Auf dem Weg zu einer einheitlichen Finanzmarktregulierung und Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) wurden auf Vorschlag der europäischen Staats- und Regierungschefs von der Europäischen Kommission am 12. 9. 2012 ein Fahrplan für eine gemeinsame Bankenunion sowie zwei Verordnungsentwürfe vorgelegt. Der Entwurf einer Verordnung zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank sieht einen sog. einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) vor, der eine harmonisierte Bankenaufsicht in allen Ländern der Eurozone unter der Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) gewährleisten soll.
Die Kommission fordert im Rahmen der geplanten Bankenunion das Europäische Parlament und den Rat ausdrücklich auf, bis Ende 2012 eine Einigung über die CRD-IV-Vorschläge, den Vorschlag für eine Richtlinie über Einlagesicherungssysteme sowie den Vorschlag für eine Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken zu erzielen. Ein besonderer Fokus wird dabei auf der Harmonisierung der Einlagensicherungssysteme auf europäischer Ebene liegen. Diese soll durch eine Ex-ante-Finanzierung der Systeme über Beiträge der Banken sowie durch eine obligatorische Fazilität für Kreditaufnahmen zwischen nationalen Systemen innerhalb fester Grenzen erreicht werden. Dies wird voraussichtlich gravierende Folgen für die deutschen Banken haben.
Im Kern des Kommissionsvorschlags geht es jedoch um die Verlagerung zentraler Aufsichtsaufgaben, die bislang im Aufgabenbereich nationaler Aufsichtsbehörden liegen, auf eine einheitliche europäische Ebene. Zu diesem Zweck soll die EZB neben der Ausübung ihrer geldpolitischen Aufgaben zur Erhaltung der Preisstabilität zusätzliche, organisatorisch strikt von der Geldpolitik getrennte Aufsichtsbefugnisse erhalten. Dieser Vorschlag wird das bestehende Aufsichtssystem in Europa grundlegend ändern und damit erhebliche Auswirkungen auf die Bankenwelt haben.
Geplant ist, dass künftig u. a. die Zulassung von Kreditinstituten, die Bewertung des Erwerbs oder der Veräußerung von Beteiligungen an Kreditinstituten („Inhaberkontrollverfahren“), die Überwachung der Einhaltung von Eigenkapital-, Leverage- und Liquiditätsanforderungen, die Beschränkung von Großkrediten, die Durchführung von Stresstests und die Beaufsichtigung von Finanzholdinggesellschaften, gemischten Finanzholdinggesellschaften und Finanzkonglomeraten in die Zuständigkeit der EZB fallen. Nach dem Verordnungsentwurf wird der EZB auch die Möglichkeit eingeräumt, im Einzelfall Geldstrafen zu verhängen. Die angedachten Geldstrafen erreichen neue Dimensionen, denn sie können bis zur zweifachen Höhe der aufgrund des Verstoßes erzielten Gewinne oder verhinderten Verluste oder, wenn diese sich nicht beziffern lassen, i. H. von bis zu 10% des jährlichen Gesamtumsatzes im vorangegangenen Geschäftsjahr verhängt werden, wobei der Terminus „Gesamtumsatz“ sicherlich noch einer weiteren Spezifizierung bedarf.
Die Kommission schlägt zur Umsetzung des SSM und damit zur Übertragung der neuen Aufsichtsaufgaben auf die EZB zeitlich einen engen Rahmen vor. Bereits ab dem 1. 1. 2013 soll die EZB auf eigenes Betreiben die Möglichkeit haben, die volle Aufsichtsverantwortung für jedes Kreditinstitut zu übernehmen, welches Staatshilfen erhalten oder beantragt hat. Ab 1. 7. 2013 sollen dann alle systemrelevanten Banken der Eurozone unter die Aufsicht der EZB fallen. Bereits ab Januar 2014 soll die EZB aufsichtsrechtlich für rund 6.000 Banken im Euroraum zuständig sein.
Dieser kurze Umsetzungszeitraum für den SSM von nur drei Monaten, der derzeit in der europäischen Politik auf heftige Kritik stößt, stellt für die EZB eine große organisatorische Herausforderung dar. Es bleiben Zweifel, ob die vollständige Neuorganisation einer Aufsichtsstruktur über alle 17 Euroländer unter ausreichender Berücksichtigung der lokalen Marktkenntnisse der nationalen Aufsichtsbehörden selbst in 15 Monaten zu bewältigen ist.
Die angedachte Aufgabenverlagerung auf die EZB wird erheblichen Einfluss auf den Aufgabenbereich der nationalen Behörden im Bereich der Bankenaufsicht haben, die dadurch Einfluss und Macht verlieren werden. Um die Fülle an Aufgaben bewältigen zu können, ist vorgesehen, dass die nationalen Aufsichtsbehörden die EZB auf deren Ersuchen bei der Vorbereitung und Durchführung sämtlicher Rechtsakte im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben unterstützen. Erlaubnisanträge sind jeweils weiterhin bei der nationalen Aufsichtsbehörde in dem Land einzureichen, in dem das Kreditinstitut seinen Sitz haben soll. Die letztliche Entscheidungskompetenz wird aber bei der EZB liegen, denn das Erlaubnisverfahren soll künftig in einem gestaffelten Prozess durchgeführt werden: Zunächst prüfen die nationalen Aufsichtsbehörden die Vereinbarkeit des Antrags mit nationalem Recht. Im Anschluss prüft die EZB die Einhaltung des Unionsrechts und entscheidet darüber, ob die Erlaubnis erteilt werden kann. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wie rein nationale Erlaubnistatbestände, die also nicht nach der Bankenrichtlinie erlaubnispflichtig sind (wie z. B. in Deutschland das Pfandbriefgeschäft), behandelt werden sollen.
Die nach dem Vorschlag der Kommission auf die EZB zu übertragenden Aufgaben lassen der EZB eine Stellung zukommen, die weit über die Rolle hinausgeht, die derzeit der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) zugedacht ist. Der zweite am 12. 9. 2012 vorgelegte Verordnungsvorschlag betrifft infolgedessen die Rolle der EBA; er bezweckt, die Verfahrensmodalitäten für die Tätigkeiten der EBA anzupassen und enthält Vorschriften zur Übertragung von Aufsichtsaufgaben auf die EZB. Die Kernkompetenz der EBA soll sich danach nicht ändern. Ihre Aufgabe wird – neben der Überwachung eines einheitlichen Bankenaufsichtsregimes und kohärenten Wettbewerbsbedingungen in der Union – die Erstellung eines einheitlichen Aufsichtshandbuchs für den europäischen Raum sein. Wie das Verhältnis zwischen der EZB und der EBA in der Aufsichtspraxis konkret ausgestaltet sein wird, ist noch nicht klar umrissen. Es ist schwer vorstellbar, dass die neue Aufgabenverteilung nicht zu Konflikten führen wird.
Eine Bankenunion mit einer einheitlichen Aufsicht und einem einheitlichen Regelwerk dient der Stärkung des Vertrauens der Marktteilnehmer und somit auch dem EU-Finanzbinnenmarkt. Im Vordergrund müssen dabei die Sicherung der Qualität und die Effektivität der neuen Aufsicht stehen. Kurzfristig wird sich eine Überwachung aller rund 6.000 Banken organisatorisch nicht darstellen lassen; daher sollte sich die Aufsicht zunächst auf einige wenige Banken, insbesondere die systemrelevanten, beschränken.