Bestimmte „Arbeitnehmer der freien Berufe“ können sich gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI von der Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen, wenn sie Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und – kraft Gesetzes – einer berufsständischen Kammer sind. Typischerweise wird eine solche Befreiung von Rechtsanwälten, die bei einem Unternehmen beschäftigt sind (sog. „Syndikusanwälte“), beantragt. Aber auch für alle anderen Angehörigen der kammerfähigen Berufe (wie z. B. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Architekten) ist regelmäßig eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht im Angestelltenverhältnis wirtschaftlich interessant. Die in Aussicht gestellte Altersrente der Versorgungswerke ist bei gleichem Beitragsaufkommen regelmäßig höher als die zu erwartende Altersrente der staatlichen Rentenversicherung.
Lange Zeit war es allgemeiner Konsens, dass für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht lediglich eine „berufsspezifische Tätigkeit“ erforderlich sei. In den letzten Jahren hat die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ihre diesbezügliche Beurteilung aber augenscheinlich geändert. Die Folge sind aktuell zahlreiche Verfahren vor den Sozialgerichten, die Angehörige der sogenannten Kammerberufe gegen ablehnende Befreiungsbescheide der DRV führen.
Die sozialgerichtliche Rechtsprechung scheint dabei zunehmend ebenfalls der Auffassung zu sein, dass die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht alles andere als selbstverständlich ist.
In jüngerer Zeit besonders hervor zu heben sind die Entscheidungen des SG Düsseldorf (vom 6. 12. 2012 – S 27 R 24/12) und des LSG Baden-Württemberg (vom 23. 1. 2013 – L 2 R 2671/12, n. rkr.; Az. beim BSG: B 12 R 3/13 R), die jeweils einen Unternehmensjuristen betrafen. Das SG Düsseldorf schließt eine Befreiung von Juristen, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt sind, generell aus. Es wurde durch das Gericht nicht einmal geprüft, ob gegebenenfalls eine berufsspezifische Tätigkeit vorliegt. Das LSG Baden-Württemberg hat eine Befreiung von Syndikusanwälten zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen, dafür aber derart hohe Anforderungen an die Erfüllung der Merkmale einer berufsspezifischen Tätigkeit gestellt, dass der weit überwiegende Teil der Unternehmensjuristen diese kaum erfüllen dürfte.
Daraus folgen nicht nur für die Beschäftigten selbst weitreichende Konsequenzen. Für Arbeitgeber, die in der Vergangenheit möglicherweise als zu wohlwollend und ohne große Prüfung Befreiungsbescheide akzeptiert haben, besteht ein erhebliches finanzielles Risiko, wenn sie nur vermeintlich von der Rentenversicherungspflicht befreite Arbeitnehmer beschäftigen. Wird nachträglich festgestellt (etwa im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV), dass die Befreiungsvoraussetzungen nicht oder – z. B. nach einem Aufgabenwechsel – nicht mehr vorliegen, hat der Arbeitgeber als Schuldner des Gesamtversicherungsbeitrags (§ 28e Abs. 1 SGB IV) rückwirkend die nicht abgeführten Beiträge – d. h. den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil – an die DRV nachzuentrichten. Zeitlich begrenzt ist die Nachzahlungspflicht nur aufgrund der Verjährungsregel des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV (vier Jahre). Daneben hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer während der Dauer der vermeintlichen Befreiung gemäß § 172a SGB VI einen Zuschuss in Höhe des hälftigen Beitrags für das Versorgungswerk zugewendet und keinen Einbehalt des „Arbeitnehmeranteils zur Rentenversicherung“ vorgenommen. Der Arbeitgeber zahlt also zunächst faktisch doppelt. Legt man den aktuellen Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 1.096,20 € monatlich zugrunde, entstehen dem Arbeitgeber in vier Jahren der Beschäftigung unter vermeintlicher Befreiung seines Angestellten von der Rentenversicherungspflicht zunächst einmal Zusatzkosten in Höhe von gut 50.000,00 €. Wurde die Befreiung der Mitarbeiter von der Rentenversicherungspflicht durch Arbeitgeber in der Vergangenheit oftmals eher „stiefmütterlich“ und als „Privatangelegenheit“ des Mitarbeiters behandelt, muss angesichts dieses Risikos zukünftig eine verschärfte Aufmerksamkeit an den Tag gelegt werden; und dies nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit.
