Die Überschrift führt zu einem Störgefühl. Kann es sein, dass ein Arbeitnehmer Nachtzuschläge erhält, obwohl er gar nicht nachts gearbeitet hat? Kann diese Ungleichbehandlung dadurch gerechtfertigt werden, dass ein Betriebsratsmitglied Betriebsratstätigkeiten übernommen hat?
Die 12. Kammer des LAG Köln hatte genau zu diesen Fragen am 19. 12. 2013 (Az. 12 Sa 682/13, DB0648347) zu entscheiden.
Das Betriebsratsmitglied war teilweise (3,5 Stunden täglich) von seinen Arbeitspflichten entbunden, um Betriebsratstätigkeiten auszuüben. Vor Aufnahme des Betriebsratsamts war der Arbeitnehmer in der Logistik tätig, nahm seine tägliche Arbeit – wie alle vergleichbaren Kollegen– an fast jedem Tag um oder vor 4.00 Uhr morgens auf und verdiente daher Nachtzuschläge. Mit der Übernahme des Betriebsratsamts wurde der Arbeitnehmer nicht nur teilfreigestellt; zudem wurde zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbart, dass der Arbeitnehmer künftig täglich erst ab 6.00 Uhr im Betrieb anwesend sein solle, um eine bessere Erreichbarkeit für die Mitarbeiter zu gewährleisten. Der Großteil der Arbeitnehmer (außerhalb der Logistik) begann den Arbeitstag erst ab 10.00 Uhr.
Rund ein halbes Jahr nach Änderung der Arbeitszeit verlangte der Arbeitnehmer gleichwohl die Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen. Der Arbeitgeber lehnte dies ab und argumentierte, der Arbeitnehmer sei nicht während der Nachtstunden aktiv und habe daher keinen Anspruch auf die Nachtzuschläge. Etwas anderes würde eine unzulässige Besserstellung eines Betriebsratsmitglieds i. S. von § 78 BetrVG darstellen. Überdies sollten die Nachtzuschläge eine besondere Erschwernis abgelten und diese entstünde beim Kläger unstreitig nicht. Der Arbeitnehmer machte geltend, er werde schließlich ausschließlich wegen seiner Betriebsratstätigkeit erst ab 6.00 Uhr tätig; alle (vergleichbaren) Mitarbeiter aus der Logistik würden spätestens um 4.00 Uhr morgens beginnen und daher Nachtzuschläge erhalten. Das BetrVG sehe vor, dass Betriebsratsmitglieder wegen der Betriebsratstätigkeit weder Vorteile, noch Nachteile haben sollen. Der Entfall der Nachtarbeitszuschläge sei eine eindeutige Benachteiligung.
Während das ArbG Köln die Auffassung des Arbeitgebers teilte, gab das LAG dem Betriebsratsmitglied Recht. Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Betriebsratsmitglieder ohne wirtschaftlichen Nachteil von ihrer Arbeitspflicht freizustellen, wenn und soweit sie erforderliche Betriebsratstätigkeit ausüben. Es gilt insoweit das Entgeltausfallprinzip. Ihnen steht also während der Betriebsratstätigkeit das Entgelt zu, das sie bei normaler Arbeit verdient hätten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich Freiwillige finden, die das Amt des Betriebsrats aufnehmen. Als Ehrenamt soll das Betriebsratsmandat zumindest vor finanziellen Einschränkungen geschützt werden. Überdies sieht § 37 Abs. 4 BetrVG vor, dass das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer sein darf als das Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Auch dies soll eine wirtschaftliche Schlechterstellung von Betriebsratsmitgliedern vermeiden.
Das LAG Köln ging davon aus, dass die Verschiebung der Arbeitszeiten des Betriebsratsmitglieds ausschließlich auf die Betriebsratstätigkeit zurückzuführen war. Der Umstand, dass die Verschiebung der Arbeitszeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbart wurde, sollte nach Auffassung des LAG Köln unbeachtlich sein.
