Der BGH hat ein Jahr nach dem Urteil des EuGH das Verfahren zwecks Feststellung des richtigen Zeitpunkts der Pflichtveröffentlichung nach § 15 WpHG („Ad hoc-Veröffentlichung“) im Fall des Rücktritts des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG, Prof. Jürgen Schrempp, erneut an das OLG Stuttgart verwiesen. Dabei geht es um Schadensersatz wegen nicht rechtzeitiger Ad hoc-Veröffentlichung. Das OLG Stuttgart wird in diesem Verfahren die siebte Gerichtsentscheidung liefern. Das Bußgeldverfahren hatte ebenfalls die Gerichte, abschließend das OLG Frankfurt/M., beschäftigt. Beide Verfahren verdeutlichen die große Bedeutung der Ad hoc-Meldepflichten.
Zur Erinnerung: Am 28. 7. 2005 beschloss der Aufsichtsrat im Einvernehmen mit Prof. Schrempp, dass er zum Jahresende aus dem Amt ausscheiden solle. Die Ad-hoc-Veröffentlichung erfolgte unmittelbar danach. Bereits seit dem 17. 5. hatte es vorbereitende Gespräche und Informationen unter Beteiligung von Prof. Schrempp, dem Aufsichtsratsvorsitzenden und Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat gegeben. Am 27. 7. hatte der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats sich mit der Sache befasst. Die bisherigen Gerichtsentscheidungen umfassen hinsichtlich des richtigen Zeitpunkts die volle Spanne vom 17. 5. bis zum 28. 7. 2005.
Der EuGH hatte vorgegeben, dass jeder einzelne bereits verwirklichte Zwischenschritt und jeder künftige, hinsichtlich seines Eintritts hinreichend wahrscheinliche Umstand eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation sein kann. Eine besonders herausgehobene Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich, und die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad sind von der „Wichtigkeit“ der Information unabhängig. Bei der Kurzrelevanz bereits eingetretener Zwischenschritte kommt es wiederum – wozu sich der EuGH nicht geäußert hatte, was der BGH aber zu Recht bejaht – u. a. darauf an, wie wahrscheinlich die weitere Entwicklung bis hin zum Ausscheiden aus dem Amt zum Zeitpunkt des Zwischenschritts war. Der BGH gibt dem OLG nunmehr auf, auf dieser rechtlichen Grundlage die Tatsachenseite, das heißt im Wesentlichen die Kursrelevanz, für alle denkbaren Zwischenschritte und künftigen Umstände erneut zu überprüfen.
Über die EuGH-Entscheidung hinaus weisen die Ausführungen des BGH zur Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG. Gegen das OLG Stuttgart hält der BGH eine bewusste Entscheidung wohl für erforderlich, lässt aber (insoweit weitgehend in Einklang mit dem OLG) gegen Schadensersatzansprüche den Einwand zu, dass die Emittentin sich für die Selbstbefreiung entschieden hätte, wenn sie das Vorliegen einer Insiderinformation erkannt hätte. Voraussetzung ist, dass alle Voraussetzungen der Selbstbefreiung einschließlich der „fachgerechten“ Belehrung der Insider im Unternehmen vorlagen. Das OLG Stuttgart hatte allerdings bereits festgestellt, dass es bei einem Aufsichtsratsmitglied an der rechtzeitigen Belehrung fehlte.
Wie geht es weiter? Die mittlerweile mikroskopisch feine Herausarbeitung der Rechtslage durch die Gerichte lässt eine schlüssige Beurteilung der letztlich alles entscheidenden, aber mit großen Unsicherheiten behafteten Frage nach der Eignung zur erheblichen Kursauswirkung noch nicht zu. Möglicherweise ist nach dem jetzt erreichten rechtlichen Erkenntnisstand vom Vorliegen einer Insiderinformation bereits vor dem 28. 7. 2005 auszugehen. Andererseits ist nicht recht nachvollziehbar, wie dem Unternehmen grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sein soll, nachdem sich seit mehr als sechs Jahren die Gerichte um die richtige Gesetzesauslegung bemühen, ohne zu einem endgültigen Ergebnis gelangt zu sein. Der BGH deutet das in seiner neuesten Entscheidung vorsichtig an. In dieselbe Richtung gehen auch die Ausführungen zur hypothetischen Selbstbefreiung als den Schadensersatzanspruch ausschließenden Umstand.
Insgesamt verdeutlicht der Fall Schrempp die Notwendigkeit, im Rahmen von gestreckten Vorgängen das Vorliegen der Ad hoc-Voraussetzungen und die Möglichkeit einer ggf. vorsorglichen Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG ständig im Auge zu behalten und sorgfältig zu prüfen. Soweit es sich um Vorstandsangelegenheiten handelt, ist der Aufsichtsrat jedenfalls insoweit geschäftsführungs- und vertretungsbefugt (vgl. § 112 AktG), wie der Vorstand nicht handlungsfähig ist (z. B. weil von der Sache überhaupt nur das betroffene Vorstandsmitglied weiß).