Zehn Antithesen zu den Thesen von Peer Steinbrück zur „Bändigung der Finanzmärkte“

„[E]ntgrenzte Finanzmärkte getrieben von anonymen Managern, die unter weitgehender Haftungsfreistellung mit unvorstellbaren Summen auf Renditejagd gehen,“ bedürfen der Regulierung. Das fordert Peer Steinbrück, nunmehr Kanzlerkandidat der SPD, in einem am 26. September 2012 veröffentlichten Papier (S. 1). Die Finanzmärkte hätten „Maß und Mitte verloren“ (S. 2) und dieses „System der kurzfristigen Renditemaximierung unter einer ausgeprägten Risikoignoranz“ stelle sich nicht einmal selbst in Frage (S. 2), sondern einige Banken förderten mit dem Ziel zusätzlicher Gewinne sogar den Steuerbetrug oder zählten kriminelle Organisationen oder politisch fragwürdige Regime zu ihren Geschäftspartnern (S. 2).

Was ist von diesen Überlegungen zu halten? Dieser Frage soll hier nach­gegan­gen werden – wobei nicht jeder einzelne seiner Vorschläge aufgegriffen werden soll. Denn manche seiner Überlegungen sind – das sei ausdrücklich gesagt – nicht kontrovers oder befinden sich gar schon in der Phase der gesetzgeberischen Regulierung. Andere – wie sein (bekannter) Hinweis auf die Mitwirkung von Banken an Steuerhinterziehung und anderen kriminellen Aktivitäten – tauchen demgegenüber in seinen einzelnen Vorschlägen gar nicht mehr auf.

I. Finanztransaktionssteuer

Hervorgehoben als ersten Vorschlag untermauert Steinbrück die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer. Das ist nicht neu – und wird sogar von großen Teilen der Bundesregierung geteilt, im Übrigen nicht nur – wie er sagt – „dank sozialdemokratischer Beharrlichkeit“ (S. 7).

Allerdings hat dies alles mit der Bändigung der Finanzmärkte nicht viel zu tun, was Steinbrück sogar erstaunlich offen zugibt: Denn bei der Einführung der neuen Steuer stehe der „Finanzierungseffekt“ im Vordergrund, während der Lenkungseffekt (Disziplinierung des Risikoverhaltens) nüchtern betrachtet werden sollte“ (S. 7). Die Krise der Finanzmärkte soll also gar nicht beseitigt werden, sondern wird – und das in erster Linie – dazu gebraucht, den Bürgern eine neue Steuer schmackhaft zu machen. Denn die vorgeschlagene Steuer wird, wovon selbst Steinbrück ausgeht, über den Preis an die Letztverbraucher im Kapitalmarkt weitergegeben und damit die eigentlich Verantwortlichen für die Finanzkrise (so man von einer solchen Verantwortung überhaupt sprechen kann) überhaupt nicht treffen (und hat deshalb keinen „Lenkungseffekt“); sie trifft aber über geringere Renditen für Kapitalanlagen diejenigen, die eine private Altersvorsorge aufgebaut haben. Mit anderen Worten: Steinbrück bittet die Sparer doppelt zur Kasse.

Aber auch Steinbrücks Detailkritik an den bislang vorgelegten Vorschlägen einer Finanztrans­aktions­steuer ist erschreckend. So sollen auch die ausländischen Tochtergesellschaften europäischer Banken sowie der außereuropäische Handel mit Wertpapieren europäischer Emittenten erfasst werden (S. 7). Den Effekt verschweigt er: Wenn nur die Töchter europäischer Banken im Ausland zur Transaktionssteuer herangezogen werden, nicht aber – dafür hat Deutschland bzw. Europa trotz Steinbrückschem Wunschdenken („Kavallerie“) keine Möglichkeit – deren ausländische Konkurrenten, wird es ein Wertpapiergeschäft mit den Töchtern europäischer Banken nicht mehr geben. Dramatische Gewinneinbußen deutscher Banken und Kapitalverluste sind vorgezeichnet – und damit genau das, was er angeblich vermeiden will.

