Das BSG hat zugelangt und das große Beben wird noch einige Wellen schlagen: Der 5. Senat des BSG hat am 3. 4. 2014 in drei Revisionsverfahren (B 5 RE 3/14 R; B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 13/14 R) über die Frage entschieden, ob abhängig beschäftigte Rechtsanwälte (sog. „Syndikusanwälte“) gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien sind. Der 5. Senat hat in allen drei Verfahren ein Befreiungsrecht verneint. Die Klägerin und die Kläger sind jeweils abhängig beschäftigt und damit in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Denn nach Ansicht der Bundesrichter wird derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass in den drei Fällen jeweils eine Anwaltszulassung mit Kammerzugehörigkeit und eine daraus abgeleitete Pflichtmitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk bestand. Denn, so die Kasseler Richter, die Tätigkeit wird gerade nicht als Rechtsanwalt und somit Organ der Rechtspflege erbracht, sondern als abhängig Beschäftigter.
Die Entscheidung ist hart, aber klar. Sie stellt allein auf die Tätigkeit ab und vermeidet jede Hilfskonstruktion, vom jederzeit abkömmlichen Nebentätigkeitsanwalt bis hin zur heimischen Neben-Kanzlei. Die drei Fälle sind „Arbeitnehmer“ und keine „Rechtsanwälte“. Punkt aus und ab mit den Beiträgen in die Rentenkasse des Bundes.
Das Urteil führt zum Aufschrei bei den Unternehmen: personalpolitisch wird jeder mit einem auf die Tätigkeit aktuell ausgestellten Befreiungsbescheid nie mehr den Job wechseln wollen, denn dann ist es um die Befreiung geschehen. Bei jeder Neueinstellung ist der Auszug aus dem Versorgungswerk vorprogrammiert; ein neues Kapitel für Vertragsverhandlungen und das Ende jeder Personalrotation.
Die Unternehmen trifft auch die Pflicht der ordnungsgemäßen Abführung der Altersversorgungsbeiträge – schön, wenn das bisher an das Versorgungswerk floss. Nach dem 3. 4. kann kein Unternehmen für seine angestellten Juristen mehr an die Versorgungswerke zahlen, wenn nicht ein konkreter Befreiungsbescheid vorliegt. Die Beiträge gehen nun an die DRV.
Wenn die Zulassung zur Anwaltschaft und die damit verbundenen Kammerbeiträge nicht mehr den Einzug ins Versorgungswerk sichern, warum dann zahlen? Die Kammern werden reihenweise Mitglieder, die Versorgungswerke Beitragszahler verlieren – und die Syndicus-Anwälte zeichnen sich sicherlich nicht durch kleine Beitragszahlungen aus.
Und das Beben um das Kasseler Epizentrum wird weitergehen. Was für Juristen in Unternehmen gut und gerecht sein soll, das wird auch für Apotheker und Ärzte gelten, die ebenfalls nicht im freiberuflichen Kern beschäftigt sind. Auch sie werden in Pharmaunternehmen oder Medizinkonzernen wohl ebenso wenig als „Freiberufler“ tätig, sondern sind „abhängig Beschäftigte“ mit der gleichen Folge, dass die Sozialversicherung an der Abzweigung Versorgungswerk vorbei direkt in die Kassen der DRV geht. Und – nicht zu vergessen – der angestellte Steuerberater im Unternehmen, der bisher ebenfalls der Auffassung war, dem Katalog der freien Berufe anzugehören.
Seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts gibt es Versorgungswerke für freie Berufe – vom Mediziner über den Apotheker und Steuerberater bis zum Rechtsanwalt. Als Antwort auf die versagte Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung öffneten die Berufsstände eigene Körperschaften des Öffentlichen Rechts, um für ihre Mitglieder eine Altersversorgung und eine Absicherung bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit zu gestalten. Die Beiträge flossen üppig, viele gut verdienende Mitglieder zahlten ein und auch die Leistungen waren im Gegenzug – zumindest verglichen mit den Renten der gesetzlichen Kassen – beachtlich, bedingt durch den Ausschluss „sonstiger Kosten“, die aus der gesetzlichen Rentenkasse immer wieder dem politischen Willen folgen. Verständlich, dass die Mitgliedschaft attraktiv und erstrebenswert ist. Seit dem 3. 4. gilt: war.
Jetzt haben die Bundessozialrichter das Entscheidende getan. Nur noch der alte, klassische Kern des Berufsstands kann im Versorgungswerk bleiben. Alle Grenzgänger, die in einem Unternehmen als Arbeitsrechtler oder Unternehmensjurist gearbeitet haben, Recht gestaltet, Recht geschaffen und beraten haben, tun dies ohne Aussicht auf Befreiung. Der Kasseler Richterspruch hat die Altersversorgung für tausende Juristen – und die anderen werden folgen – verändert. Das ist doch einmal eine historische Entscheidung.