Am 5. 2. 2013 hat die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex Vorschläge zu möglichen Änderungen ihres Regelwerks veröffentlicht. Neue Regeln möchte sie vor allem im Bereich der Vorstandsvergütung schaffen. Zum einen soll der Aufsichtsrat bei der Festlegung der Vorstandsvergütung das Verhältnis zur Vergütung des oberen Führungskreises und der relevanten Gesamtbelegschaft berücksichtigen (Ziff. 4. 2.2 Abs. 2 Satz 3). Eine besondere Rolle soll bei diesem Vergleich der „zeitlichen Entwicklung“ zukommen. Zum anderen soll die Transparenz der Vorstandsvergütung für die Aktionäre weiter erhöht werden. Dazu dient die Empfehlung, über die bereits im Gesetz und im Kodex vorgesehenen Angaben hinaus weitere Details in den Vergütungsbericht aufzunehmen: z. B. die für das Berichtsjahr gewährten Zuwendungen einschließlich der Nebenleistungen sowie die Maximal- und Minimalvergütung bei variablen Vergütungen (Ziff. 4. 2.5 Abs. 3 Satz 1). Flankiert wird diese Regelung durch die Anregung, diese Informationen in Mustertabellen aufzubereiten (Ziff. 4. 2.5 Abs. 3 Satz 2).
Diese Vorschläge der Regierungskommission wecken erhebliche Bedenken. Daher sollten sie in ihrer jetzigen Fassung aus folgenden Gründen bestenfalls verworfen, zumindest aber grundlegend überarbeitet werden:
Erstens: Für eine Empfehlung an den Aufsichtsrat, das Verhältnis der Vorstandsvergütung zur Vergütung des oberen Führungskreises und der relevanten Gesamtbelegschaft zu berücksichtigen, lässt das geltende Aktienrecht keinen Raum. Schon nach § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG muss der Aufsichtsrat dafür sorgen, dass die Vorstandsvergütung in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft steht und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigt. In dieses Ermessen kann und muss er alle relevanten Parameter einbeziehen. Dazu kann nach den Materialien zum Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) auch die Prüfung einer „vertikalen“ Angemessenheit gehören. Damit ist nichts anderes gemeint als das unternehmensinterne Gehaltsgefüge. Zwar muss deshalb die Vorstandsvergütung nicht als ein Vielfaches von Tariflöhnen oder Ähnlichem berechnet werden. Es ist aber auf einen angemessenen Abstand zumindest zur nächsten Führungsebene zu achten. Dieser Aspekt kann und darf daher nicht mehr Gegenstand einer – das Gesetzesrecht ergänzenden – Empfehlung sein.
Hinzu kommt, dass die vorgeschlagene Empfehlung nicht hinreichend bestimmt formuliert ist. Insbesondere bleibt unklar, was genau unter dem „oberen Führungskreis“ zu verstehen ist. Zwar sieht der Änderungsvorschlag vor, dass der Aufsichtsrat selbst diesen Führungskreis definiert. Sinnvoll erscheint ein solches Vorgehen aber nicht, weil bei einer autonomen Festlegung der Vergleichsgruppe durch den Aufsichtsrat letztlich die Empfehlung ins Leere zielt. Unverständlich ist auch, was unter der „relevanten Gesamtbelegschaft“ zu verstehen und wie sie von der übrigen Belegschaft abzugrenzen ist. Ebenso bleibt offen, welchen zeitlichen Maßstab der Aufsichtsrat bei seiner Betrachtung anlegen soll. Aus diesen und anderen Gründen wäre eine derartige Regelung nicht justiziabel, wenn sie als Rechtsnorm erlassen würde. Und ebenso wie Rechtsnormen muss auch der Kodex klar zu erkennen geben, welches Verhalten er seinen Adressaten abverlangt. Anderenfalls sind falsche Erklärungen nach § 161 AktG geradezu programmiert.
Zweitens: Die neuen Regeln zum Vergütungsbericht und zu den Mustertabellen betreffen technische Details des Berichtswesens. Wie schon mit mehreren Regeln zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats würde der Kodex sich mit ihnen in Widerspruch zu seinem Ziel begeben, international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung aufzustellen. Es kann nämlich keine Rede davon sein, dass die Offenlegung weiterer Vergütungsdetails eine anerkannte „best practice“ ist. Das gilt umso mehr, als die Entwicklungen seit dem VorstAG gezeigt haben, dass Transparenz in der Praxis eher zu steigenden als zu sinkenden Vergütungen führt. In der aktuellen rechtspolitischen Diskussion über Managergehälter spielt sie daher kaum noch eine Rolle. Erst recht ist ausgeschlossen, gute Unternehmensführung daran festzumachen, ob die Verwaltung für ein Reporting auf Mustertabellen zurückgreift. Ursprünglich ging es dem Kodex darum, wesentliche Leitlinien aufzustellen, um den Unternehmen einen Weg zur verantwortungsvollen Geschäftsführung und Überwachung zu weisen. Auf diesen Gedanken sollte sich die Kommission wieder besinnen, damit der Kodex auch weiterhin Akzeptanz bei den Unternehmen und am Kapitalmarkt finden kann.
Schließlich ist zu bedenken, dass die Änderungsvorschläge der Kommission ohnehin schon bald durch die Gesetzgebung überholt werden könnten. Nach aktuellen Presseberichten befürwortet die Bundesregierung eine Initiative der EU, die nach dem Vorbild der jüngsten Entwicklungen in der Schweiz die Vergütungshoheit vom Aufsichtsrat auf die Hauptversammlung überleiten möchte. Weiter heißt es, es werde derzeit geprüft, ob ein entsprechender Gesetzesvorschlag noch nachträglich in die Aktienrechtsnovelle 2013 aufgenommen werden könne. Je nach konkreter Ausgestaltung wäre mit einem solchen Schritt ein schwerer Eingriff in die tradierte und bewährte Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft verbunden. Neben zahlreichen bestehenden Kodexregeln würden dadurch auch die geplanten Änderungen des Regelwerks weitgehend Makulatur. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, vor weiteren Änderungen des Kodex zunächst die Entwicklungen in der Gesetzgebung abzuwarten.