Gleiches gilt, wenn man den Handel in Wertpapieren europäischer Emittenten auch im Ausland mit der Steuer belegen will. Daran ist zwar richtig, dass nur auf diesem Wege ein Abwandern des Handels in Titeln dieser Emittenten ins Ausland vermieden werden kann. Aber deutsche Unternehmen werden im Vergleich zu ihren ausländischen oder nicht-europäischen Konkurrenten einen höheren Preis für die Kapitalbeschaffung zahlen müssen. Geringere Kapitalausstattung, mehr Insolvenzen und der Verlust von Arbeitsplätzen werden die Folge sein – und damit genau das, was er angeblich vermeiden will, nämlich dass die Realwirtschaft den Preis für die Finanzkrise zu zahlen hat.

 

II. Keine Staatshaftung für Banken

Aufbauend auf der plakativen Forderung, dass „Haftung und Risiko zusammengehören“, dass private Gewinne nur realisieren kann, wer nicht zugleich die Verluste sozialisiert, fordert Steinbrück, dass auch Banken die Gefahr des Scheiterns spüren können müssten (S. 7 f. und S. 30 in der Zusammenfassung).

Gerade weil es sich so nett anhört, bedarf es des Widerspruchs: Anders als Steinbrück suggeriert, leben wir gerade nicht in einem System, in dem jedes Fehlverhalten eine Haftung für alle durch den (nachträglich festgestellten …) Fehler angerichteten Schäden nach sich zieht. Wäre dies anders, müssten möglicherweise alle Besitzer von Heizungen und erst recht alle Autofahrer nach heutigem Erkenntnisstand für die Folgen der Erderwärmung heran­gezogen werden. Das aber ist gerade nicht so – weil wir manche riskante Aktivitäten trotz der damit verbundenen Risiken erlauben, weil sie gesellschaftlich nützlich sind. Mit Banken ist dies nicht anders – mag man hier auch über klarere Grenzen für den gesellschaftlich tolerablen Nutzen nachdenken.

Vor allem aber sind die Regeln, die Steinbrück jetzt kritisiert, von der (deutschen) Politik gesetzt worden. Das gibt Steinbrück zwar zu, allerdings eher in einem Nebensatz (S. 2). Dass er selbst sich in seiner Zeit als Bundesfinanzminister vehement für den Finanzplatz Deutschland eingesetzt hat – und damit eine entscheidende Mitverantwortung für eben diese Regeln trägt, verschweigt er. Zwar geht die Einrichtung des „Refinanzierungsregisters“ in §§ 22a ff. des Kreditwesengesetzes im Jahre 2005, mit der das „Verbriefungsgeschäft“ – eine der Hauptursachen der Finanzkrise – deutlich erleichtert wurde, noch auf seinen Vorgänger Eichel zurück; er selbst trat aber mit der Einführung von REITS (Real Estate Investment Trusts) gleich in seine Fußstapfen. Steinbrück war damit Mitspieler „in dem Wald aus Standortinteressen von Finanzzentren, dem Einfluss von Lobbies, der Komplexität von Bankgeschäften, der Vielzahl von Akteuren und Finanz­produkten“, den er anprangert (S. 3).

Mit seinem Vorschlag, einen bankenfinanzierten europäischen Restrukturierungsfonds zu schaffen, setzt sich Steinbrück aber zu seiner eigenen Forderung – Banken müssten die Gefahr des Scheiterns spüren können – in Widerspruch. Denn was er will, ist nichts anderes als die Einführung eines Zwangsversicherungssystems, innerhalb dessen dann eine Insolvenz keine Folgen mehr hätte. Denn die anderen Banken hätten die Folgen des Scheiterns eines Instituts zu tragen – ohne dass sie die Möglichkeit einer Einflussnahme auf oder gar Kontrolle ihres Konkurrenten hätten. Marktwirtschaftliche Mechanismen werden – das überrascht nicht wirklich – außer Kraft gesetzt und durch eine Lösung „im Kollektiv“ ersetzt. Innerhalb dieses Systems ist es dann nicht nur möglich, sondern sogar nahe liegend, was Steinbrück angeblich verhindern will – nämlich riskante Geschäfte zu tätigen, ohne dafür Verantwortung tragen zu müssen, also „Trittbrett zu fahren“.

