Der 7. Senat des BAG hat bekanntermaßen bereits am 10.07.2013 entschieden (7 ABR 91/11, DB 2013 S. 2629), dass der im Entleiherbetrieb gebildete Betriebsrat die Zustimmung zu einem dort geplanten Einsatz eines Zeitarbeitnehmers verweigern kann, wenn dieser „nicht nur vorübergehend“ i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG überlassen werden soll. Diese seit dem 01.12.2011 geltende Vorschrift soll nämlich ein Verbotsgesetz i.S.v. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG darstellen, dessen Missachtung den Betriebsrat zu einem entsprechenden Widerspruch berechtigen kann. Dieser Ansicht hat sich inzwischen auch der 1. Senat des BAG angeschlossen (vom 30.09.2014 – 1 ABR 79/12), obwohl das LAG Nürnberg sich diesem zwischenzeitlich ausdrücklich entgegengestellt hatte.
Entscheidung des BAG: Berechtigung des Betriebsrats zum Widerspruch
Entscheidend für ein derartiges Verständnis von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG im Hinblick auf die Untersagung der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung seien der Sinn und Zweck der Vorschrift. Regelmäßig erschöpfen sich gesetzliche Bestimmungen nämlich nicht in bloßen Beschreibungen. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass nach der Intention des Gesetzgebers die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung ohne Folgen bleiben solle. Wenn aber davon auszugehen sei, dass mit § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG überhaupt etwas geregelt werden solle, bestehe der Inhalt der Vorschrift darin, die nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung auszuschließen bzw. zu verbieten.
Im Weiteren setzt sich der 1. Senat ausführlich mit den Erwägungen des LAG Nürnberg (vom 29.10.2013 – 7 TaBV 15/13) auseinander, das die Ansicht des 7. Senats ausdrücklich unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien und einen im Gesetzgebungsverfahren deutlich erkennbaren Willen des Gesetzgebers abgelehnt hat. Mit der Interpretation von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG als Verbotsnorm seien die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung nicht überschritten. Es handele sich nämlich um eine an Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie Gesetzeshistorie orientierte Auslegung der Vorschrift.
Keine Vorlage an den EuGH
Auch bestünden keine unionsrechtlichen Bedenken. Es sei nicht zweifelhaft, dass die Zeitarbeitsrichtlinie 2008/104 der nationalen Interpretation des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG als Untersagung der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung nicht entgegenstehe. Sollte diese nach der Richtlinie verboten sein, müsse die Norm bereits wegen des Gebots der unionsrechtskonformen Auslegung so verstanden werden. Sollte die Zeitarbeitsrichtlinie die nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung nicht untersagen, könne ihr immerhin klar und zweifelsfrei entnommen werden, dass die Richtlinie bei der Zeitarbeit von einer im Wesentlichen durch das Merkmal „vorübergehender“ Überlassungen geprägten Arbeitsform ausgehe. Einer Vorlage an den EuGH bedürfe es entsprechend nicht. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des gegenwärtig beim EuGH anhängigen Verfahrens in Sachen „Työntekijäliitto“ (Rs. C-533/13; vgl. hierzu den Blogbeitrag von Zimmermann vom 24.11.2014). Zwar sei der Zeitarbeitsrichtlinie nicht zu entnehmen, wie „vorübergehend“ im unionsrechtlichen Sinn zu definieren sei, dennoch werde in ihr zumindest ohne jeden Zweifel ausgedrückt, dass Zeitarbeit durch dieses Kriterium geprägt werde.
Zusammenfassung – senatsübergreifende Einigkeit beim BAG
Letztlich hat sich der 1. Senat des BAG der Rechtsprechung des 7. Senats, dass der nicht mehr vorübergehende Einsatz von Zeitarbeitnehmern ein Zustimmungsverweigerungsrecht zugunsten des im Entleiherbetrieb gewählten Betriebsrates begründet, uneingeschränkt angeschlossen. Vor dem Hintergrund, dass das LAG Nürnberg dem 7. Senat in zwei gut begründeten und gleichsam mutigen Entscheidungen (vom 29.10.2013 – 7 TaBV 15/13; vom 09.05.2014 – 3 TaBV 29/13) ausdrücklich die Gefolgschaft verweigert hat, ist dies ein eindeutiges „Statement“.
Folgen für die Praxis
Damit steht zumindest für die Praxis fest, dass nach Auffassung der Erfurter Richter an der Qualifizierung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG als Verbotsgesetz – auch aus europarechtlicher Sicht – nicht zu rütteln ist. Ein von dem Entleiher nach einem Widerspruch des Betriebsrates eingeleitetes Zustimmungsersetzungsverfahren mit der Begründung, dass diese Interpretation der Vorschrift nicht richtig sei, ist damit wenig erfolgsversprechend geworden. Dies dürfte zukünftig auch im Zuständigkeitsbereich des LAG Nürnberg gelten, wobei das Gericht freilich nicht an die Vorgaben des BAG gebunden ist („richterliche Unabhängigkeit“), jedoch ist nach dem bestätigendem Beschluss aus Erfurt davon auszugehen, dass sich nunmehr Nürnberg fügen wird. Das Kundenunternehmen kann selbstverständlich nach einem Widerspruch des Betriebsrates durch eine vorläufige personelle Maßnahme (§ 100 BetrVG) den geplanten Einsatz des Zeitarbeitnehmers durchsetzen, allerdings ist dies mit gewissen prozessualen Mühen und entsprechenden Kosten verbunden.
Da auch der 1. Senat offenlassen konnte, wie der Begriff „vorübergehend“ im Einzelnen zu konkretisieren ist, kann sich der Kunde im Rahmen eines gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens darauf berufen, dass die Grenzen des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht überschritten sind. Nach der Gesetzesbegründung soll der Begriff ‚vorübergehend‘ nämlich als flexible Zeitkomponente verstanden werden; auf eine genau bestimmte Höchstüberlassungsfristen wurde bewusst verzichtet (BT-Drucks. 17/4804, S. 8). Das BAG hat in den erwähnten Entscheidungen lediglich festgestellt, dass die ohne jegliche zeitliche Begrenzung vorgenommene Arbeitnehmerüberlassung, bei der ein Zeitarbeitnehmer dauerhaft anstelle eines Stammmitarbeiters eingesetzt werden soll, nicht (mehr) vorübergehend sein soll. Ist dies nicht der Fall verbleiben dem Kunden zumindest hinreichende Argumentationsmöglichkeiten, warum unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände noch ein vorübergehender Einsatz vorliegt und folglich ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrates ausscheidet.