Trotz Einführung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) spielt im Wirtschaftsleben der Kauf von Vorratsgesellschaften nach wie vor eine wichtige Rolle, stellen Vorratsgesellschaften doch eine einfache und rasche Möglichkeit zum Aufbau einer Gesellschaft dar. Unter Vorratsgesellschaft versteht man eine Gesellschaft, die entweder von einem Unternehmen selbst oder einem kommerziellen Dienstleister gegründet wurde, zu dem Zweck, sie selbst zu einem späteren Zeitpunkt schnell einsetzen oder einem Erwerber, z. B. einem Investor aus dem Ausland, rasch zur Verfügung stellen zu können.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht die spätere Verwendung, also das „Aktivieren“ einer solchen auf Vorrat gegründeten und im Handelsregister eingetragenen GmbH, wirtschaftlich einer Neugründung. Daher wendet der BGH die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften im GmbHG auf solche Fälle entsprechend an. Die gegenüber dem Registergericht abzugebende Versicherung der Geschäftsführer muss den Vorgaben in § 8 Abs. 2 GmbHG entsprechen. In einigen Fällen kommt darüber hinaus die Sanktion in § 11 Abs. 2 GmbHG, also eine Außenhaftung der handelnden Person, analog in Betracht. In einer kürzlichen Entscheidung (Urteil vom 12. 7. 2011 – II ZR 71/11, DB 2011 S. 2145) hatte der BGH Gelegenheit, die Voraussetzungen für eine solche Handelndenhaftung unter Bezug auf seine frühere Rechtsprechung noch einmal klar zu definieren.
Im entschiedenen Fall hatte die Klägerin den Geschäftsführer einer GmbH für die Bezahlung von bestimmten Lieferungen und Montagen in Anspruch genommen. Bereits vor der Eintragung der GmbH in das Handelsregister war der einzige Geschäftsanteil an sie übertragen worden und man hatte dies mit einer Satzungsänderung hinsichtlich u. a. des Unternehmensgegenstandes verbunden. Der Geschäftsführer meldete die Änderungen unter Abgabe der Versicherung analog zu § 8 Abs. 2 GmbHG zum Handelsregister an. Eine Eintragung der Änderungen in das Handelsregister unterblieb jedoch u. a. deshalb, weil der Kostenvorschuss nicht eingezahlt worden war. Dennoch hatte der Kläger nachfolgend Leistungen für die Gesellschaft erbracht, deren Bezahlung er nun vom Geschäftsführer verlangte.
Der BGH bestätigte das erstinstanzliche Urteil und lehnte eine Haftung des Geschäftsführers ab. Eine Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG käme nur dann in Betracht, wenn die Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung aufgenommen würden, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt hätten. Hier fehle es bereits an einer wirtschaftlichen Neugründung. Die Gesellschaft war zwar nach der Feststellung des Berufungsgerichts als Vorratsgesellschaft gegründet. Die Änderung des Unternehmensgegenstandes sowie der Wechsel des Gesellschafters und des Geschäftsführers, also die Ausstattung der Gesellschaft mit einem werbenden Unternehmen, wurde aber bereits vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister beschlossen. Der BGH betonte, dass die Handelndenhaftung gem. § 11 Abs. 2 GmbHG, also desjenigen, der vor Eintragung der Gesellschaft in deren Namen handelt und daraus Verbindlichkeiten begründet, u. a. mit der Anerkennung einer Unterbilanz- und Verlustdeckungshaftung der Gesellschaft an Bedeutung abgenommen habe. Sie diene im Wesentlichen nur noch dazu, die Fälle abzudecken, in denen für eine Geschäftstätigkeit vor Eintragung der Gesellschaft weder die Gesellschafter noch die Gesellschaft hafteten, um so den Gläubigern einen Haftungsgegner zu verschaffen. Eine Außenhaftung der handelnden Personen käme daher nur dann in Betracht, wenn vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Geschäfte aufgenommen werden, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben. Damit bestätigt der BGH seine Auffassung aus dem Jahr 2003 – entgegen dem Berufungsgericht, das die Ansicht vertreten hatte, dies entbehre einer tragfähigen dogmatischen Grundlage.
Letztlich müssen daher für eine Haftung des Geschäftsführers, der vor
Eintragung der „Aktivierung“ der Gesellschaft die Geschäfte aufgenommen hat, zwei Voraussetzungen vorliegen: zum einen müssen die Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung abgeschlossen worden sein und zum anderen muss dies ohne Zustimmung aller Gesellschafter erfolgt sein. Der BGH begründet dies damit, dass sich eine entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 2 GmbHG auf Fälle der wirtschaftlichen Neugründung auf den Zeitpunkt beziehen müsse, der auch für die Haftung der Gesellschafter relevant sei. Dies sei bei wirtschaftlichen Neugründungen der Zeitpunkt der Offenlegung, nicht jedoch – so aber die Meinung des Berufungsgerichts – der Zeitpunkt der Eintragung von ggf. mit der Neugründung verbundenen anmeldepflichtigen Änderungen des Gesellschaftsvertrages. Sollte das Stammkapital der Gesellschaft bei Offenlegung der Neugründung ganz oder in Teilen aufgebraucht sein, so greife die Unterbilanzhaftung der Gesellschafter ein. Einer zusätzlichen Handelndenhaftung bedürfe es daher nicht. Eine Ausnahme gäbe es diesbezüglich jedoch: Soweit die Angaben der Geschäftsführer nach § 8 Abs. 2 GmbHG analog nicht der Wahrheit entsprachen, so haften diese entsprechend § 9 Abs. 1 GmbHG. Im vorliegenden Fall war Letzteres jedoch nicht ersichtlich. Da eine Geschäftstätigkeit erst nach Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung erfolgte, sei daher eine Haftung des Geschäftsführers ausgeschlossen.
Geschäftsführer können durch diese Bestätigung der Rechtsprechung des BGH im haftungsträchtigen Umfeld einer wirtschaftlichen Neugründung ein wenig aufatmen. Vorsicht ist allerdings insoweit geboten, als dass die Versicherung bei Anmeldung der wirtschaftlichen Neugründungen tatsächlich den Tatsachen entsprechen muss, also insbesondere das Stammkapital weiterhin vorhanden ist und dass für den Fall, dass Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung aufgenommen werden, alle Gesellschafter dem zugestimmt haben.