Auf den ersten Blick einleuchtend scheint es, dass Steinbrück seine Vorschläge nur auf „systemrelevante Banken“ bezieht (S. 8 oben). Die kleine Sparkasse oder Raiffeisenbank vor Ort solle sich also nicht an den „Kosten der Systemsicherung“ beteiligen müssen. Das ist hier aber – schon wegen der sonst bestehenden Umgehungsmöglichkeiten – genauso wenig überzeugend wie bei seinem Vorschlag zur Beschränkung der europäischen Bankenaufsicht auf grenzüberschreitend tätige systemrelevante Banken (dazu näher sogleich VIII.). Letztlich geht es darum, dem Staat (und seinen Untergliederungen) die Möglichkeiten des grenzenlosen und unbesicherten Schuldenmachens zu erhalten, die er privaten Banken verbieten will.

Freilich soll ein Eintreten des Restrukturierungsfonds erst in Betracht kommen, wenn zuvor die Gesellschafter und auch die Gläubiger an den Verlusten beteiligt wurden (S. 9). Das ist in einer Insolvenz eigentlich selbstverständlich – und Steinbrück fordert deshalb hier auch nichts Neues, sondern nur technische Möglichkeiten, diese Beteiligung zu beschleunigen. Er über­sieht aber, dass diese Möglichkeiten längst geltendes Recht sind (so im Falle des Debt-Equity-Swap, der durch das Gesetz zur weiteren Er­leich­terung der Sanierung von Unternehmen [ESUG] eingeführt bzw. erleichtert wurde) oder schon von der aktuellen Bundesregierung auf den Weg gebracht wurden (so im Falle der Pflichtumwandlung von Fremd- und Eigenkapital durch die Aktienrechtsnovelle 2012).

Steinbrück weist darauf hin, dass die (systemrelevanten) Banken durch die Erwartung des Marktes, der Staat werde für sie haften, einen Finanzierungsvorteil haben, weil der Markt dies als eine „implizite Staatsgarantie“ qualifiziert (S. 9). Das ist richtig – und dieser (der Sache nach) Avalkredit ähnelt im Übrigen den Vorteilen aus der früheren Gewährträgerhaftung des Staates gegenüber den öffentlichen Banken. Den Vorteil „abzuschöpfen“, insbesondere durch Besteuerung, ist aber nicht ganz einfach (abgesehen, dass die „normalen“ Steuern ohnehin schon den Gewinn teilweise „abschöpfen“): Denn dann müsste man entweder im Vorhinein klar sagen, welche Banken man gegebenenfalls retten würde – und damit letztlich die verbindliche Staatsgarantie übernehmen, die man gerade vermeiden will. Belastete man demgegenüber alle Banken im Hinblick auf den nur möglichen Vorteil, wäre eine solche Steuer zu Lasten kleinerer Banken nicht zu rechtfertigen, weil sie gar nicht den entsprechenden Vorteil haben. Die Erhebung einer Steuer mit dieser Begrün­dung – gleich wie weit man den Rahmen der Pflichtigen zöge – wäre im Übrigen das offene Eingeständnis einer dauerhaften Banken­subventionierung; sie dürfte – ebenso wie die frühere Gewährträgerhaftung zugunsten der öffentlichrechtlichen Kreditinstitute – kaum mit europäischem Recht zu vereinbaren sein. Vor allem aber würde Steinbrück damit die Staats­haftung für Banken festschreiben, die er gerade ablehnt.

 

III. Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking

Kern von Steinbrücks Forderungen – jedenfalls in der bisherigen öffentlichen Reaktion – ist seine Forderung, den „spekulativen Eigenhandel“ der Banken zu verbieten bzw. ihn von anderen Geschäftsbereichen mit „klassischem Bankgeschäft“ zu trennen.

