Dank eines im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat in letzter Minute gefundenen Kompromisses kann die 8. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten. Nach Referentenentwurf 2011, RegE Anfang 2012, Ausschussberatung und Bundestagsbeschluss im Oktober 2012 entzündeten sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierungskoalition und SPD/GRÜNEN-regierten Ländern im Bundesrat vor allem an den Plänen, das Kartellrecht ganz weitgehend auf die gesetzlichen Krankenkassen anzuwenden. Nun kommt für die Kassen nur die Fusionskontrolle. Das Kartellrecht dagegen wird auch zukünftig nicht im Verhältnis der Krankenkassen untereinander und zu den Versicherten Anwendung finden. Weitere Änderungen in letzter Minute können Kommunen und kommunale Betriebe aufatmen lassen.
Eckpunkte der 8. GWB-Novelle
Um ein Haar wäre das schon im Koalitionsvertrag vorgesehene Gesetzesvorhaben, das das deutsche Kartellrecht fortentwickelt und weiter an das europäische Wettbewerbsrecht angleicht, dem politischen Poker um eine Randfrage zum Opfer gefallen. Die Novelle hat eine Reihe von in der Fachwelt z. T. umstrittenen, aber politisch nicht kontroversen Schwerpunkten: im Bereich der Fusionskontrolle die Übernahme des Untersagungskriteriums der EU-Fusionskontrollverordnung und weitere Angleichungen an das europäische Fusionskontrollrecht, die Anhebung der Marktanteilsschwelle für die Einzelmarktbeherrschungsvermutung von 33% auf 40%, die Einführung eines Klagerechts für Verbraucherverbände, die Regelung der Rechtsnachfolge in die Bußgeldverantwortlichkeit sowie die Sicherung des bestehenden Pressevertriebsnetzes über das Presse-Grosso und die Erleichterung von Pressefusionen. Daneben wird die verschärfte Missbrauchsaufsicht über die Energiewirtschaft ebenso bis Ende 2017 verlängert wie das Verbot von Untereinstandspreisverkäufen von Lebensmitteln für marktstarke Unternehmen. Außerdem hat der Gesetzgeber die Gelegenheit genutzt, das GWB ein wenig aufzuräumen, indem z. B. die Vorschriften über marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen sprachlich stark vereinfacht und die spezielle Missbrauchsaufsicht über die Wasserwirtschaft in das aktuelle GWB überführt wird. Die im Koalitionsvertrag von 2009 vorgesehene Befugnis zur Zerschlagung von marktbeherrschenden Unternehmen ist hingegen nicht Gesetz geworden.
Verschärfung der Fusionskontrolle?
Dass die Befugnisse der Kartellbehörden insgesamt weiter ausgeweitet worden sind, zeigt sich insbesondere an der Fusionskontrolle. Wie heute schon die EU-Kommission kann zukünftig auch das Bundeskartellamt Unternehmenszusammenschlüsse bereits dann untersagen, wenn durch sie wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde (sog. SIEC-Test, „significant impediment to effective competition“). Bisher war dies nur möglich, wenn eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt würde. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Untersagungskriterium auf europäischer Ebene dürfte sich in der Praxis nichts Wesentliches ändern. Nicht von der Hand zu weisen ist aber die Gefahr, dass die erweiterte Untersagungsbefugnis nicht nur zur Erfassung bestimmter, selten vorkommender Wettbewerbskonstellationen (v. a. unilaterale Effekte ohne Marktbeherrschung) gebraucht werden. Denn im deutschen Kartellrecht besteht eine gewisse Tendenz der Gerichte, dem Bundeskartellamt bei Nachweisschwierigkeiten z. B. durch die Berufung auf Erfahrungssätze entgegenzukommen. Als Korrektiv könnte wirken, wenn für die Auslegung des SIEC-Kriteriums letztlich der EuGH zuständig wäre. Der deutsche Gesetzgeber hat das jedenfalls, anders als vom Bundeskartellamt gewünscht, nicht ausdrücklich ausgeschlossen. So oder so besteht weder Anlass noch Bedürfnis für deutsche Sonderwege in der Fusionskontrolle.
Schließung von Schlupflöchern zur Vermeidung der Bußgeldhaftung von Konzernen
Im Bereich der Bußgelder sind Sonderwege allerdings unvermeidlich: Das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht ist aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben strenger als das europäische Bußgeldrecht hinsichtlich der Frage, welche Gesellschaften in Konzernen mit Bußgeldern belegt werden können und wer für die Zahlung haftet.
Die restriktive Rechtsprechung des BGH hatte Kartellsündern in Einzelfällen Möglichkeiten eröffnet, die Zahlung von Geldbußen durch Umstrukturierungen zu vermeiden. Das Bundeskartellamt hatte diesen Punkt als eines der drängendsten Probleme der Kartellverfolgung bezeichnet. Nach der Neuregelung haften Gesamtrechtsnachfolger (z. B. nach einer Verschmelzung) im Grundsatz für Kartellrechtsverstöße, die ihren Rechtsvorgängern zurechenbar sind. Bußgelder können gegen sie zumindest bis zur Höhe des übernommenen Vermögens verhängt werden. Dennoch erfasst die Neuregelung nicht alle Fälle, in denen eine Geldbuße durch Umstrukturierungsmaßnahmen vermieden werden kann. Weitergehenden Forderungen nach einer dem europäischen Recht vergleichbaren Haftung von Muttergesellschaften für ihre 100%igen Tochtergesellschaften ist der deutsche Gesetzgeber jedoch nicht nachgekommen.
Nicht nur in diesem Bereich bleiben viele Fragen offen, die die Rechtspraxis in den nächsten Jahren beantworten muss.