl & Partner, Nürnberg

Die Masternorm zu den Aufsichtsratspflichten umfasst gerade sieben Worte: Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen, § 111 Abs. 1 AktG. Die erfreuliche Knapp- und Klarheit sollte nicht dazu führen, den tatsächlichen Pflichtenumfang als Mitglied eines Überwachungsorgans zu unterschätzen. Und: Ohne ausreichende Qualifizierung kann den Pflichten kaum genügt werden.

Ein breiter Pflichtenkatalog…

Die Überwachungspflicht ist in zahlreiche Einzelpflichten aufgefächert, die in ebenso zahlreichen Einzelnormen niedergelegt sind. Die Geschäftsführung ist zu überwachen, aber nicht nur im Unternehmen, sondern im gesamten Konzern, ebenso das vom Vorstand einzurichtende Risikoüberwachungssystem, Berichterstattungen sind zur Kenntnis zu nehmen, zustimmungspflichtige Geschäfte festzulegen und die Rechnungslegung zu kontrollieren, um nur einen Ausriss der Pflichten zu benennen. Die Gesetzgebung hat den Pflichtenkatalog in den vergangenen Jahren so erweitert, die Rechtsprechung ihn so verschärft, dass die Literatur von einem „Quantensprung“ spricht (Lutter, DB 2009 S. 775).

…der auch ernst zu nehmen ist

Werden die Pflichten mit einer Schadensfolge für das Unternehmen verletzt, ist die Folge klar: Die persönliche Haftung der Mitglieder des Überwachungsorgans, §§ 116, 93 AktG. Wie ernst Pflichtenumfang und Haftungsrisiken zu nehmen sind, verdeutlicht die aktuelle Häufung prominenter Fälle beabsichtigter Inanspruchnahmen der Mitglieder von Überwachungsorganen: Im brandenburgischen Doberlug-Kirchhain forderte der Insolvenzverwalter der Stadtwerke GmbH von den Mitgliedern des (fakultativen) Aufsichtsrats Schadensersatz, weil es der Aufsichtsrat pflichtwidrig zugelassen habe, dass die Geschäftsführung trotz Eintritts der Insolvenzreife Zahlungen i. S. des § 64 Satz 1 GmbHG vornahm. Zwar lehnte der BGH den Anspruch mit seiner Entscheidung vom 20. 9. 2010 schlussendlich ab, noch das OLG Brandenburg sah ihn aber als gegeben an. In Dresden sieht sich derzeit der von der Stadt in eine Gesellschaft als Aufsichtsrat entsandte Finanzbürgermeister wegen vorgetragener schwerwiegender Sorgfaltspflichtverletzungen persönlich mit einer Klage konfrontiert. Und der Vorstand der BayernLB möchte die früheren Vorsitzenden des Verwaltungsrats wegen des Debakels aus dem Erwerb der österreichischen Hypo Group Alpe Adria in Regress nehmen.

Klar ist, dass mit der Pflichtenbreite nicht verlangt werden kann, dass jedes Aufsichtsratsmitglied sämtliche Pflichten persönlich ausfüllen kann. Auch deshalb können aus der Mitte des Aufsichtsrats Ausschüsse zur Entscheidungsvorbereitung gebildet werden (§ 107 Abs. 3 Satz 1 AktG). Unter die Mindestkenntnisse allgemeiner, wirtschaftlicher, organisatorischer und rechtlicher Art, die erforderlich sind, um alle üblicherweise anfallenden Geschäftsvorgänge ohne fremde Hilfe verstehen und beurteilen zu können, darf aber kein Mitglied des Überwachungsorgans „rutschen“.

Nicht umsonst empfehlen sowohl der Deutsche Corporate Governance Kodex (für börsennotierte Gesellschaften) wie der Public Corporate Governance Kodex (für nicht-börsennotierte Gesellschaften des Bundes) – die Kodizes haben natürlich Ausstrahlungswirkung -, bei Vorschlägen zur Wahl von Aufsichtsräten darauf zu achten, dass dem Aufsichtsrat „jederzeit“ (DCGK 5.4.1) bzw. „nur“ (PCGK 5.2.1) Mitglieder angehören, „die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen“.

Der Verweis auf fehlende eigene Qualifikation kann nicht entlastend wirken, wenn ein Schadensfall darauf zurückzuführen ist, dass die Mitglieder des Überwachungsorgans erhaltene Informationen nicht richtig bewerten – und dann die notwendigen Schritte ableiten – konnten. Die Mitglieder von Überwachungsorganen sollten Sicherung und Ausbau der eigenen Qualifizierung deshalb stets im Blick behalten und bei einzeln oder kollektiv erkannten Kenntnislücken Weiterbildungen einfordern. Denn eines sollte auf der Hand liegen: Der „Schmerz“ aus dem Offenbarenmüssen einer eigenen Kenntnislücke geht wesentlich weniger tief als die spätere Konfrontation mit einer Regressforderung.

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