Damit will er ein Modell wieder installieren, das in den USA unter dem Glass-Steagall Act lange Zeit galt und erst 1999 abgeschafft wurde (dort diente es im Übrigen primär der Ver­meidung von Interessenkonflikten zwischen Kredit- und Emissionsgeschäft). Steinbrücks Annahme, dies könne zur Stabilisierung der Finanzmärkte beitragen, ist aber widerlegt: Denn Lehman Brothers war eine solche (reine) Investmentbank – und hat gleichwohl die bekannten Konsequenzen hervorgerufen. Andererseits: Wären seine Überlegungen richtig, würden die Kapitalgeber für die Überlassung von Eigen- oder Fremdkapital an eine Universalbank eine höhere Risikoprämie (sprich: höhere Zinsen) verlangen als bei einer Kapitalüberlassung an eine Nicht-Universalbank (also Nur-Investment- oder Nur-Geschäfts­bank). Das ist aber offensichtlich nicht der Fall – weil sonst bereits der „Druck des Marktes“ eine solche Aufspaltung erzwungen hätte (wie dies durchaus in vielen anderen Bereichen zu beobachten ist). Allenfalls wäre denkbar, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass der Markt hier die für einen Teil des Bankgeschäfts bestehende Einlagengarantie als günstig für das Gesamtgeschäft ansieht – was dann aber auch anders als durch Aufspaltung der Geschäfte korrigierbar wäre.

Steinbrück weiß auch hier, wovon er spricht. Denn es war genau das Geschäftsmodell, das die deutschen öffentlichen Landesbanken praktiziert haben, insbesondere auch die Westdeutsche Landesbank. Nach ihrer Umstrukturierung im Jahre 2002 verfolgte diese nämlich eine immer riskantere, hoch spekulative Geschäftspolitik, die in Presseberichten als „Zockerei“ und „Wild­west-Methoden“ bezeichnet wurde. Vor allem die Landesbanken investierten in kom­plexe Finanzprodukte, deren Risiken sie nicht mehr verstanden; statt die nach dem Auslaufen der Staatsgarantien frei gewordene Liquidität zur Kreditvergabe im Inland zu nutzen, wurde es zu attraktiven Konditionen abseits der Bilanz investiert – urteilte die Presse darüber.

Steinbrück spricht dies alles nur mit merkwürdiger Akzentsetzung an, wenn er sagt, der „Wegfall der Gewährträgerhaftung im Jahr 2001 [habe] das traditionelle Geschäftsmodell der Landesbanken in Frage [gestellt]. Als Antwort [hätten] sich viele Landesbanken in risikoreiche Geschäftsbereiche wie den Eigenhandel [geflüchtet]“ (S. 13, ähnlich auch S. 14 f.): Denn er war von 2002 bis 2005 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Vor allem verschweigt er den entscheidenden Punkt: Was er als „Flucht“ in ein neues Geschäftsmodell bezeichnet, war von den die Landesbanken in den Aufsichtsgremien tragenden Politikern geduldet, wenn nicht sogar gefördert. Denn die (anfangs) satten Gewinne aus den Investmentbanking-Aktivitäten der Landesbanken waren ein willkommenes Zubrot für die staatlichen Haushalte, sie konnten also – mit anderen Worten – gut genutzt werden, um eigentlich vorhandene Haushaltsdefizite zu verschleiern. Oder nochmals anders gewendet: Die Investmentbanking-Aktivitäten der Landesbanken waren ein angenehmer Ausweg, Steuererhöhungen zu vermeiden und die Budgethoheit des Parlaments zu unterlaufen – weil die Kosten in Form von Risiken an anderer Stelle entstanden. Wenn Steinbrück also heute die „Konsolidierung“ der Landesbanken fordert, verschweigt er, dass der Steuerzahler hier heute für Kosten herangezogen werden soll, über die eigentlich schon früher das Parlament Beschluss hätte fassen müssen. Und abgesehen davon: Wieso „musste“ eigentlich eine Landesbank sich in ein risikoreiches Geschäftsmodell „flüchten“? Steinbrück verschweigt, dass die Landesbanken seinerzeit dieselben unternehmerischen Entscheidungen wie die Geschäftsbanken getroffen haben – freiwillig (!), und in der Hoffnung auf satte Gewinne, nur weniger erfolgreich als die Geschäftsbanken. Steinbrück verdreht also Ursache und Wirkung! Für seinen Vorschlag einer Aufspaltung des Geschäfts- und Investmentbankings folgt daraus eigentlich nur, dass er sich nur für die Landesbanken halten lässt – und hierfür auch schon früher von den in den Leitungsgremien sitzenden Politikern hätte durchgesetzt werden können – aber nicht wurde, auch von Steinbrück nicht.

