Was passiert, wenn eine dem Gesellschafter zustehende Darlehensforderung gegen die Gesellschaft kurz vor der Insolvenz an einen Dritten abgetreten wird und die Gesellschaft die Darlehensforderung begleicht? Kann der Insolvenzverwalter in diesem Fall – so als hätte die Abtretung nicht stattgefunden – gegenüber dem Gesellschafter die Anfechtung erklären und Rückzahlung verlangen?
Nach Auffassung des OLG Stuttgart, welches sich kürzlich mit dieser Rechtsfrage zu befassen hatte, ist dies nicht der Fall. In seinem Urteil vom 8. 2. 2012 – 14 U 27/11 stellt das Gericht klar, dass sowohl die Anfechtung als auch die Geltendmachung des Rückgewähranspruchs nur gegenüber dem Abtretungsempfänger erfolgen können.
Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte, eine (mittelbare) Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin, hatte der Insolvenzschuldnerin ein Gesellschafterdarlehen i. H. von 500.000 € gewährt. Etwa ein halbes Jahr vor Stellung des Insolvenzantrags trat die Beklagte die Darlehensforderung an den Abtretungsempfänger – eine Ltd. mit Sitz im Ausland – ab. Kurze Zeit später beglich die Insolvenzschuldnerin die Darlehensforderung durch Zahlung an den Abtretungsempfänger.
Der Insolvenzverwalter ging gerichtlich nicht gegen den Abtretungsempfänger vor, sondern machte den insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch aus §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 143 InsO gegenüber der Gesellschafterin geltend.
Das LG Tübingen hat der Klage weitgehend stattgegeben und die Gesellschafterin zur Zahlung verurteilt. Auf deren Berufung wies jedoch das OLG die Klage des Insolvenzverwalters ab.
In den Entscheidungsgründen stellt das OLG zunächst klar, dass dem Abtretungsempfänger die Nachrangigkeit der Forderung auch nach der Neufassung insolvenzrechtlicher Vorschriften durch das MoMiG entgegengehalten werden kann. Damit wird die bisherige Rechtsprechung zu eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen fortgeführt. Die Nachrangigkeit der Forderung – also die insolvenzrechtliche „Verstrickung“ – geht somit grundsätzlich mit der Abtretung nicht verloren. Dies gilt nach Meinung des Gerichts jedenfalls dann, wenn die Abtretung des Darlehensanspruchs – wie hier – innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, somit innerhalb eines Jahres vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte.
Das Gericht hatte sich im vorliegenden Fall zwar nicht mit der Frage zu beschäftigen, ob die Nachrangigkeit auch dann noch entgegengehalten werden kann, wenn die Darlehensforderung vor Beginn der Jahresfrist abgetreten wurde. Auch höchstrichterlich ist diese Frage bislang noch nicht geklärt worden. Das OLG deutet allerdings an, dass die insolvenzrechtliche Verstrickung der Forderung jedenfalls dann nicht mehr entgegengehalten werden könne, wenn eine Rückforderung des Darlehens vor Beginn der Jahresfrist möglich gewesen wäre. Schließlich könne eine Auszahlung des Darlehens an den Abtretungsempfänger vor Beginn der anfechtungsrechtlichen Jahresfrist nicht mehr angefochten werden und es könne dem Abtretungsempfänger nicht zum Nachteil gereichen, wenn er das Darlehen dennoch in der Gesellschaft belassen und nicht zurückgefordert hat. Damit argumentiert das OLG wie der BGH in dem Beschluss vom 15. 11. 2011 – II ZR 6/11, DB 2012 S. 47, bei dem es um die Frage der Nachrangigkeit einer Darlehensforderung eines ausgeschiedenen Gesellschafters ging.
Ausführlich setzt sich das Urteil sodann mit der Frage auseinander, wer der richtige Adressat des insolvenzrechtlichen Rückzahlungsanspruchs ist.
Das OLG stellt in der Entscheidung klar, dass § 143 Abs. 1 InsO ausschließlich einen Anspruch gegen den Leistungsempfänger gewährt. Dies ist im vorliegenden Fall nicht die Gesellschafterin, sondern der Abtretungsempfänger. Sofern die Gesellschafterin für die Abtretung der Forderung einen Kaufpreis erhalten hat, so hat sie diesen nicht durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin erlangt, sondern durch eine Leistung des Abtretungsempfängers. Eine gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafterin neben dem Abtretungsempfänger kommt nach Auffassung des Gerichts – ebenso wie schon vor dem MoMiG – auch nicht wegen „mittelbarer Begünstigung“ der Gesellschafterin in Betracht. Zum einen könne die im Rahmen der §§ 30, 31 GmbHG (verbotene Einlagenrückgewähr) diskutierte gesamtschuldnerische Haftung des Gesellschafters neben dem Abtretungsempfänger nicht auf die hier vorliegende Konstellation übertragen werden. Zum anderen sei eine durch die Auszahlung erlangte mittelbare Begünstigung der Gesellschafterin im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Anders läge die Sache nur bei einem „Umgehungsgeschäft“, wenn die Abtretung des Gesellschafterdarlehens also nur zu dem Zweck der Verhinderung eines Anspruchs aus § 143 InsO gegen die Gesellschafterin erfolgt wäre, und der Abtretungsempfänger lediglich als Strohmann gedient sowie den von der Insolvenzschuldnerin ausgezahlten Betrag unmittelbar an die Gesellschafterin weitergeleitet hätte. Im vorliegenden Fall gab es für eine solche missbräuchliche Konstellation allerdings keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Das erstinstanzliche LG hatte zur Begründung der gesamtschuldnerischen Haftung mit der „Veranlassung der Leistung“ durch die Gesellschafterin an den Abtretungsempfänger, welcher lediglich als Geheißperson der Gesellschafterin anzusehen sei, argumentiert. Diese Begründung hält das OLG Stuttgart nicht für tragfähig. Hier sei schließlich eine wirksame Abtretung einer (nachrangigen) Forderung erfolgt. Die Abtretung an sich sei zulässig und könne mangels Gläubigerbenachteiligung auch nicht insolvenzrechtlich angefochten werden, da erst die Auszahlung des Darlehens zu einer Gläubigerbenachteiligung führe, nicht dagegen die Abtretung der Darlehensforderung selbst.
Die Entscheidung des OLG ist dogmatisch gut begründet. Sie birgt jedoch für Gesellschaften und insbesondere deren Gläubiger Risiken. „Böswillige“ Gesellschafter könnten, solange sie „geschickt“ vorgehen und ihnen ein Umgehungsgeschäft nicht nachweisbar ist, faktisch gesehen nachrangige Darlehensansprüche realisieren und so die Wertungen der InsO umgehen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist beim BGH unter dem Aktenzeichen IX ZR 32/12 anhängig.