Leerverkaufsverbote nach neuer EU-Rechtslage

RA Dr. Frederik Winter, Partner, Linklaters LLP. Frankfurt/M.

Die Bundesregierung hat am 16. 5. 2012 den Entwurf eines Ausführungsgesetzes zur EU-Leerverkaufsverordnung in den Bundestag eingebracht. Nach diesem sollen die Beschränkungen bzw. Transparenzvorgaben für Leerverkäufe in Aktien und bestimmte öffentliche Schuldtiteln (§§ 30h ff. WpHG) im Wesentlichen gestrichen und durch einen Verweis auf die EU-Verordnung ersetzt werden. Vor diesem Hintergrund werden sich die Marktteilnehmer auf neue Vorgaben einstellen müssen.

Seit Beginn der Finanzkrise sind in der EU unterschiedliche nationale Maßnahmen zur Begrenzung von Leerverkäufen in Kraft gesetzt worden. In Deutschland hatte die BaFin bereits im September 2008, auf dem Höhepunkt der Lehman-Krise, ungedeckte Leerverkäufe von Aktien von elf Unternehmen des Finanz- und Versicherungssektors verboten. In der Folgezeit hat sie – jeweils wiederum durch sog. Allgemeinverfügungen – weitere Verbote erlassen, die 2010 durch eine gesetzliche Regelung ersetzt wurden (§§ 30h ff. WpHG).

Am 26. 3. 2012 sind in Deutschland zudem neue Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten in Hinblick auf Leerverkäufe in Kraft getreten (§ 30i WpHG). Vergleichbare Regelungen sind auch in anderen EU-Staaten erlassen worden, wobei sich diese Regelungen jedoch im Detail unterscheiden. Um innerhalb der EU eine harmonisierte Vorgehensweise sicherzustellen, ist am 24. 3. 2012 die EU-Leerverkaufsverordnung veröffentlicht worden, die in wesentlichen Teilen ab dem 1. 11. 2012 Geltung beanspruchen wird. Auch wenn die EU-Leerverkaufsverordnung in weiten Bereichen mit den einschlägigen Bestimmungen des WpHG vergleichbar ist, bestehen im Detail einige nicht unerhebliche Unterschiede. Wie bereits das bisher geltende deutsche Recht (§ 30h WpHG) sieht auch die EU-Verordnung ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe in Aktien und öffentlichen Schuldtiteln vor. Der Begriff der öffentlichen Schuldtitel umfasst nach der Verordnung im Wesentlichen Instrumente, die von der EU, Mitgliedstaaten der EU, deren Zweckgesellschaften oder Gebietskörperschaften von EU-Mitgliedstaaten begeben werden. Im Gegensatz zu dem ursprünglichen Verordnungsentwurf, den die EU-Kommission im September 2010 vorgelegt hatte, enthält die finale Fassung darüber hinaus auch eine Beschränkung für ungedeckte Credit Default Swaps (CDS) auf öffentliche Schuldtitel. Dabei ergeben sich im Detail Abweichungen zu den hierzulande bereits geltenden Beschränkungen. So ist z. B. das in der EU-Verordnung vorgesehene Verbot ungedeckter Leerverkäufe in Aktien strenger, denn nach diesem sind nicht nur an einer inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassene Aktien, sondern auch an Multilateralen Handelssystemen (MTFs) gehandelte Aktien betroffen. Andererseits sind die Bedingungen, unter denen Aktien und Schuldtitel „leer“ verkauft werden können, ohne den Verbotstatbestand zu erfüllen, nach dem Wortlaut der EU-Verordnung konkreter gefasst als die entsprechenden deutschen Regelungen. Die EU-Verordnung enthält zum Beispiel, anders als das WpHG, eine explizite Ausnahme für die in der Praxis häufig anzutreffenden sog. „Locates“ bzw. „Locate Agreements“. Bei diesen holt sich der (spätere) Leerverkäufer vorab kurzfristig von einem Dritten die Bestätigung ein, dass dieser bestimmte Wertpapiere für ihn „lokalisiert“ bzw. zur Lieferung bereithält und damit sicherstellt, dass das Geschäft später abgewickelt werden kann. Inwiefern sich aus den Ausführungen der EU-Verordnungen zu „Locates“ Erleichterungen oder aber Verschärfungen gegenüber der in Deutschland derzeit geltenden Rechtslage ergeben, ist momentan noch nicht abschließend absehbar. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die BaFin bereits heute auf dem Standpunkt steht, dass auch im Fall von „Locates“ ggf. ein „gedeckter“ – und damit i. S. des WpHG zulässiger – Leerverkauf vorliegt, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Andererseits werden die Ausführungen der EU-Leerverkaufsverordnung zu „Locates“ derzeit durch zusätzliche Spezifikationen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) konkretisiert, die noch nicht in finaler Form vorliegen.