Prekär ist auch hier, dass die vorgeschlagene Aufspaltung nicht gelten soll für den Handel mit Anleihen öffentlicher Schuldner (S. 11). Das bedeutet – wegen der damit verbundenen Kreditverbilligung für die öffentlichen Schuldner – im Ergeb­nis eine (weitere) Subventionierung der öffentlichen Haushalte durch den Bankensektor. Oder anders ausgedrückt: Investmentbanking ist gefährlich – außer es dient dem Staat. Das erinnert an die Argumentation, mit der Lottogesellschaften als volksgefährdend verboten wurden, außer sie befinden sich in staatlicher Hand und generieren auf diese Weise staatliche Ein­nahmen.

Im Übrigen werden auch sonst zahlreiche Folgefragen offen gelassen: Wie ist es etwa mit dem Verhältnis zum Versicherungsgeschäft (bzw. zum Vertrieb von Versicherungen), das in den USA schon vor der Aufhebung des Glass-Steagall-Act eine Streifrage bildete? Und: Wie ist es mit der in Deutschland vor allem im Rahmen von Unternehmenssanierungen üblichen Beteiligung von Banken an ihren Kreditnehmern? Wer diese Möglichkeit abschaffen will, wird die Kreditbeschaffungskosten gerade der mittelständischen Industrie dramatisch erhö­hen. Wer sie andererseits nur für große Banken beseitigen will, legt die Kreditfinan­zierung der deutschen Wirtschaft in die Hände der – stark politisch dominierten – öffentlichen Kreditinstitute.

 

IV. Regulierung von Schattenbanken und bestimmten Handelsaktivitäten

Mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen will Steinbrück „Grauzonen“ des Finanzmarktes beseitigen. Das ist im Kern durchaus richtig; schwierig ist aber die Durchsetzung. Denn die meisten Handelsaktivitäten könnten, selbst wenn sie in Deutschland oder in Europa oder gar in allen Industrieländern verboten wären, noch immer irgendwo auf der Welt mit Effekt auch für Deutschland ausgeübt werden – und man muss kein Prophet sein, wenn man annimmt, dass es Länder geben wird, die genau daraus ein Geschäftsmodell machen werden. Steinbrück deutet diese Schwierigkeiten mit seinem Hinweis auf das Problem der Drittstaatenerfassung (S. 14) zwar an, verschweigt aber, dass hier das zentrale Problem liegt. Damit streut er dem Bürger Sand in die Augen:

Das gilt etwa für den OTC-Handel mit Derivaten (S. 16 f.), der – wenn er nicht mehr in Deutschland oder Europa zulässig wäre – ebenso gut auf einer kleinen Pazifikinsel durchgeführt werden könnte. Gleiches gilt für den durchaus plausiblen Vorschlag, die Nutzung fremder Vermögenswerte, insbesondere von Wertpapieren, im Rahmen von Pensionsgeschäften zu verbieten bzw. zu beschränken (S. 16).

Von dieser – entscheidenden – Erfassungsfrage abgesehen, ist aber sein Vorschlag zu hinterfragen, „Handelsalgorithmen“ einem Zulassungsverfahren zu unterwerfen (S. 18) oder den Hochfrequenzhandel zu entschleunigen (S. 18 f.). Denn was zunächst die Handels­algorithmen angeht, stehen dahinter unternehmerische Entscheidungen und Einschätzungen, die in Computerprogramme übersetzt wurden. Diese unter Umständen zu verbieten, ist nicht ganz leicht: Schließlich geht es den Staat auch sonst grundsätzlich nichts an, zu welchem Zweck seine Bürger ein Gut kaufen. Dass all’ dies ziemlich schnell vonstatten geht, ist klar: Aber es ist schon etwas widersprüchlich, wenn man denselben Bürger vor „entfesselten“ Finanzmärkten schützen will, der seinerseits mit denselben technischen Hilfsmitteln von jedem Ort der Welt aus kommunizieren will oder seinerseits Geschäfte tätigen will.

Deutschland kann also nur versuchen, die Einflüsse solcher Handelsaktivitäten auf Deutsch­land und deutsche Unternehmen auszuschließen oder zu begrenzen. Genau das hat der Gesetz­geber aber bereits mit Normen wie § 27a des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) getan, nach denen jedweder Erwerber von maßgeblichen Beteiligungen an einer deutschen Aktiengesell­schaft – gleich, wo er wohnt oder seinen Sitz hat – die damit verfolgten Ziele und die Herkunft der für den Erwerb verwendeten Mittel mitteilen muss.

