Begrenzung des deutschen Exportüberschusses

Der zunehmende deutsche Exportüberschuss wird von hochrangigen Regierungsmitgliedern befreundeter Staaten mit einigem Argwohn verfolgt, vor allem angesichts nicht so günstiger Wirtschaftsdaten im eigenen Land. Das hat dazu geführt, dass unter dem Beifall von Makroökonomen gefordert wird, den Außenhandelsüberschuss eines Landes auf 4% des Bruttoinlandsprodukts zu beschränken. Auf der Tagung der G20 Staaten in Seoul am 11. 11. 2010 konnte allerdings eine dahingehende numerische Festlegung verhindert werden.

Dies wurde als Erfolg der Bundeskanzlerin gefeiert. Im Vorfeld des Treffens hatten Mitglieder der Bundesregierung zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vorgabe derartiger, fester Grenzen planwirtschaftlichem Denken entspreche. Auch dürften die Leistungsbilanzüberschüsse Chinas, die zu einem nicht unerheblichen Teil auf einer Unterbewertung der chinesischen Währung beruhten, nicht mit denen Deutschlands verglichen werden, die auch in Zeiten eines – im Kaukraftvergleich – deutlich überbewerteten Euros erzielt worden seien. Aus juristischer Sicht stellt sich aber die Frage, ob und in welchem Ausmaß planwirtschaftliche Maßnahmen auf rechtliche Bedenken stoßen, konkret eine Steuerung der Exporte.

Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Wirtschaftsverfassung vor, auch nicht „die“ soziale Marktwirtschaft. Es gibt allerdings eine Reihe von grundlegenden Einzelvorschriften, welche die Einführung einer Zentralplanwirtschaft ebenso wie einer völlig ungeregelten Marktwirtschaft ausschließen würden. Zu nennen sind vor allem die Berufsfreiheit, der Schutz des Eigentums, die Koalitionsfreiheit und das Sozialstaatsprinzip. Allerdings dürfen diese Rechte und Prinzipien in erheblichem Umfang eingeschränkt werden und das geschieht nicht selten. Auch darf nicht vergessen werden, dass nachträglich (1967) eine Staatszielbestimmung in das Grundgesetz eingefügt worden ist, die Bund und Länder zur Beachtung der „Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ verpflichtete. Dies geschah im Rahmen der makroökonomischen Planungseuphorie der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es war eine verbreitete Vorstellung, dass gesamtwirtschaftliche Aggregate steuerbar seien („Globalsteuerung“). Zum gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht wurden nicht nur die Stabilität des Preisniveaus, ein hoher Beschäftigungsstand sowie ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum gerechnet, sondern auch das außenwirtschaftliche Gleichgewicht.

Nach ihrem Wortlaut bezog sich diese Vorschrift unmittelbar nur auf die Haushaltswirtschaft des Bundes und der Länder, wurde aber zumindest als allgemeine Zielvorgabe und Ermächtigung zur Verfolgung einer „antizyklischen“ Wirtschaftspolitik verstanden. Allerdings ist sie im Rahmen der Föderalismusreform II vor wenigen Monaten sang- und klanglos beseitigt worden. Die Einzelziele waren aber in einem besonderen Gesetz, dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, niedergelegt. Sie waren dort in §1, anders als im Grundgesetz, auch auf wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen bezogen und nicht nur auf die Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern. Allerdings sollte ihre Verfolgung nur im Rahmen der „marktwirtschaftlichen Ordnung“ erfolgen.

Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wurde bei der Auslegung dieser Ziele durchaus auch mit Zahlen belegt. Es sollte bei Überschreitung sein, wenn der Außenhandelssaldo 1% des Bruttosozialprodukts überschritt. Dieses Gesetz ist weitgehend in Vergessenheit geraten, wurde aber auch nicht aufgehoben. Allerdings entbindet es nicht von der Beachtung der Grundrechte und der Prinzipien des Art. 20 GG. Vor allem müssen alle Maßnahmen erforderlich, geeignet und angemessen sein. Daran bestünden erhebliche Zweifel, wenn die Bundesregierung tatsächlich versuchen würde, „die“ Leistungsbilanzüberschüsse mit konkreten Einzelmaßnahmen speziell gegenüber der exportierenden Wirtschaft zu begrenzen.

Hinzu kommen europarechtlichen Anforderungen, die höherrangig sind. Maßnahmen der Mitgliedstaaten müssen ebenso wie die der Union Ausdruck einer  Wirtschaftspolitik sein, die dem „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet“ ist. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist weiter verlangt, dass währungspolitische Maßnahmen des ESZB im Einklang mit dem Grundsatz einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ stehen.

