Führungskräfte in Matrix-Strukturen: Wer gehört wohin?

RA Bernd Weller, FAArbR und Partner, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK Frankfurt/Main

RA Bernd Weller, FAArbR und Partner, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK Frankfurt/Main

Bewegen sich Führungskräfte in klassischen Matrixstrukturen, können sie – arbeitsrechtlich – in mehreren Betrieben i.S.d. § 99 BetrVG „eingestellt“ sein. Das hat das LAG Baden-Württemberg kürzlich entschieden (Beschluss vom 28.05.2014 – 4 TaBV 7/13). Dieser Beschluss aus Stuttgart sorgt bereits für Furore: Es ist zu erwarten, dass Betriebsräte die vermittelte Erkenntnis schnell zu nutzen suchen. Bei der Neubesetzung von Führungspositionen steht vielen Betriebsräten mit dem Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 BetrVG nun ein Mittel zur Verfügung, um die (ungeliebte) Auswahl von Vorgesetzten zu verzögern, wenn nicht zu beeinflussen.

Der entschiedene Fall

In einem weltweit operierenden Konzern bestehen zwei deutsche Gesellschaften – A und B. Beide Gesellschaften sollen 2016 aufeinander verschmolzen werden. Im Vorgriff darauf treten sie am Markt bereits unter einer einheitlichen Marke auf. Die zwei obersten Hierarchieebenen sind in beiden Gesellschaften personenidentisch besetzt; diese Personen leiten also bereits beide Gesellschaften als sei es nur eine. Auch in den Führungsebenen darunter üben Mitarbeiter Führungsaufgaben gegenüber Arbeitnehmern beider Gesellschaften aus. Für solche Fälle ist in einer Gesamtbetriebsvereinbarung die Verpflichtung zur Begründung von Doppelarbeitsverhältnissen ebenso vorgesehen wie die Anhörung der jeweiligen lokalen Betriebsräte.

In dem vom LAG entschiedenen Fall wurde eine Führungskraft zu einem Jahresgehalt von 210.000 € bei B neu angestellt. Zugleich erhielt sie bei A einen Anstellungsvertrag (ohne Entgeltanspruch). Sie war unternehmensübergreifend zur alleinigen Entscheidung über Investitionen im Wert von bis zu 5 Mio. € berechtigt und insgesamt 60 Arbeitnehmern direkt vorgesetzt, davon 58 bei B und lediglich zwei bei A. Die zwei Arbeitnehmer von A wiederum führen dort 17 weitere Arbeitnehmer, sodass die Führungskraft in A insgesamt 19 Mitarbeitern vorgesetzt war. Die Führungsaufgaben in A wurden telefonisch, per Internet und E-Mail wahrgenommen; vor Ort war die Führungskraft quasi nie. Stattdessen hielt sie sich fast ausnahmslos in einem Betrieb von B auf. Die Betriebsräte in A und B wurden gemäß § 105 BetrVG unterrichtet. Der Betriebsrat von A machte eine Verletzung seiner Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG geltend.

Übernahme von Führungsaufgaben im Betrieb ist Einstellung i.S.d. BetrVG

Sowohl das ArbG Stuttgart als auch das LAG Baden-Württemberg bewerteten die Übernahme der Führungsaufgabe in A als Einstellung i.S.v. § 99 BetrVG. Eine Mindestanwesenheit vor Ort sei – wie bei Außendienstmitarbeitern – nicht erforderlich; maßgeblich sei die Eingliederung in die Betriebsorganisation. Dies sei wegen der Führungs- und Weisungsaufgaben gegenüber den 19 Arbeitnehmern in A der Fall. Trotz der – über die unternehmensübergreifenden Berechtigungen hinausgehenden – Berechtigungen im Unternehmen B (Investitionsentscheidungen bis zu 70 Mio. €) wurde die Führungskraft bei A nicht als leitender Angestellter bewertet. Die Charakterisierung als leitender Angestellter sei für jedes betroffene Unternehmen einzeln vorzunehmen und müsse nur innerhalb des Unternehmens, nicht aber innerhalb des Konzerns, einheitlich erfolgen. Da die Führungskraft bei A weder Generalvollmacht noch Prokura hatte und auch eine Entlassungsbefugnis i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG nicht nachgewiesen war, schied eine Qualifikation als leitender Angestellter in A aus.

Die Rechtsbeschwerde zum BAG wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Konsequente und logische Entscheidung des LAG

Bedeutung hat die Entscheidung vor allem aus einem Grund: Das Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung von Arbeitnehmern ist ein scharfes Schwert. Der Betriebsrat kann damit Einstellungen ganz verhindern oder sie durch Verzögerung enorm verteuern. Bei leitenden Angestellten i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG wäre der Betriebsrat nach § 105 BetrVG nur über eine Einstellung zu unterrichten; ein Zustimmungsverweigerungsrecht ist nicht vorgesehen.

Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg ist, obschon sie für viele Konzerne überraschend kommen mag, logisch und konsequent. Matrix-Strukturen beinhalten denknotwendig die zumindest fachliche Führung von Arbeitnehmern in fremden Betrieben und auch Unternehmen. Nach den allgemeinen Grundsätzen des BetrVG, an die das LAG Baden-Württemberg nur anknüpft, bedeutet dies aber in aller Regel eine Eingliederung der Führungskraft in den Betrieb der ihm nachgeordneten Mitarbeiter – unabhängig davon, ob für die zweite Gesellschaft auch ein Anstellungsvertrag abgeschlossen wird. Durch die Ausübung der Weisungsmacht wird die Führungskraft Bestandteil der betrieblichen Hierarchie und Organisation – ebenso wie ein Außendienstmitarbeiter, der im Home Office Weisungen aus dem Betrieb heraus erhält.

Praxisausblick

Es ist zu erwarten, dass Betriebsräte die vom LAG Baden-Württemberg vermittelte Erkenntnis schnell zu nutzen suchen. Mit dem möglichen Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 BetrVG steht vielen Betriebsräten nun ein Mittel zur Verfügung, um die (ungeliebte) Auswahl von Vorgesetzten insbesondere aus dem Ausland zu verzögern, wenn nicht gar zu verhindern. Arbeitgeber werden sich damit auseinanderzusetzen haben und generelle Vorbehalte des Betriebsrats insbesondere gegenüber ausländischen Vorgesetzten abzumildern suchen (etwa durch die arbeitsrechtliche Schulung von ausländischen Führungskräften). Umgekehrt hat die Entscheidung aber auch Bedeutung für die Stellung solcher Führungskräfte. Sofern sie nicht leitende Angestellte sind, erlangen sie mit der Einstellung das Recht zur Teilnahme an Betriebsratswahlen – als Wähler und Kandidaten. Ihre Nichtbeteiligung an der Betriebsratswahl macht die Wahl anfechtbar. Für hinreichend Sprengstoff ist gesorgt…

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