Auch das Verbot ungedeckter Leerverkäufe von Staatstiteln – inzwischen auf europäischer Ebene verankert – war ein solcher Schritt. Richtig ist es in diesem Zusammenhang auch, wenn Steinbrück das Verbot ungedeckter Leerverkäufe auf Derivate ausweiten will, die sich auf Unternehmen, insbesondere Banken, beziehen (S. 17). Denn damit können „Umwegs­pressionen“ vermieden werden – weil sich eine Negativspekulation statt gegen einen Staat (was nicht mehr möglich ist) gegen die in diesem Staat ansässigen Unternehmen richtet – mit indirektem negativem Effekt für denselben Staat.

 

V. Stärkere Eigenkapitalunterlegung

Zur besseren Risikoabsicherung insbesondere der Investmentbank-Aktivitäten fordert Steinbrück eine Unterlegung dieser Aktivitäten mit mehr Eigenkapital (S.15, und zu Einzelheiten S. 21 f. sowie S. 24 f.). Das ist im Grundsatz durchaus richtig. Was er aber nicht sagt: Dieses zusätzliche Eigenkapital kann entweder von den Gesellschaftern kommen oder dadurch aufgebracht werden, dass die Ausgaben/Kosten minimiert werden. Sehen wir uns zunächst die Kostenreduktion an: Sie bedeutet geringere Zinsen für Sparer und Anleger, also noch weniger, als jetzt schon gezahlt wird. Alternativ möglich ist auch eine Erhöhung der Kreditzinsen: Als Folge wird die Kreditaufnahme – vom Verbraucherkredit bis hin zum Unternehmenskredit – teurer. Eigenkapitalerhöhung ist von den Gesellschaftern zu leisten; das aber sind – bei privaten Banken – keineswegs irgend­welche anonymen „Finanzmarktakteure“, sondern deren Eigentümer – hinter denen, wenn nicht direkt, so jedenfalls über Kapitalanlagegesellschaften und Lebensversicherungen – der kleine Sparer steht. Bei den öffentlichen Banken ist es demgegenüber direkt der Staat – und damit der Steuerzahler.

Letztlich kann man es drehen oder wenden, wie man will: Die Zeche zahlt der Bürger, oder: Eine bessere Eigenkapitalausstattung für Banken gibt es nicht zum Nulltarif. Das sollte Steinbrück ehrlicherweise sagen.

 

VI. Regulierung von Ratingagenturen

Mit starken Worten greift Steinbrück die Macht der Ratingagenturen an: Der Markt werde hier von drei amerikanischen Unternehmen beherrscht, die „diese unglaubliche Machtfülle nutz[t]en, um immer größere Gewinne zu erzielen. Senk[t]en sie den Daumen, [könne] das das Ende des Kapitalmarktzugangs von Unternehmen und ganzen Volkswirtschaften bedeuten.“ (S. 19).

Es ist sicher richtig, dass das Rating einen erheblichen Einfluss auf den Kapitalmarktzugang von Emittenten hat, und richtig ist auch, dass die (falsche) Bewertung mancher Kapital­markt­produkte durch die Ratingagenturen (Stichwort: Immobilienkredite) zur Verschärfung der Finanzkrise beigetragen hat. Das aber will Steinbrück gar nicht regeln!

Er stößt sich vielmehr ausschließlich an den Staatenratings der Ratingagenturen, mit denen die Kreditwürdigkeit öffentlicher Kreditnehmer bewertet werden soll. Ihre Ratings sollten durch eine „unabhängige Behörde“ wie den IWF oder die OECD überwacht werden; besser noch sei die Gründung einer am „Gemeinwohl“ orientierten unabhängigen (europäischen) Agentur in der Form der Stiftung, weil die bestehenden Ratingagenturen in einem Interessen­konflikt stünden, da sie von denjenigen bezahlt würden, die sie zu bewerten haben.

