Am 26. 11. 2010 hat der Bundesrat das Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung zugestimmt (BR-Drucks. 681/10). Das Gesetz soll am 31. 12. 2010 in Kraft treten. Zur Organhaftung bestimmt § 93 Aktiengesetz (AktG), dass die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben (Abs. 1). Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast (Abs. 2). Nach dem jetzt neu gefassten § 93 Abs. 6 AktG verjähren derartige Organhaftungsansprüche bei Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, in zehn Jahren, bei anderen Gesellschaften – wie bisher – in fünf Jahren. Über § 116 AktG gilt dies auch für Mitglieder des Aufsichtsrates.
Schon die rechtspolitische Rechtfertigung der Verdoppelung der Verjährungsfrist ist indessen fragwürdig: In der börsennotierten AG würden Ersatzansprüche seltener geltend gemacht als in nicht börsennotierten Gesellschaften. Dafür wird allerdings in den Gesetzesmaterialien kein empirischer Beleg angeführt, sondern schlicht auf die Annahme verwiesen, wegen des bei börsennotierten Gesellschaften gegebenen Aktienstreubesitzes liege ein Sanktionsdefizit in der Natur der Sache. Richtig ist daran allenfalls, dass die börsennotierte Gesellschaft zur Vermeidung von Reputationsschäden eher geneigt sein wird, einen Schadensersatzprozess zu vermeiden, dass aber andere Sanktionen durchaus greifen (Abberufung, fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages, Verlust des Ruhegehalts). Von einem Sanktionsdefizit kann also keine Rede sein.
Problematisch erscheint hinsichtlich der praktischen Auswirkungen vor allem, dass die Verdoppelung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre bei börsennotierten Aktiengesellschaften das ausgeschiedene Organmitglied in schier unüberwindliche Beweisschwierigkeiten bringen kann. Diese ergeben sich aus dem Zusammenspiel der handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen mit der in § 93 Abs. 2 AktG angeordneten Beweislastumkehr im Hinblick auf das Verschulden. Insoweit hat nämlich das Organmitglied den Entlastungsbeweis zu führen, wenn in seinem Pflichtenkreis ein Schaden eingetreten ist. In – fragwürdiger – erweiternder Auslegung erstreckt die Rechtsprechung diese Beweislastumkehr sogar auf die weitere Haftungsvoraussetzung der Pflichtwidrigkeit, abweichend von den allgemeinen Regeln. Danach greift die Beweislastumkehr nur hinsichtlich des Verschuldens (§ 280 Abs.1 Satz 2 BGB). Nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung ist es Sache des verklagten Vorstandsmitglieds, die Erfüllung seiner Pflichten, das fehlende Verschulden oder aber nachzuweisen, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre.Hinzukommt, dass sich Schadenseratzklagen meist gegen ausgeschiedene Mangaer richten werden, die keinerlei Zugriff mehr auf die relevanten Unterlagen haben und die sich zudem häufig mit opportunistisch gefärbten Zeugenaussagen der im Unternehmen verbliebenen Mitarbeiter und Kollegen konfrontiert sehen werden.
Beweislücken können sich insbesondere auch aus §§ 257 HGB, 147 AO ergeben: Danach sind die empfangenen Handelsbriefe sowie Wiedergaben der abgesandten Handelsbriefe – mithin die gesamte Handelskorrespondenz des Unternehmens – nur sechs Jahre lang aufzubewahren. Wichtige – das Organmitglied möglicherweise entlastende – Unterlagen hat die Gesellschaft daher unter Umständen noch vor Ablauf der zehnjährigen Verjährungsfrist für die Organhaftung bereits vernichtet. Das dem Organmitglied von der Rechtsprechung in Ausnahmesituationen zugebilligte „Recht auf Einsicht in Urkunden“ der Gesellschaft (§ 810 BGB) geht dann ins Leere. Der Finanzausschuss des Bundestages meint dazu zwar (BT-Drucks. 17/3547 S. 15), dass die Vernichtung der Unterlagen in derartigen Fällen nicht zu Lasten des Organmitglieds gehen dürfe. Indessen bleibt völlig offen, ob dies die Gerichte künftig genauso sehen werden. Mindestens eine gesetzliche Klarstellung hätte man sich im Interesse der Rechtssicherheit gewünscht.
Für Vorstände börsennotierter Gesellschaften folgt aus der Verdoppelung der Verjährungsfrist, sich die gestiegenen Haftungsrisiken gesondert vergüten zu lassen und/oder auf entsprechend angepasste D&O-Policen zu drängen.