Der BGH hat mit seinem Urteil vom 6. 3. 2012 – II ZR 56/10 einen weiteren Schritt zur Klärung der Haftung im Fall der wirtschaftlichen Neugründung einer GmbH getätigt. Bereits seit einiger Zeit ist klar, dass die Gesellschafter einer GmbH eine etwaige wirtschaftliche Neugründung der Gesellschaft gegenüber dem Handelsregister offenlegen müssen. Welche Folgen allerdings das Versäumnis der für die Haftung der Gesellschafter hat, ist noch nicht in allen Details entschieden.
Wirtschaftliche Neugründung bedeutet, dass entweder eine nicht mehr aktiv am Geschäftsleben teilnehmende GmbH (eine sog. Mantelgesellschaft) oder eine als leere Hülle gegründete Vorratsgesellschaft aufgekauft und durch diverse Satzungsanpassungen und Organisationsakte an die Bedürfnisse des Erwerbers angepasst wird, so z. B. die Anpassung des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstandes, Verlegung des Geschäftssitzes, Bestellung neuer Geschäftsführer etc. Ein zuvor unternehmensloser Rechtsträger wird wieder mit einem Unternehmen ausgestattet. Da dieser wirtschaftliche Neustart mit einer formellen Neugründung einer Gesellschaft vergleichbar ist, sind nach inzwischen ständiger Rechtsprechung die Gründungsvorschriften zum Teil entsprechend anwendbar, so auch die Kapitalaufbringungs- und Haftungsvorschriften in der Gründungsphase. So bedarf es bei der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung entsprechend § 8 Abs. 2 GmbHG der Versicherung der Geschäftsführer über den ungeschmälerten Bestand des Stammkapitals. Ist im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung das Gesellschaftsvermögen nicht mehr in dem Umfang des satzungsmäßigen Stammkapitals vorhanden, ist das Gesellschaftsvermögen wieder bis zu dieser Grenze aufzufüllen (sog. Unterbilanzhaftung).
Das vorliegende Urteil ist hauptsächlich für die Aktivierung einer Mantelgesellschaft von größerer Relevanz, da die Vorratsgesellschaft in der Regel vor ihrer Übernahme nicht wesentlich wirtschaftlich aktiv geworden ist und daher die Risiken der Unterbilanzhaftung überschaubar sind. Anders allerdings bei der Mantelgesellschaft, die in der Regel ein mehr oder weniger umfangreiches Vorleben hat, das sich auf ihre Kapitalausstattung ausgewirkt hat.
Im vorliegenden Fall nahm das OLG in der Vorinstanz an, die Gesellschafter unterlägen einer zeitlich unbeschränkten Verlustdeckungshaftung, wenn die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung unterbliebe und stattdessen nur die formellen Änderungen der Satzung etc. zum Handelsregister angemeldet würden. Ob sich die Gesellschafter dennoch zumindest auf den Nachweis berufen können, dass das nötige Kapital zum Zeitpunkt der Neugründung vollständig oder zumindest teilweise vorhanden war, hatte das Gericht zunächst offengelassen.
Nach der Entscheidung des BGH kommt es dagegen darauf an, ob im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung eine Deckungslücke zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und dem satzungsmäßigen Stammkapital bestand. Der BGH hat damit eine reine Unterbilanzhaftung zum Zeitpunkt der Neugründung anstatt einer für den Erwerber höchst gefährlichen Verlustdeckungshaftung bejaht. Der Einwand, dass nachweisbar im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung das nötige Kapital vorhanden war, ist damit zulässig.
Auf den ersten Blick ist das Haftungsrisiko für den Erwerber im Falle der unterlassenen Offenlegung zwar abgemildert, bleibt aber dennoch nicht zu unterschätzen. Das Risiko, dass bei wirtschaftlicher Neugründung unbekannte Verbindlichkeiten existieren, die das Gesellschaftsvermögen mindern und damit die Differenz zum satzungsmäßigen Stammkapital vergrößern, trifft den Erwerber auch im Rahmen der Unterbilanzhaftung. Beim Erwerb eines vermeintlich inaktiven Mantels ist daher im Rahmen einer sog. Due Diligence eine sorgfältige und umfassende Ermittlung der Verbindlichkeiten von wesentlicher Bedeutung, da es nicht nur um den Umfang der Haftung der Gesellschaft, sondern auch derjenigen der Gesellschafter selbst geht.