Das ist zunächst einmal falsch: Staaten zahlen gerade nicht für ihre Ratings, sondern diese Ratings werden schon jetzt in besonders neutraler Weise verfasst. Entscheidend aber ist das Ziel dieser Überlegungen: Negative Meinungen über Staaten sollen vermieden werden, um deren wirtschaftlich schlechte Verfassung nicht öffentlich zu machen. Das ist so, als wenn sich in der Schule die Schüler einen neuen Lehrer auswählen könnten, weil der bisherige zu schlechte Noten vergeben hat! Ganz abgesehen davon, dass niemand den von Steinbrück gewünschten „unabhängigen“ – sprich staatlich kontrollierten – Ratings glauben wird und es schwer sein wird, Meinungsäußerungen zu verbieten, nur weil sie unangenehm sind: Letztlich geht es bei diesen Überlegungen nur darum, eine Politik des Schuldenmachens zu erleichtern, indem sie auch noch verschleiert wird.

Im Übrigen wollen (externe) Ratings genau das, was Steinbrück an anderer Stelle (S. 23) fordert – nämlich „Risiken sichtbar machen“. Deshalb ist es widersprüchlich, wenn er einerseits für Staatenratings die Alternative bankinterner Ratings fördern will (S. 20), anderer­seits aber zugibt, dass solche Ratings mangels Vergleichbarkeit ihr Ziel nicht erfüllen (S. 23). Im Ergebnis steht hinter dieser Frage auch diejenige, ob sich der Staat den freien Marktkräften stel­len will (oder sollte).

 

VII. Anreiz- und Vergütungsstrukturen

Schließlich sollen die Anreiz- und Vergütungsstrukturen bei Banken (Stichwort: Boni) so ge­ändert werden, dass Fehlanreize, insbesondere kurzfristige Gewinnmaximierung, vermie­den werden.

Was Steinbrück verschweigt: Schon die frühere rot-grüne Bundesregierung – und zwar gerade auch mit den Stimmen der Union – hatte dieses Problem schon lange und zu Recht durch Gesetzesänderungen adressiert (zuerst im „Gesetz über die Offenlegung der Vorstands­vergü­tungen [Vor­stands­vergütungs-Offenlegungs­gesetz]“ aus dem Jahre 2005). Das wirksamste Kontrollinstrument für unangemessene Vergütungen, die (verbindliche) Entscheidung über die Vergütung den Eigentümern zu überlassen, hat aber (auch) sie verhindert. Der Grund liegt auf der Hand: Aufsichtsräte – und damit auch die Arbeitnehmervertreter im mitbestimmten Aufsichtsrat – profitieren indirekt von hohen Vorstandsvergütungen; da die Arbeitnehmer­vertreter aber den größten Teil ihrer Vergütung an die Gewerkschaften abführen müssen, besteht bei ihnen überhaupt kein Interesse an einer übermäßigen Beschränkung von Vor­stands­vergütungen! Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Vorstandsgehältern widersprüchlich: Wer den – hier tatsächlich vorhandenen – Missbrauch ernsthaft eindämmen will, müsste die steuerliche Abzugsfähigkeit auch bei der Aufsichtsratsvergütung (weiter) beschränken.

Ganz ähnlich ist es mit der Forderung, dass die Vergütung nicht nur für Vorstandsmitglieder, sondern für alle Top-Verdiener einer Bank offen gelegt werden müsse: Diese – in den USA schon lange vorgeschriebene – Publizität ist (auch) von der SPD früher verhindert worden, weil man meinte, dem Arbeitnehmer – der nicht Vorstands- bzw. Organmitglied ist – sei sie nicht zuzumuten.

 

VIII. Europäische Bankenaufsicht

Steinbrück spricht sich im Ansatz – durchaus zu Recht – für eine stärkere Europäisierung der Bankenaufsicht aus. Er will aber – dem Grundsatz der Subsidiarität entsprechend – verhin­dern, dass die europäische Bankenaufsicht alle – auch die kleinen und mittleren – Banken der Eurozone überwacht; sie solle vielmehr nur die grenzüberschreitend tätigen systemrelevanten Institute erfassen (S. 26 f.).