Um Transparenz gegenüber Aufsichtsbehörden und Öffentlichkeit zu schaffen, sieht die EU-Verordnung umfangreiche Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten in Hinblick auf sog. Netto-Leerverkaufspositionen vor. Diese sind den in § 30i WpHG bereits verankerten Transparenzpflichten ähnlich. Im Detail wird es jedoch Änderungen geben. Der letzte durch die ESMA vorgelegte Entwurf der technischen Ausführungsbestimmungen legt nahe, dass dies voraussichtlich u. a. die Berechnung der Netto-Leerverkaufspositionen bei Konzern- und Fondssachverhalten betrifft. Die betroffenen Marktteilnehmer werden die bereits heute in Deutschland geltende sehr komplexe Berechnungssystematik deshalb erneut anpassen müssen. Im Unterschied zu der Entwurfsfassung enthält die finale Fassung der EU-Leerverkaufsverordnung allerdings nicht mehr die Vorgabe, zusätzlich ein System der Kennzeichnung von Leerverkäufen (sog. „flagging“) einzuführen.

Schließlich sieht die EU-Verordnung – und dementsprechend auch das geplante Ausführungsgesetz – die Befugnis vor, auf nationaler Ebene ein befristetes Verbot von Leerverkäufen auszusprechen. Dies soll dann möglich sein, wenn der Kurs eines Finanzinstruments innerhalb eines einzelnen Handelstages verglichen mit der Schlussnotierung des Vortages signifikant gefallen ist. Diese Befugnis bezieht sich grundsätzlich sowohl auf gedeckte als auch auf ungedeckte Leerverkäufe, wobei im Unterschied zu dem bereits erwähnten generellen Verbot von ungedeckten Leerverkäufen bzw. CDS sämtliche Finanzinstrumente von einer solchen Anordnung betroffen sein können. Möglich wäre deshalb z. B. auch ein Verbot ungedeckter CDS auf Unternehmensanleihen. In Deutschland besteht derzeit noch Uneinigkeit darüber, wer zukünftig zu derartigen Eingriffen befugt sein soll. Der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme vom 11. 5. 2012 für eine einheitliche Zuständigkeit der BaFin ausgesprochen. Dagegen plädiert die Bundesregierung weiterhin dafür, die jeweilige Börsengeschäftsführung als zuständige Behörde zu bestimmen. Hierfür spricht sicherlich, dass die Börsengeschäftsführungen über einen schnellen Zugang zu den erforderlichen Börsendaten und sonstigen relevanten Informationen verfügen und bei einer Entscheidung über die Frage der Handelsaussetzung letztlich „näher dran“ sind. Andererseits besteht angesichts der Vielzahl der in Deutschland ansässigen Börsen die Gefahr, dass es zu „Insellösungen“ kommt und Transaktionen, die an einem Handelsplatz verboten werden, sogleich an einem anderen Handelsplatz durchgeführt werden. Um die Zielsetzungen der EU-Leerverkaufsverordnung wirksam umzusetzen, bedarf es jedoch in jedem Fall eines einheitlichen und abgestimmten Vorgehens.

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