Richter und Praxis

Die bisherige Richterin des Bundesverfassungsgerichts Hohmann-Dennhardt wechselt in den Vorstand der Daim­­ler AG, der frühere Vorsitzende des für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, Wulf Goette, wird of counsel einer größeren Wirtschaftskanzlei. Manch einer fragt sich, ob dies nicht Vorzeichen einer unguten Entwicklung sind – einer zu starken Verflechtung von Wirtschaftsinteressen und Justiz.

Bei solchen pauschalen Verurteilungen ist aber Vorsicht geboten. Denn im Ansatzpunkt ist es zunächst einmal zu begrüßen, wenn Richter „die Nase in den Wind stecken“ und versuchen, das „reale Leben“ aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Solange der typische Richter die anwaltliche Praxis nur während weniger Monate im Referendariat erlebt hat, besteht gerade für wirtschaftsnahe Sachverhalte eine erhebliche Anschauungslücke in der Justiz. Daher ist es eher bedauerlich, wenn solche Kontakte mit der Realität erst nach – und nicht während – der Dienstzeit möglich sind.

Vorsicht geboten ist nur, wenn die Gefahr einseitiger Beeinflussung droht. Auch hier aber muss man sich zunächst der Tatsache bewusst sein, dass auch Richter Menschen sind – mit persönlichen Meinungen, Einschätzungen und Überzeugungen. Mit diesen Eigenschaften sind sie ins Amt gekommen, und das Grundgesetz schützt den Richter auch in dieser seiner „Einzigartigkeit“ durch Art. 97 GG. Zu großer Einseitigkeit beugen der Begründungszwang für richterliche Entscheidungen ebenso vor wie die Tatsache, dass letztinstanzliche Gerichte Kollegialgerichte sind, in denen Alleingängen Einzelner verschiedene Richterkollegen im Weg stehen, die zudem faktisch im Wege eines Allparteienkonsenses erst vom Deutschen Bundestag gewählt werden mussten.

Einseitige Beeinflussung eines Richters wird deshalb kaum dadurch erfolgen können, dass er eine Tagung besucht und sich dort mit Praktikern austauscht. Tendenzen in der Justizverwaltung, den Dialog von Richtern mit der Praxis zu erschweren, verbessern daher weder die Unabhängigkeit noch die Qualität der Justiz. Viel wichtiger ist demgegenüber Transparenz: Solange die Parteien – und die Öffentlichkeit – wisssen, auf welchen Tagungen und mit wem ein Richter spricht, in welchen Vereinigungen er Mitglied ist, was er veröffentlicht hat und – vor allem – wie er in früheren Verfahren entschieden hat, besteht keine Besorgnis der Befangenheit (was für Hochschullehrer zwar ähnlich ist, aber insoweit anders, als sie nur mit Worten überzeugen können und dürfen). Wer sich in allen diesen Punkten freilich auf den Datenschutz beruft und damit die er­forderliche Öffentlichkeit behindert, wird irgendwann damit rechnen müssen, dass Richter jedes Bier, das Ihnen ausgegeben wird, als Geschenk gegenüber Ihrem „Dienstherrn“ anzeigen, solange es nicht gepanscht ist – und damit nicht eindeutig einem Schenker zugeordnet werden kann.

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