Die Entscheidung des LAG Köln führt zu einem Störgefühl. Kann es sein, dass ein Arbeitnehmer Nachtzuschläge erhält, obwohl er gar nicht nachts gearbeitet hat? Kann diese Ungleichbehandlung dadurch gerechtfertigt werden, dass ein Betriebsratsmitglied Betriebsratstätigkeiten übernommen hat?
Wie so oft im Arbeitsrecht wird die Antwort von Einzelfall zu Einzelfall zu variieren haben. Im konkreten Fall gab es einige Besonderheiten, die für das LAG Köln den Anspruch auf Nachtarbeitszuschläge ohne Nachtarbeit begründeten. Alle Logistikarbeitnehmer mit Ausnahme des Betriebsratsmitglieds arbeiteten während Nachtarbeitszeiten und erhielten folglich Nachtzuschläge. Eine Nichtzahlung an den Arbeitnehmer hätte folglich zu dessen finanzieller Schlechterstellung geführt. Im konkreten Betrieb war es außerdem so, dass mit Ausnahme der Logistikabteilung die meisten sonstigen Mitarbeiter ihren Arbeitstag erst ab 10.00 Uhr begannen. Der für Betriebsratszwecke teilfreigestellte (3,5 Stunden täglich) Arbeitnehmer hätte also bei einem Arbeitsbeginn um 4.00 Uhr und einem täglichen Arbeitsende um 12.30 Uhr nur verhältnismäßig kurze Zeit gehabt, um in Kontakt mit anderen Arbeitnehmern zu treten. Durch die Verschiebung der Arbeitszeiten um 2 Stunden „nach hinten“ wurde eine größere Schnittmenge geschaffen. Dies erscheint durchaus sinnvoll.
Es stellt sich aber die Frage, ob im konkreten Fall nicht ein Korrektiv hätte angewendet werden müssen, dasjenige der „Erforderlichkeit“. Wie viel der täglichen Arbeitszeit wendet ein Betriebsratsmitglied tatsächlich dafür auf, mit anderen Mitarbeitern über Betriebsratsthemen zu sprechen? An wie vielen Tagen und während wie vieler Stunden war also eine Arbeitszeitverschiebung tatsächlich erforderlich? Die meisten (freigestellten) Betriebsratsmitglieder haben nicht täglich Sprechstunden von vier Stunden. Sie sind aber auch außerhalb der Sprechstunden ansprechbar. Gleichwohl lag im konkreten Fall auch eine Regelung nahe, wonach das Betriebsratsmitglied nicht an jedem Wochentag, sondern nur an einzelnen Wochentagen seine Arbeitszeit nach hinten schieben sollte. Dann wäre der Verzicht auf die Nachtarbeitsstunden und damit die Nachtzuschläge für diese Tage ohne Zweifel gerechtfertigt gewesen und gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG fortzuzahlen gewesen.
Für die übrige Betriebsratstätigkeit (Vorbereitung von Sitzungen, Verfassung von Ladungen, Niederschrift von Beschlüssen etc.) hätte eine Tätigkeit auch in den Nachtstunden durchgeführt werden können und dann wäre ohne Zweifel ein Anspruch gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG auf Zahlung der Nachtzuschläge gegeben gewesen.
Auch wenn der konkrete Fall nicht danach aussieht, muss doch die Frage gestellt werden, ob teil- oder vollfreigestellte Betriebsratsmitglieder ihre Arbeitszeit innerhalb der täglichen Rahmenarbeitszeit eines Betriebs frei verschieben dürfen, ohne dadurch Auswirkungen auf ihre Zuschlagsberechtigungen zu erhalten. Hierzu wird es noch einiger Entscheidungen zur Klarstellung bedürfen. Die Arbeitgeber bewegen sich bei der Vergütung von Betriebsratsmitglieder so oder so auf dem schmalen Grat zwischen Untreue wegen Besserstellung und strafbarer Benachteiligung von Betriebsräten.