Das neue EU-Patentsystem und seine Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis

RA Alexander Harguth, Partner, McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP, München

Das Europäische Parlament hat am 11. 12. 2012 den Regelungsrahmen für einen neuen einheitlichen Patentschutz in der EU verabschiedet. Der seit 40 Jahren andauernde Streit über diese einheitliche Lösung wird durch das verabschiedete „EU-Patentpaket“ beendet. Das geschieht nicht i. S. aller EU-Staaten. Italien und Spanien haben sich an der Lösung nicht beteiligt und wehren sich derzeit, wohl aber vergeblich, beim Europäischen Gerichtshof gegen den Alleingang der anderen EU Staaten.

Im Wesentlichen beinhaltet das EU-Patentpaket ein „Unionspatent“, das über die Landesgrenzen hinaus in 25 EU-Staaten Geltung haben wird. Ferner ist ein „Unionspatentgericht“ vorgesehen, das zentral für Patentstreitigkeiten mit Gerichtsgewalt über 25 EU-Saaten ausgestattet ist. Das Unionspatentgericht wird auf die Grundlage eines internationalen Übereinkommens gestellt, während sich die Rahmenbedingungen für das neue Unionspatent und die zugehörigen Sprachenreglungen in gesonderten EU-Verordnungen finden. Die EU erhofft sich mit dem neuen EU-Patentsystem, dass die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und Japan gestärkt wird. Die Erlangung von europaweitem Patentschutz soll günstiger und einfacher werden, was vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen zu Gute kommen soll.

Für innovative Unternehmen und Erfinder stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das neue EU-Patentsystem für sie haben wird. Das gilt auch für Anwälte, die im Patentrecht beraten und sich auf die neue Lage einstellen müssen. Das neue System soll innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums eingerichtet werden. Bereits am 1. 1.  2014 soll es in Kraft treten, es sei denn, das internationale Übereinkommen für das neue Unionspatentgericht kann nicht schnell genug in durch Parlamenten der EU-Staaten ratifiziert werden. Jedenfalls muss mit spürbaren Änderungen in naher Zukunft gerechnet werden.

Für das Anmeldeverfahren zur Erlangung des neuen Unionspatents wird auf vorhandene Strukturen, nämlich das Europäische Patentamt, zurückgegriffen. Das Anmeldeverfahren wird sich damit nicht grundlegend von dem des derzeitigen „Europäischen Patents“ unterscheiden, das bereits seit den siebziger Jahren erteilt wird und auch in der Zukunft neben dem Unionspatent zur Verfügung stehen wird. Allerdings hat das Europäische Patent den Nachteil, dass der Patentschutz in einem Mitgliedstaat von einer nationalen Validierung abhängt, was mit zusätzlichen Übersetzungs- und Verwaltungskosten verbunden ist. Entscheidet sich der Anmelder für das neue Unionspatent, fällt die Validierung für 25 EU Staaten weg. Für Patentanmelder, die an einer möglichst großen Reichweite des Patentschutzes interessiert sind, wird das Unionspatent finanzielle und administrative Vorteile bringen, die dadurch ergänzt werden, dass Gebühren zur Aufrechterhaltung des Patentschutzes nicht mehr an eine Vielzahl nationaler Patentämter zu zahlen sind. Vor allem für Staaten, für die das neue Unionspatent nicht beantragt werden kann, also Italien, Spanien und 11 weitere Staaten, die nicht der EU angehören, wie zum Beispiel die Schweiz, wird das herkömmliche Europäische Patent unverändert die gleiche Bedeutung wie bisher habe.

