Mit Urteil vom 20. 9. 2012 (6 AZR 253/11, DB 2012 Heft 39 S. M 17, Pressemitteilung Nr. 67/12) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Zielsetzung der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO; EG Nr. 1346/2000), effiziente und grenzüberschreitende Insolvenzverfahren sicherstellen zu wollen, hervorgehoben und klargestellt, dass vor diesem Hintergrund auch ein Administrator nach englischem Recht bei grenzüberschreitenden Insolvenzen innerhalb der EU als Insolvenzverwalter i. S. des § 125 der Insolvenzordnung (InsO) anzusehen ist und somit einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen kann, dem die Wirkungen des § 125 InsO, insbesondere die Vermutungswirkung der dringenden betrieblichen Erfordernisse als Grundlage für Kündigungen, zukommen.
Dem Urteil ging folgender Sachverhalt voraus: Die Beklagte gehört zu einer weltweit agierenden Unternehmensgruppe, die einer der führenden Anbieter von Telekommunikationslösungen war. Aufgrund der wirtschaftlich angeschlagenen Situation des Konzerns wurden im Januar 2009 weltweit Insolvenzverfahren eingeleitet. Einzelne Geschäftsfelder sollten in einem koordinierten Verfahren verkauft werden. Teil dieser Verkäufe sollten auch Geschäftsbereiche der Beklagten, einer deutschen GmbH, sein. Dies machte tiefgreifende Restrukturierungsmaßnahmen erforderlich, in deren Verlauf Personalabbau unumgänglich war. Am 14. 1. 2009 eröffnete der High Court of Justice das Administrationsverfahren als Hauptinsolvenzverfahren nach der EuInsVO über das Vermögen der britischen Muttergesellschaft und einiger in der EU ansässigen Tochtergesellschaften und bestellte mehrere Administratoren zu „Joint Administrators“. Zur Umsetzung der Restrukturierungsmaßnahmen schlossen die Beklagte, der Gesamtbetriebsrat sowie die lokalen Betriebsräte einen Interessenausgleich. Der Interessenausgleich wurde auf Seiten der Beklagten durch einen der Administratoren unterzeichnet. Dem Interessenausgleich war eine Namensliste nach § 125 InsO beigefügt, auf der auch der Name des Klägers verzeichnet war. Dem Kläger wurde betriebsbedingt gekündigt. Er war u.a. der Ansicht, § 125 InsO sei wegen des Eingreifens ausländischen Insolvenzrechts nicht anwendbar und seine Kündigung folglich sozial ungerechtfertigt. Ausländisches Insolvenzrecht könne § 125 InsO nicht zur Anwendung bringen. Außerdem sei der Administrator nicht berechtigt gewesen, den Interessenausgleich für die Beklagte zu unterzeichnen. Er erhob im August 2009 Kündigungsschutzklage mit dem Ziel der Weiterbeschäftigung.
In erster Instanz erklärte das Arbeitsgericht Frankfurt/M. (18 Ca 7714/09) die Klage für unbegründet.
§ 125 InsO und damit die widerlegliche Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse für die Kündigung und der eingeschränkte Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Sozialauswahl im Fall eines Interessenausgleichs seien auch in einem englischen Administrationsverfahren anwendbar. Maßgeblich hierfür sei die in Art. 10 EuInsVO normierte Sonderanknüpfung an das Arbeitsvertragsstatut, welches an das Recht des Arbeitsortes anknüpft, soweit es um die Wirkung eines Insolvenzverfahrens auf Arbeitsvertrag bzw. -verhältnis geht, d.h. in diesem Fall letztlich an dasjenige der Bundesrepublik. Da sämtliche Voraussetzungen des § 125 InsO vorlägen, sei die Kündigung insgesamt wirksam.
Insbesondere betonte das Arbeitsgericht Frankfurt/M., dass der Administrator als Vertreter bevollmächtigt gewesen sei, den Interessenausgleich mit Namensliste abzuschließen.
Gem. Art. 4 Abs. 1, 2 EuInsVO gilt für das Insolvenzverfahren im Regelfall das Insolvenzrecht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung – hier also das des Vereinigten Königreiches – bestimme insbesondere auch die Befugnisse des Administrators. Die erforderliche Vertretungsbefugnis des Administrators ergebe sich aus Abs. 69 von Anhang B 1 des Insolvency Act 1986 i. V. mit dem Eröffnungsbeschluss, der den Administratoren Einzelvertretungsbefugnis verliehen habe. Folglich sei der Administrator als Vertreter der Beklagten berechtigt gewesen, den Interessenausgleich mit Namensliste i. S. des § 125 InsO abzuschließen.
Dem schloss sich das LAG Frankfurt/M. (13 Sa 767/10) in zweiter Instanz an, das noch auf eine eigene lesenswerte Parallelentscheidung (13 Sa 969/10) verwies. Hierin führt es insbesondere aus, dass das Bestehen der internationalen Eröffnungszuständigkeit nicht nachgeprüft werden könne und Art. 10 der EuInsVO so auszulegen sei, dass mit dem Verweis alle sonstigen Normen des materiellen Arbeitsrechts, etwa auch solche mit Insolvenzbezug, umfasst seien.
Die sich anschließende Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Das BAG bekräftigt die Auslegung von Art. 10 EuInsVO mit der Konsequenz, dass bei Anwendbarkeit deutschen Arbeitsrechts auch ein englischer Administrator als Insolvenzverwalter i. S. des § 125 InsO anzusehen ist und wirksam einen Interessenausgleich mit Namensliste schließen kann.
Es bleibt abzuwarten, ob der Volltext der Entscheidung weitere Hinweise hinsichtlich der (nicht abschließend geklärten) Reichweite der in Art. 10 EuInsVO enthaltenen Verweisung in das deutsche Arbeitsrecht enthält.