Das überzeugt nicht: Denn einmal ist es keineswegs so, dass sich die „lokalen“ Banken nicht etwa auch in riskanten Geschäften engagiert hätten. Das Gegenteil ist der Fall, und die Gemeinschaftsinstitutionen der (öffentlichen) lokalen Banken, allen voran die Landesbanken, spielten hier sogar eine negative Vorreiterrolle. Es ist zum zweiten nicht so, dass der Zusammenbruch eines solchen „lokalen“ Instituts keine weit über die Landesgrenzen hinauswirkenden Folgen haben kann (wie der Fall der Hypo Real Estate zeigt). Vor allem lüde eine solche Ausgrenzung zu Umgehungen geradezu ein: Die nach Vorabeinschätzung nicht systemrelevanten Institute würden sich genau in den Geschäften engagieren, bei denen die anderen Banken schärfer überwacht werden. Es liegt auf der Hand, dass hinter diesen Forderungen nach „Subsidiarität“ bei der Ausgestaltung einer europäischen Bankaufsicht auch das Interesse steht, die Kreditaufnahme für (lokale) staatliche und kommunale Haushalte zu verbilligen – also im Ergebnis Schattenkreditaufnahme nach dem Motto „Wasch’ mich aber mach’ mich nicht nass“.

 

IX. Bessere Qualifikation der nationalen Banken- und Kapitalmarktaufsicht

Zu Recht fordert Steinbrück eine bessere Qualifikation der Mitarbeiter der deutschen Banken- und Kapitalmarktaufsichtsbehörde, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Ba­Fin) (S. 29).

Seine Überlegungen greifen allerdings zu kurz, was die Vorschläge für eine Beseitigung des Problems angeht. Denn es ist nicht (allein) die Vergütung und die Vergütungsstruktur, die hier der Reform bedarf. Entscheidend(er) sind vielmehr die Möglichkeiten für Mitarbeiter der BaFin, die notwendige Sachkenntnis zur Bewältigung ihrer Aufgaben zu erlangen. Bessere Bezahlung ist insoweit hilfreich, aber nicht alleine: Zu nennen sind neben der Möglichkeit des Laufbahnwechsels zwischen bank- und kapitalmarktrechtlicher Praxis einerseits und Aufsichtsbehörde andererseits auch Nebentätigkeiten in Form von Vortrags- und Veröffent­lichungs­tätigkeit, weil sie die Basis zum (gerade auch informellen) Dialog zwischen den Beteiligten eröffnen. Steinbrück selbst liefert hier gerade „Anschauungsmaterial“, und es bleibt abzuwarten, wie die Öffentlichkeit auf seinen höchstpersönlichen Dialog mit der Praxis – aus dem sicher auch manche der hier besprochenen Vorschläge hervorgegangen sind – auf lange Sicht reagiert. Die bisherigen Reaktionen sprechen jedenfalls eher gegen einen produktiven Dialog von Aufsicht und Praxis – ganz im Sinne des klassischen deutschen Obrigkeitsdenkens. Umgekehrt ist aber auch klar: Fehlende Distanz zwischen Aufsicht und Praxis begünstigt eine Kultur des „Sich-nicht-Wehtuns“ („regulatory capture“); Erfahrungen dieser Art gibt es in allen Bereichen der staatlichen Aufsicht von der Bauordnung über die Lebensmittelaufsicht bis zum Ausländeramt.

 

X. Zusammenfassung

Steinbrück hat mit manchen seiner Forderungen zur Regulierung der Finanzmärkte recht. Das gilt etwa – neben den schon erwähnten Punkten – auch für seine Forderung nach einem europaweit einheitlichen Abwicklungsregime für Banken (S. 10) und einem „Banken­testament“ (S. 10).

Aber praktisch alle Vorschläge laufen auf Steuererhöhungen oder höhere Lasten für den Bürger und auf ein (im Vergleich zu privaten Schuldnern) leichteres Schuldenmachen für den Staat hinaus. Dass hierauf der Hauptakzent seiner Überlegungen liegt, wird auch dadurch verschleiert, dass behauptet wird, die aktuelle Finanzkrise habe sich „[a]us einem verhältnis­mäßig kleinen Problem mit US-Immobilien­krediten entwickelt“ (S. 1). Richtig ist vielmehr: Die aktuelle europäische Finanzkrise ist eine Staats-Schuldenkrise und hat mit der US-Immobilienkrise des Jahres 2007 allenfalls begrenzt zu tun.

 In summa: Steinbrück nutzt die Finanzkrise geschickt als Vorwand für Steuererhöhungen und staatliches Schuldenmachen. Das ist eigentlich nicht überraschend.

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