Die Präsenz bei der diesjährigen Hauptversammlung der Siemens AG war mit 33,82% die niedrigste der letzten sieben Jahre. Bei geringer Präsenz können Aktionäre bereits mit vergleichsweise geringer Beteiligung Abstimmungen beeinflussen. Gesellschaften ohne verlässliche Großaktionäre drohen dann Zufallsmehrheiten. Das kann bei der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat oder dringend benötigten Kapitalmaßnahmen zu unangenehmen Überraschungen führen. Eine ähnlich niedrige Präsenz droht in der anstehenden Hauptversammlungssaison auch anderen Gesellschaften, die Namensaktien ausgegeben haben. Auslöser dafür ist das Urteil des OLG Köln vom 6. 6. 2012 – 18 U 240/11.
Bei Namensaktien ist es üblich, dass sich die Depotbank anstelle ihres Kunden als sog. Legitimationsaktionär in das Aktienregister einer Gesellschaft eintragen lässt. Der Gesellschaft gegenüber gilt damit formal die Depotbank als Aktionär. Sie hat nach außen hin das Stimmrecht, auch wenn sie nach Weisung des Kunden abstimmt oder ihn zur Stimmrechtsausübung bevollmächtigt. Aufgrund der formalen Aktionärsstellung behandelt das Gericht die Depotbank auch hinsichtlich der Erfüllung von Mitteilungspflichten wie einen Aktionär. Aktionäre müssen durch eine Stimmrechtsmitteilung nach dem Wertpapierhandelsgesetz gegenüber dem Emittenten und der BaFin offenlegen, dass sie bestimmte Stimmrechtsanteile an einer börsennotierten Gesellschaft halten. Versäumen sie dies, verlieren sie zeitweise u. a. das Stimm- und Dividendenrecht. Das Gleiche gilt nach dem Urteil nun auch für Legitimationsaktionäre und damit insbesondere für die Depotbank. Sie muss einen Aktienbesitz von mindestens 3%, für den sie als Legitimationsaktionär im Aktienregister eingetragen ist, mitteilen. Ein Versäumnis geht zulasten ihrer Kunden, die der Rechtsverlust ebenfalls trifft. Die Banken müssten also dazu übergehen, ihre Depotbestände laufend daraufhin zu überprüfen, ob relevante Stimmrechtsschwellen über- oder unterschritten werden.
Trotz gleichlautender Ansichten im juristischen Schrifttum ist dem OLG Köln in der Sache nicht zu folgen. Die Eintragung im Aktienregister erlaubt der Depotbank lediglich, fremde – dem Aktieninhaber zustehende – Stimmrechte auszuüben. Sie wirkt ähnlich einer Bevollmächtigung der Depotbank. Bevollmächtigte sind nach dem Gesetz jedoch nur dann mitteilungspflichtig, wenn sie keinen Weisungen des Aktieninhabers unterliegen – das tut die Depotbank aber grundsätzlich. Die meisten Depotbanken haben deshalb entschieden, das noch nicht rechtskräftige Urteil vorerst nicht anzuwenden und keine Mitteilungen abzugeben. Das birgt jedoch Risiken. Bestätigt der BGH das Urteil in der Revision, erwiese sich die Ausübung der betreffenden Stimmrechte im Nachhinein als unwirksam. Die Depotbanken haben sich deshalb mit den betroffenen Gesellschaften, Registerführern und Aktionärsdienstleistern auf eine gemeinsame Praxis verständigt: Aktionären, die ihre Stimmrechte ausüben wollen, wird empfohlen, sich vor der Hauptversammlung selbst in das Aktienregister eintragen (und anschließend wieder austragen) zu lassen.
Die Lösung hat jedoch einen Haken. Die Depotbanken weisen darauf hin, dass sich der Vollzug eines Verkaufs der Aktien unmittelbar vor der Hauptversammlung verzögern kann, wenn der Verkäufer selbst im Aktienregister eingetragen ist. Denn für die Lieferung verlangen sie, dass die Aktien aus technischen Gründen zunächst wieder auf die Depotbank umgeschrieben werden. Das ist normalerweise leicht möglich. In den sechs Tagen vor der Hauptversammlung setzen die Gesellschaften Umschreibungen im Aktienregister jedoch i. d. R. aus. So stellen sie organisatorisch sicher, dass nur derjenige in der Hauptversammlung Rechte ausüben kann, der im Aktienregister steht. Die betroffenen Aktien können zwar weiterhin frei gehandelt werden. Aufgrund der möglichen Verzögerung ihrer Lieferung erscheinen sie jedoch in den Systemen verschiedener Depotbanken und Aktionärsdienstleister als vorübergehend blockiert. Das alarmiert die institutionellen Investoren. Für sie genießt die jederzeitige Veräußerbarkeit der Aktien höchste Priorität. Sie verzichten lieber auf die Stimmrechtsausübung, als eine Beeinträchtigung der Veräußerbarkeit hinzunehmen. Das führt zu sinkenden Präsenzen bei Gesellschaften mit Namensaktien.
Dabei ist die Umschreibung im Aktienregister für die Ausübung des Stimmrechts nicht notwendig. Es handelt sich um eine Vorsichtsmaßnahme aufgrund des Gerichtsurteils. Darauf gestützte Anfechtungsklagen dürften sich in Grenzen halten. Für einen Anfechtungskläger ist es – auch nach Einblick in das Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung – nicht immer offensichtlich, dass eine Depotbank Mitteilungsschwellen überschreitet. Zumeist dürften die betroffenen Stimmen das Abstimmungsergebnis nicht beeinflussen. Die Depotbanken sollten Investoren, die die Umschreibung nicht wünschen, daher trotzdem die Ausübung ihres Stimmrechts ermöglichen. Im schlimmsten Falle wäre die Stimmabgabe unwirksam. Das ist aber immer noch besser, als darauf von vornherein zu verzichten.