Wenn Makroökonomen die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands kritisieren, wird häufig unterschlagen, dass sie nicht auf einer überbewerteten Währung beruhen. Dass aber bessere Leistungen der deutschen Unternehmen und Arbeitnehmer, bessere institutionelle Rahmenbedingungen und vor allem bessere Produkte die Ursachen für die Exporterfolge sein könnten, wird vor allem bei Beiträgen aus dem angelsächsischen Bereich nicht in Betracht gezogen. Es wird fast vollständig verdrängt, dass es gute Gründe gibt, warum ein in den Vereinigten Staaten produziertes Auto sowohl in den USA als auch in anderen Ländern so schwer verkäuflich ist; ganz zu schweigen von den vielen, für die Verbraucher (und die Medien) fast völlig unsichtbaren Vorprodukten, Werkzeugen und Maschinen, bei denen deutsche Unternehmen Weltmarktführer sind („hidden champions“). Meist sind sie sogar wegen des fundamental überbewerteten Euros deutlich teurer als die Angebote aus anderen Ländern. Aus der Sicht der (ausländischen) Käufer müssen sie aber dennoch ein günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. Sonst würden sie diese Produkte nicht kaufen.

Die Vorgabe von zahlenmäßig bestimmten Grenzen für den Außenhandelsüberschuss beruht zunächst auf einer viel zu undifferenzierten und verkürzten Sicht des internationalen Wirtschaftsverkehrs. Es fehlt regelmäßig die hinreichende Einbeziehung der übrigen Positionen der Zahlungsbilanz. Insbesondere sind die Transfers und die Auslandsinvestitionen des „Überschusslandes“ einzubeziehen. Auch sind die Verwendung der „Gewinne“ und die Finanzierung der „Verluste“ aus den Salden von erheblicher Bedeutung und beruhen nicht zuletzt auch auf wirtschaftspolitischen Entscheidungen in den „Defizitländern“.

Dass Makoökonomen sich lieber mit Gleichgewichten als mit Ungleichgewichten beschäftigen ist nicht neu. Die dabei nicht selten zugrundeliegende „mechanistische“ Sicht hoch aggregierter Größen und deren Steuerbarkeit sind ebenfalls nicht neu. Die Vorstellung, die Bundesregierung könnte schlicht anordnen, dass „die“ Wirtschaft nun weniger exportiert bis die vorgegebene Zielmarke wieder erreicht ist, widerspricht aber den rechtlichen Gegebenheiten in einem freiheitlichen Rechtsstaat und verkennt insoweit die Realitäten, dass es nicht „die“ Wirtschaft oder „die“ Exportwirtschaft gibt. Die Vorstellung, die Wirtschaft könne durch eine Anordnung der Staatsleitung gesteuert werden, hat aber große Anziehungskraft für voluntaristisch denkende Politiker und modellverliebte Ökonomen.

Allerdings war die Vorstellung, dass „die“ Wirtschaft vom Staat gesteuert werden könne und dürfe, auch in Deutschland weit verbreitet. Die Zentralplanwirtschaften in den kommunistischen Diktaturen orientierten sich an deutschen Vorbildern. Auch in der Weimarer Zeit waren formelle und informelle Planungsinstrumente hoch geschätzt. Kartelle, Syndikate und Planungsräte waren nicht zuletzt vom Staat inspiriert oder sogar staatliche Einrichtungen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren diese Ideen durchaus noch lebendig und in Kreisen von Politikern und Intellektuellen immer noch hoch geschätzt, wie die Einführung der oben genannten Bestimmungen zur Globalsteuerung zeigen.

Sie haben aber aus verschiedenen Gründen im Wesentlichen ihr Ziel nicht erreicht. Vor allem ist hier auch das Absicherungsgesetz aus dem Jahre 1969 zu nennen, das in der Endphase des Systems von Bretten Woods mit festen Wechselkursen zur Begrenzung von Außenhandelsüberschüssen erlassen worden war. Es ist letztlich gescheitert und konnte eine Aufwertung der DM und die Auflösung des Systems fester Wechselkurse, die jetzt wieder von einigen Ökonomen als Allheilmittel ins Gespräch gebracht werden („Bretton Woods II“), nicht verhindern.

Jede Maßnahme zur Steuerung der Exporte müsste vor diesem Hintergrund zunächst einmal die erheblichen Zweifel an ihrer Erforderlichkeit und Geeignetheit beseitigen. Die Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts werden in der aktuellen Diskussion noch viel zu wenig berücksichtigt.

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