Mit seinem Urteil vom 18. 10. 2011 hat der EuGH (Rs. C-34/10) entschieden, dass grundsätzlich ein Verfahren zur Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen von der Patentierung für die wissenschaftliche Forschung auszuschließen ist, wenn hierdurch die menschlichen Embryonen zerstört werden. Nicht von diesem Ausschluss umfasst sind nach Ansicht der Richter allerdings Erfindungen, die therapeutische oder diagnostische Zwecke verfolgen und auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen angewandt werden.
Im Rahmen seiner Entscheidung legt das Gericht dabei den Begriff des „menschlichen Embryos“ sehr weit aus und folgte damit – wie sehr häufig – weitgehend den Schlussanträgen des Generalanwalts am EuGH (vgl. Homberg, Rechtsboard vom 12. 4. 2011). Der im vorliegenden Verfahren zuständige Generalanwalt, Yves Bot, hatte sich bereits in seinen Schlussanträgen vom 10. 3. 2011 für eine sehr weitgehende Auslegung des Begriffs des „menschlichen Embryos“ und der umfassten Entwicklungsstadien ausgesprochen. So klassifizierte er z. B. Zellen, aus denen sich ein Mensch entwickeln könnte, grundsätzlich als „menschlichen Embryo“ ein. Aber auch unbefruchtete Eizellen, denen ein Zellkern eingepflanzt wird und die dadurch zur Weiterentwicklung angeregt werden, oder auch unbefruchtete Eizellen, die auf andere Art und Weise zur Weiterentwicklung angeregt werden, unterfallen nach seiner Ansicht der Definition eines „menschlichen Embryos“.
Ausgangspunkt der nunmehr ergangenen Entscheidung des EuGH ist ein im Jahr 1997 angemeldetes und im Jahr 1999 erteiltes Patent des Erfinders Prof. Brüstle. Dieser hatte eine Erfindung zum Patent angemeldet, die unter anderem „isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen, Verfahren zu ihrer Herstellung aus embryonalen Stammzellen unbegrenzter Menge, die Verwendung der neuralen Vorläuferzellen zur Therapie von neuralen Defekten und zur Gewinnung von Polypeptiden“ beinhaltet. Hiergegen erhob im Jahr 2004 Greenpeace Klage und das Bundespatentgericht gab dieser Klage zunächst teilweise statt. Das Patent wurde durch das Bundespatentgericht wegen ethischer Bedenken im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenwürde und des menschlichen Lebens für nichtig erklärt, soweit einzelne Patentansprüche die Herstellung von Vorläuferzellen oder die Gewinnung von Vorläuferzellen aus embryonalen Stammzellen erfassen.
Prof. Brüstle legte gegen diese Entscheidung Berufung beim BGH ein. Der BGH hatte daraufhin spezifische Fragen als Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH vorgelegt und das Verfahren in der Zwischenzeit ausgesetzt, da aus Sicht des BGH die abschließende Entscheidung über die Berufung auch von der Auslegung der RL 98/44/EG vom 6. 7. 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen abhängig sei. Diese durch den BGH genutzte Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens steht Gerichten der Mitgliedsstaaten in einem beim jeweiligen Gericht anhängigen Rechtsstreit offen. So können die Gerichte dem EuGH Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts (wie hier der RL 98/44/EG) vorlegen.
Die Entscheidung des Gerichtshofs bindet dann sowohl das Gericht, das die Frage vorgelegt hat, als auch in gleicher Weise andere nationale Gerichte in der Europäischen Union. Insbesondere im Hinblick auf die vorgenannte Richtlinie wurde seitens des BGH die Auslegung des Begriffs des „menschlichen Embryos“ angefragt, da dieser Begriff in der Richtlinie zwar genannt, nicht aber definiert wird. Aufgrund der RL 98/44/EG darf u.a. die Verwendung von „menschlichen Embryonen“ zu industriellen und kommerziellen Zwecken nicht patentiert werden (vgl. Art. 6 Abs. 2 c). Im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens sollte durch den EuGH dann auch die Frage beantwortet werden, welche Entwicklungsstadien für den Begriff des menschlichen Embryos erreicht sein müssen, oder ob bereits alle Stadien ab der Befruchtung der Eizelle vom Begriff des „menschlichen Embryos“ umfasst sind. Auf Basis der EuGH-Entscheidung wird der BGH nun abschließend über den Rechtsstreit zwischen Prof. Brüstle und Greenpeace entscheiden. Denn der EuGH selbst entscheidet lediglich über die ihm im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens vorgelegten Fragen, nicht aber über den gesamten nationalen Rechtsstreit.
Die tatsächlichen Auswirkungen der aktuellen EuGH-Entscheidung und der darauf basierenden, noch ausstehenden BGH-Entscheidung für die Praxis werden derzeit sehr kontrovers diskutiert. Ob es tatsächlich zu massiven Beeinträchtigungen bei der Stammzellforschung und damit auch zu einer erheblichen Schwächung des Forschungsstandorts Deutschland bzw. Europa kommen wird, wie dies im Verlauf des Verfahrens immer wieder von verschiedenen Seiten konstatiert wurde, wird die Zukunft zeigen. Entscheidend wird dabei auch sein, ob in der Stammzellforschung rasch Verfahren etabliert werden können, die z. B. eine Herstellung geeigneter Stammzellen für die Forschung ermöglichen, ohne einen menschlichen Embryo zu zerstören.