Die Insolvenzantragspflicht gehört für viele zum „Urgestein“ des deutschen Kapitalgesellschafts- bzw. Insolvenzrechts. Im MoMiG („Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen“) war es dem Gesetzgeber daher ein besonderes Anliegen, durch Verschiebung der früher gesellschaftsrechtlichen Regelungen in das Insolvenzrecht (heute: § 15a InsO) sicherzustellen, dass auch Kapitalgesellschaften mit ausländischem Satzungs-, aber inländischem Verwaltungssitz (Stichwort: Limited) von den Regelungen erfasst werden. Ob das, auch mit Blick auf die europäischen Grundfreiheiten, tatsächlich gelungen ist, sei hier dahin gestellt.
Von anderer Seite werden demgegenüber die Inflexibilität der deutschen Regelung, insbesondere die starre Drei-Wochen-Frist und deren Strafbewehrung, als „Sanierungsbremse“ kritisisiert, und es wird auf das flexiblere englische Recht verwiesen, das mit dem Konzept des wrongful trading hier eine vorzugswürdige Alternative böte: Denn danach steht es in der „nur“ haftungsbewehrten Verantwortung der Geschäftsleiter, ob bzw. wann eine Gesellschaft bei Insolvenz zu liquidieren ist.
Diesem „englischen“ Ansatz ist der II. Zivilsenat des BGH jetzt in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung – möglicherweise gar nicht bewusst – einen Schritt näher gekommen.
Dort hielt der BGH es nämlich für zulässig, dass eine Muttergesellschaft eine Patronatserklärung gegenüber ihrer bereits in der Krise befindlichen Tochtergesellschaft abgibt, die nur für den Zeitraum gilt, der zur Prüfung der Sanierungsfähigkeit erforderlich ist; der mit Ablauf dieses Zeitraums erfolgenden und vertraglich zugelassenen Kündigung stünden weder die Grundsätze des Eigenkapitalersatzrechts noch diejenigen der Finanzplankredite entgegen (BGH, Urteil vom 20. 9. 2010 – II ZR 296/08, DB 2010 S. 2381). Daher sei die Kündigung der Patronatserklärung auch keine nach § 135 InsO a. F. anfechtbare Befriedigung eines kapitalersetzenden Darlehens.
Verallgemeinert heißt das aber, dass die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO allein um den Preis der Haftung der Gesellschafter ausgesetzt werden kann, wenn nämlich die Gesellschafter eine (für den Zeitraum einer Sanierungsprüfung befristete) Haftungsübernahme erklären. Im Interesse der Flexibilität von Sanierungen ist dies ein großer Schritt nach vorne.