Sollte es dennoch zu der nachträglichen Feststellung kommen, dass Mitarbeiter tatsächlich nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht erfüll(t)en, kann ein nachvollziehbares Interesse des Arbeitgebers bestehen, die Überzahlung zurückzufordern. Da der Arbeitgeber weder in einem Vertragsverhältnis zum Versorgungswerk steht, noch eine Leistung an dieses erbracht hat, werden „direkte“ Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers gegenüber dem Versorgungswerk regelmäßig keinen Erfolg haben. Demgegenüber kann der Arbeitnehmer gegenüber dem Versorgungswerk einen solchen Anspruch geltend machen. Der Arbeitgeber wiederum dürfte daran interessiert sein, diese Leistungen dann zumindest vom Arbeitnehmer zurückzufordern. Der Anspruch richtet sich zum einen auf den gemäß § 172a SGB VI geleisteten Zuschuss zum Versorgungswerkbeitrag und zum anderen auf den „ausbezahlten Arbeitnehmerbeitrag“ zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Für die Leistung des Zuschusses zum Versorgungswerkbeitrag fehlt der notwendige Rechtsgrund, da die gesetzliche Verpflichtung zur Leistung von Arbeitgeberzuschüssen gemäß § 172a SGB VI unter der Bedingung steht, dass der Arbeitnehmer von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Der Zuschuss kann daher ohne weiteres durch den Arbeitgeber zurückgefordert werden, sofern keine Entreicherung gegeben ist.
Problematisch ist demgegenüber die Rückforderung des ausbezahlten Arbeitnehmerbeitrags zur Rentenversicherung. Nach der einschränkenden sozialversicherungsrechtlichen Regelung des § 28g Sätze 2, 3 SGB IV kann ein Erstattungsanspruch grundsätzlich nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt und nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden (sog. Lohnabzugsverfahren). Der Arbeitgeber hätte somit nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit, einen Rückforderungsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer geltend zu machen. Allerdings stellt sich die Frage, ob § 28g SGB IV in der vorliegenden (Sonder-)Konstellation überhaupt anwendbar ist. Schließlich hat der Arbeitgeber es nicht generell versäumt, Leistungen für die Altersvorsorge zu erbringen, sondern die Beiträge lediglich an den „falschen Empfänger“ entrichtet.
In zwei aktuellen Entscheidungen des BSG (vom 31. 10. 2012 – B 12 R 3/11 R, DB 2013 S. 1119) und des BAG (vom 15. 11. 2012 – 8 AZR 146/10, DB 2013 S. 944) wurde diese Frage unterschiedlich beurteilt. Das BSG ist offensichtlich – aber ohne weitere Begründung – der Meinung, dass die Vorschrift uneingeschränkt zur Anwendung gelangen muss und daher ein weitergehender Rückgriff des Arbeitgebers ausgeschlossen ist. Demgegenüber hat das BAG eine Anwendung von § 28g Satz 3 SGB IV abgelehnt. Die Vorschrift sei ersichtlich nicht einschlägig, da sie nicht eine gewollte oder irrtümlich erfolgte Beitragsentrichtung an den falschen Rentenversicherungsträger betreffe. Auch eine analoge Anwendung von § 28g Satz 3 SGB IV scheide aus, da der dortige Kläger seine Mitteilungspflichten (über die ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr vorliegende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht) gegenüber dem Arbeitgeber versäumt habe.
Die Auffassung des BAG ist meines Erachtens zutreffend. Sinn und Zweck des § 28g SGB IV (Schutz des Arbeitsnehmers vor Überforderung) werden nicht tangiert. Der Arbeitnehmer kann selbst die Beiträge vom Versorgungswerk zurückfordern. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber kein Eigeninteresse an der Nichtabführung der Beiträge an die Rentenversicherung, da die Beitragslast bei einer Mitgliedschaft im Versorgungswerk in gleichem Maße besteht. Der Arbeitnehmer wird zudem ein nicht unerhebliches Mitverschulden tragen, da schließlich er das Befreiungsverfahren mit der DRV führt und über Änderungen der Voraussetzungen seinen Arbeitgeber zu informieren hat. Er wird auch nicht unangemessen benachteiligt, da für ihn die – ansonsten auch zu zahlenden – Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nachentrichtet werden. Der Arbeitnehmer wird damit so gestellt, als wenn von Beginn an eine zutreffende rentenversicherungsrechtliche Behandlung seines Arbeitsverhältnisses erfolgt wäre. Es erscheint nur angemessen, dass der Arbeitgeber seinerseits die zu viel entrichteten Beiträge zurückfordern kann (siehe zu den Einzelheiten: Leßmann/Herrmann, DB 2013 S. 1112 ff.).