Ferner beinhaltet das EU-Patentpaket ein neues „Unionspatentgericht“. Dessen erste Instanz hat eine dezentrale Ausprägung, mit einer Vielzahl lokaler und regionaler Kammern, die in der EU verstreut sein werden. Allein in Deutschland werden vorrausichtlich drei lokale Kammern, nämlich in München, Mannheim und Düsseldorf errichtet werden. Vor solchen lokalen Kammern werden grundsätzlich Patentverletzungsklagen verhandelt. Es ist auch zu erwarten, dass ein Großteil der Arbeit von den lokalen Kammern erledigt werden wird. Ein nicht weniger wichtiger Bestandteil der ersten Instanz ist eine Zentralkammer, die ihren Hauptsitz in Paris mit Nebenstellen in München und London haben wird. Dort können Patentnichtigkeitsklagen eingereicht werden, wobei die Münchner Zweigstelle vor allem für den Bereich Mechanik zuständig sein wird. Patentinhaber werden bei der Zentralkammer auch Verletzungsklagen anstrengen können, wenn die beklagte Partei ihren Sitz oder Wohnsitz außerhalb der Europäischen Union hat. Die Zentralkammer ist aus deutscher Sicht von besonderer Bedeutung, da die lokalen Kammern den im anhängigen Verfahren vom vermeintlichen Verletzer geltend gemachten Anspruch auf Nichtigerklärung des Patents an die Zentralkammer verweisen können. Das in Deutschland derzeit geltende Trennungsverfahren, wo über die Nichtigkeit des Patents im Gericht der Patentverletzungsklage keine Entscheidung getroffen wird, sondern dafür das Bundespatentgericht oder die Patentämter zuständig sind, kann also prinzipiell auch unter dem neuen System fortgeführt werden. Da der Unionspatentgerichtsbarkeit grundsätzlich auch Europäische Patente unterliegen, die am Tage der Eröffnung des Gerichts noch in Kraft sind, wirkt sich das EU-Patentpaket durchaus auf heute anhängige Anmeldungen aus. Das neue Unionsgericht wird nämlich nur für diejenigen Länder eine Entscheidung treffen, in denen das Europäische Patent validiert worden ist.

Das neue EU-Patentsystem führt zu mehr Komplexität. Patentverletzungsklagen vor dem Unionsgericht werden zudem internationaler. Auch wenn das Zusammenspiel zwischen lokalen Kammern und der Zentralkammer noch ungeklärt ist, ist zu erwarten, dass über die Verletzung eines Patents in lokalen Kammern, sei es in Mannheim oder Düsseldorf, entschieden wird, während die Nichtigkeit des Patents Gegenstand eines Verfahrens vor der Zentralkammer, je nach Technologiebereich, in Paris, München oder London sein kann. Für die derzeit in Deutschland stattfindenden Patentkriege wegen Smartphones und Tabletts hätte dies zur Folge, dass die Nichtigkeit der zugrundeliegenden Patente vor der Zentralkammer in Paris beurteilt werden müsste, da Paris für diesen Technologiebereich zuständig ist.

Ferner wird es nebeneinander Unionspatente, Europäische Patente, weiterhin aber auch nationale Patente geben. Die Wahl wird von strategischen Überlegungen abhängen, auch von der Frage, ob Unternehmen Willens sind, ihre Erfindungen in die Hände eines zunächst unerfahrenen Patentgerichts zu legen, dessen Spruchpraxis erst allmählich entwickelt werden muss. Für Europäische Patente besteht während einer Überleitungsphase von sieben Jahren zumindest die Möglichkeit, auf die nationalen Gerichte zuzugreifen. Nach diesem Zeitpunk gilt das nur für solche Europäischen Patente, die rechtzeitig vor Ablauf dieser Überleitungsphase vom Patentinhaber mittels einer speziellen Erklärung („opt out“) aus dem neuen System ausgeschlossen werden. Nationale Patente werden nach wie vor den nationalen Gerichtssystemen unterworfen sein. Da befürchtet wird, dass sich während der siebenjährigen Überleitungsphase keine ausreichend verlässliche Spruchpraxis etablieren lässt, könnte dies zu einer Renaissance nationaler Patente führen.

 

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