In der Private-Equity-Branche sorgt eine Entscheidung der EU-Kommission für Unruhe, die gegen das sog. „Power-Cable“-Kartell erlassen wurde. Dort wurde u.a. Goldman Sachs mit einem Bußgeld belegt, weil sie einst Gesellschafter eines kartellbeteiligten Unternehmens waren. Müssen Investmentgesellschaften also befürchten, für Kartellverstöße ihrer Portfolio-Unternehmen zur Verantwortung gezogen zu werden, auch wenn sie „nur“ eine reine Finanzbeteiligung halten?
Jahrelang hatten elf Hersteller von Hochspannungsleitungen Märkte und Kunden untereinander aufgeteilt. Aufgedeckt wurde das Kartell durch einen „Whistleblower“, die schweizerische ABB. Ihr wurde dafür ein Bußgeld von 33 Mio. € erlassen. Gegen die übrigen Kartellanten setzte die Kommission nun insgesamt 302 Mio. € fest. Davon entfällt allein ein Drittel auf den französischen Hersteller Prysmian. Dieser gehörte zunächst zur Pirelli-Gruppe, wurde aber 2005 an Goldman Sachs verkauft. Inzwischen ist Prysmian börsennotiert und auch Goldman nicht mehr beteiligt.
Das Kabelkartell soll über rund zehn Jahre bestanden haben, von 1999-2009. Für die Zeit vor 2005, also bis zum Verkauf an Goldman Sachs, hat die Kommission Pirelli in die Haftung einbezogen, für die Zeit danach dann Goldman. Die beiden ehemaligen Gesellschafter haften jew. gesamtschuldnerisch mit Prysmian (d.h. im Außenverhältnis zur Kommission im Zweifel auch allein): Pirelli für rund 67 Mio. €, Goldman Sachs für immerhin ca. 37 Mio.
Die Entscheidungsgründe sind noch n.v.; basierend auf der PM der EU-Kommission ist jedoch davon auszugehen, dass die Kommission ihrer Bußgeldzumessung den allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff zugrunde gelegt hat. Danach ist für Kartellverstöße einerseits das unmittelbar handelnde Unternehmen verantwortlich – hier also u.a. Prysmian – andererseits aber auch jeder Gesellschafter, dem die Handlungen des Unternehmens zuzurechnen sind. Diese Zurechnung richtet sich grds. nach den generellen Einflussmöglichkeiten des Gesellschafters auf das Beteiligungsunternehmen. Bei 100%-Beteiligungen wird stets vermutet, dass ein solcher Einfluss besteht. Bei sonstigen Beteiligungen kommt es auf deren Höhe und die konkrete Ausgestaltung der Corporate Governance an. Wenn danach die Muttergesellschaft die Geschicke des Beteiligungsunternehmens so lenkt, dass die Tochter nicht mehr unabhängig von der Mutter am Markt agiert, wird zugerechnet. Und das – so nun die Kommission bei den Hochspannungskabeln – soll eben auch bei reinen Finanzbeteiligungen gelten.
Gegen diese Entscheidungspraxis bestehen nicht erst seit dem aktuellen Fall Bedenken. Sie läuft darauf hinaus, dass ein Unternehmen auch für Kartellverstöße verantwortlich gemacht werden kann, an denen es selbst gar nicht beteiligt war oder von denen es nicht einmal wusste. Mit guten Gründen wird der Kommission deshalb vorgeworfen, bei der Bußgeldzumessung mit zu breitem Daumen vorzugehen. Kritiker bemängeln vor allem einen Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit und – hinsichtlich der vermuteten Zurechnung bei 100%-Beteiligungen – gegen die Unschuldsvermutung. Hier besteht i.Ü. auch ein maßgeblicher Unterschied zu anderen Rechtsordnungen. In den USA kann z.B. eine Konzernmutter nur für Kartellverstöße haftbar gemacht werden, an denen sie selbst (ggf. auch neben einer Tochtergesellschaft) beteiligt war. Die Gesellschafterstellung allein begründet dort noch keine Zurechnung.
Auch Goldman Sachs beruft sich darauf, keine Kenntnis von kartellrechtwidrigem Verhalten bei Prysmian gehabt oder gar selbst daran beteiligt gewesen zu sein und erwägt eine Klage gegen die EU-Kommission. Die Kommission will aber an der Auffassung, dass Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein Unternehmen i.S.v. Art. 81 EG bilden, festhalten. EU-Wettbewerbskommissar Almunia sagte anlässlich des Kabelfalls, er wolle die Verantwortlichkeit „von Unternehmensgruppen bis hin zur höchsten Gesellschafterebene“ für die kartellrechtliche Compliance unterstreichen. Dies gelte, so Almunia weiter, in gleicher Weise auch für Finanzinvestoren. Im konkreten Fall sei zudem Goldman Sachs selbst am „realen Management“ von Prysmian beteiligt gewesen, wird der Kommissar schließlich vom Wall Street Journal zitiert.
Es kann für einen (Finanz-)Investor also teuer werden, die Kontrolle über ein Unternehmen zu erwerben, das an Kartellverstößen beteiligt ist. Setzt sich das rechtswidrige Verhalten unter dem neuen Eigentümer fort, haftet er dafür fortan selbst für Bußgelder und ggf. Schadensersatz, auch wenn er von den konkreten Verstößen (immer noch) nichts weiß. Auch ein späterer Weiterverkauf des Unternehmens wirkt hier nicht haftungsbefreiend. Denn nur in seltenen Ausnahmefällen geht die Haftung für Kartellverstöße der Tochtergesellschaft beim Unternehmensverkauf auf den neuen Eigentümer über. Grds. bleibt diejenige Muttergesellschaft verantwortlich, die zum jeweiligen Zeitpunkt den maßgeblichen unternehmerischen Einfluss auf den Kartellanten hatte. Deshalb hat die Kommission nun auch im aktuellen Fall die Haftung zwischen Pirelli und Goldman aufgeteilt.
Schutz bietet deshalb nur eine sorgfältige Due Diligence – möglichst noch vor dem Einstieg, spätestens jedoch unmittelbar nach Übernahme der unternehmerischen Kontrolle. Insb. die operativ tätigen Einheiten der Zielgesellschaft (Einkauf, Produktion und Vertrieb) sollte der Übernehmer (und eben auch ein Private Equity Investor) gründlich durchleuchten. Kommen dabei Kartellverstöße ans Licht, sollte sie der neue Gesellschafter im eigenen Interesse unverzüglich abstellen – und für die Vergangenheit einen Kronzeugenantrag erwägen.