Die aktienrechtliche Aufarbeitung der Finanzmarktkrise ist in vollem Gang. Nach der spektakulären Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Sonderprüfung bei der IKB hat nun das LG München I über Gehaltsansprüche des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Hypo Real Estate AG (HRE), Georg Funke, geurteilt (LG München I, Urteil vom 15. 10. 2010 – 5 HK O 2122/09). Die inzwischen verstaatlichte HRE hatte Funkes Anstellungsvertrag am 23. 12. 2008 aus wichtigem Grund gekündigt. Als wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB stützte sie sich neben verschiedenen Pflichtverletzungen auch darauf, dass führende Mitglieder der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, unter ihnen der Bundesfinanzminister, öffentlich die Kündigung von Funkes Anstellungsvertrag gefordert hätten. Funke machte daraufhin Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug (§§ 611, 615 BGB) für die Monate Januar und Februar 2009, insgesamt etwa 150.000 €, im Wege der Urkundsklage geltend.
Das LG München I hat der Klage stattgegeben und sich dabei auch zur so genannten Druckkündigung von Vorstandsmitgliedern, einem ursprünglich aus dem Arbeitsrecht entlehnten Rechtsinstitut, geäußert. Im einschlägigen Leitsatz des Gerichts heißt es dazu wörtlich: „Eine Druckkündigung des Dienstvertrages ist nur in einer extremen Ausnahmesituation möglich. Ein wichtiger Grund lässt sich insbesondere nicht nur aufgrund von Äußerungen von Mitgliedern der Legislative und der Exekutive ableiten, wenn diese die Beendigung des Vorstandsvertrages verlangen, ohne dass feststeht, ob das Vorstandsmitglied tatsächlich seine Pflichten verletzt hat.“
Das LG München betritt in diesem Einzelpunkt juristisches Neuland; vorherige Fälle zur Druckabberufung nach § 84 Abs. 3 AktG oder zur Druckkündigung nach § 626 Abs. 1 BGB betrafen andere Konstellationen. Sein Urteil trifft in Ergebnis und Begründung das Richtige. Bei Abberufungs- oder Kündigungsverlangen von Politikern, Kirchenvertretern, Umweltschutzverbänden oder anderen gesellschaftlichen Gruppen ist nämlich wie folgt zu unterscheiden: Stützt sich ihre Kritik auf ein Fehlverhalten des Vorstandsmitglieds, kann in dem Fehlverhalten selbst ein wichtiger Grund zur Beendigung der Organstellung oder zur Kündigung des Anstellungsvertrages liegen. Liegt ein solches Fehlverhalten nicht vor (oder kann es, wie hier, jedenfalls nicht mit Mitteln des Urkundsprozesses nachgewiesen werden), stellt sich das Problem der Druckabberufung bzw. Druckkündigung. Die Schwelle des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG bzw. des § 626 Abs. 1 BGB wird hier wohl nur in Fällen überschritten, in denen der Gesellschaft durch eine andauernde öffentliche Diskussion ein schwerer, vielleicht sogar irreparabler Schaden droht.
Mit diesem ersten Urteil ist der Fall HRE freilich nicht vorbei. Man darf auf das Nachverfahren gespannt sein, in dem alle Beweismittel zugelassen sind und mögliche weitere Pflichtverletzungen Vorstandsmitglieder ausführlicher erörtert werden. Besonders praxisrelevant ist etwa die Frage, inwieweit sich der Vorstand bei einem Beteiligungserwerb (hier: Erwerb der Depfa Bank plc für 5,7 Mrd. €) auf die Due Diligence einer renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verlassen durfte oder welche weitere Informationen er gegebenenfalls noch einholen musste.