Mit Leitsatzurteil des Zweiten Senats (BGH-Urteil vom 19. 7. 2011 – II ZR 124/10 (DB 2011 S. 2137) hat der BGH entschieden, dass die Modalitäten der Bevollmächtigung eines Stimmrechtsvertreters und damit die Pflicht zur Anmeldung eines Bevollmächtigten nicht unter die in der Einberufung anzugebenden Bedingungen der Teilnahme an der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft oder der Ausübung des Stimmrechts fallen. In dem vorliegenden Fall hatten Aktionäre des größten Kreditinstituts Deutschlands mit Sitz in Frankfurt/M. per Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage diverse Hauptversammlungsbeschlüsse desselbigen angegriffen, da die Einladung zur Hauptversammlung Bedingungen für die Bevollmächtigung von Stimmrechtsvertretern enthielt.
In der Einladung zur Hauptversammlung hieß es unter „Teilnahme an der Hauptversammlung“ unter anderem, dass Aktionäre, die im Aktienregister eingetragen sind, ihr Stimmrecht auch durch einen Bevollmächtigten, z. B. ein Kreditinstitut oder eine Aktionärsvereinigung, ausüben lassen können, und in diesem Fall die Bevollmächtigten rechtzeitig anzumelden sind. Weiter hieß es, dass die schriftliche Vollmachterteilung auch per Telefax nachgewiesen werden kann, und sich die Bank vorbehält, im Einzelfall die Vorlage der Originalvollmacht zu verlangen.
In den vorinstanzlichen Entscheidungen des LG Frankfurt/M. und des OLG Frankfurt/M. wurde festgestellt, dass die in der Hauptversammlung ergangenen Beschlüsse nichtig seien. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung unter anderem damit begründet, dass die Einladung zur Hauptversammlung die Teilnahmebedingungen fehlerhaft angegeben habe, da sie eine rechtzeitige Anmeldung von Bevollmächtigten verlangte. Ein durchschnittlicher Aktionär würde das so verstehen, dass eine Bevollmächtigung nicht noch auf der Hauptversammlung selbst bis zum Zeitpunkt der Abstimmung erteilt werden könne. Teilnahmewillige Aktionäre wurden aufgrund der Formulierung der Einladung unter Umständen von der Hauptversammlung ferngehalten.
§ 121 Abs. 3 Satz 2 AktG in der bis Ende August 2009 geltenden Fassung des Gesetzes vom 6. 9. 1965 (BGBl. I S. 1089) lautete folgendermaßen:
„Die Einberufung ist in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. Sie muss die Firma, den Sitz der Gesellschaft, Zeit und Ort der Hauptversammlung und die Bedingungen angeben, von denen die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen.“
Ein Verstoß gegen vorstehende Vorschrift hätte gem. § 241 Nr. 1 AktG in der damals geltenden Fassung des Gesetzes vom 2. 8. 1994 (BGBl. I S. 1961) einen Nichtigkeitsgrund dargestellt.
Der BGH argumentierte in seiner Entscheidung hingegen, dass die Bedingungen der Bevollmächtigung eines Stimmrechtsvertreters und somit die Pflicht zur Anmeldung eines Bevollmächtigten nicht unter die vorgenannte gesetzliche Bestimmungen zu subsumieren sind. Die Regelung beziehe sich dem Wortlaut nach nur auf die Voraussetzungen der Teilnahme und der Ausübung des Stimmrechts durch den Aktionär selbst, und nicht auf die Voraussetzungen der Bevollmächtigung und der Ausübung des Stimmrechts durch einen Bevollmächtigten. Die angefochtenen Beschlüsse sind wegen des Einladungsmangels daher nach Ansicht des BGH nicht automatisch für nichtig zu erklären, da kein Nichtigkeitsgrund nach § 241 Nr. 1 AktG a.F. vorliegt. Ob die Beschlüsse jedoch zumindest wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz oder die Satzung gem. § 243 AktG anfechtbar sind, brauchte der BGH jedoch leider nicht mehr entscheiden, da zumindest die Anfechtungsfrist abgelaufen war.
Mittlerweile hat der Gesetzgeber reagiert und die gesetzlichen Bestimmungen in §§ 121 Abs. 3, 241 Nr. 1 AktG über den Inhalt der Einberufung und die Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen dahingehend abgeändert, dass falsche Hinweise in der Einberufung zur Hauptversammlung betreffend die Voraussetzungen der Teilnahme und der Ausübung des Stimmrechts keine zwangsläufige Nichtigkeit der dann gefassten Beschlüsse mehr zur Folge haben können. Auch wenn bei einem Gesetzes- oder Satzungsverstoß grundsätzlich die Möglichkeit der Anfechtung gem. § 243 AktG verbleibt, so unterliegt diese strengeren Voraussetzungen bezüglich Anfechtungsbefugnis und -frist.
Fraglich bleibt, ob dieses Ergebnis für Aktionäre zufriedenstellend ist. Aus Sicht eines durchschnittlichen Aktionärs können rechtliche Themen wie z. B. die Zulässigkeit der Stellvertretung auf Aktionärsversammlungen durchaus Fragen aufwerfen. Er ist daher in solchen Detailfragen auf Informationen durch die Gesellschaft oder sachkundige Dritte angewiesen und bringt der Gesellschaft ein gewisses Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben zum Verfahren entgegen. Ein solcher Hinweis auf das von der Gesellschaft angewandte oder zumindest gewünschte Prozedere zur Bevollmächtigung kann daher als rechtliche Belehrung der Gesellschaft über die Zulässigkeitsgrenzen der Stellvertretung missverstanden werden.
Während das OLG Frankfurt in der Vorinstanz gerade diesem Schutzbedürfnis der Aktionäre Rechnung getragen hat, hat dagegen der BGH mit seiner restriktiveren Gesetzesauslegung im Ergebnis dem Interesse der Gesellschaft an der Gültigkeit von Beschlüssen der Aktionärsversammlung und der allgemeinen Rechtssicherheit größeres Gewicht beigemessen. Eine ähnliche Abwägung dürfte auch der Gesetzesänderung zugrundeliegen.