Die regulatorischen Anforderungen an die Zusammensetzung und die Arbeit von Aufsichtsräten haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Erst vor Kurzem sind etwa die gesetzlichen Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in Kraft getreten („Frauenquote“). Ebenfalls auf dieser Linie liegen einige der jüngsten wesentlichen Änderungen und erweiterten Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), der in seiner Fassung vom 05.05.2015 am 12.06.2015 im Bundesanzeiger bekannt gemacht wurde. Börsennotierte und andere Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang müssen Abweichungen von den Empfehlungen im Rahmen ihrer Entsprechenserklärung gem. § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG offenlegen und begründen („Comply or Explain“). Die Änderungen sollen im Folgenden näher vorgestellt werden:
Unternehmensspezifisch festzulegende Regelgrenze für die Zugehörigkeitsdauer zum Aufsichtsrat
Der Aufsichtsrat soll zukünftig unternehmensspezifisch eine zeitliche Regelgrenze für die Aufsichtsratszugehörigkeit seiner Mitglieder festlegen. Hinter der Regelung steht der Gedanke, dass eine regelmäßige Erneuerung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats positive Impulse für die Aufsichtsratsarbeit liefern kann. Die Empfehlung einer unternehmensspezifischen Festlegung soll dabei insbesondere Unternehmen mit Familien- und anderen Ankeraktionären die notwendige Flexibilität ermöglichen. Daneben soll sich der Aufsichtsrat bewusst auch unter dem Aspekt der Zugehörigkeitsdauer von Aufsichtsratsmitgliedern mit der besten Zusammensetzung des Gremiums im Sinne des Unternehmens auseinandersetzen.
Verbesserte Transparenz über den Zeitaufwand für die qualifizierte Mandatswahrnehmung
Ebenfalls neu ist die Empfehlung des Kodex, wonach sich der Aufsichtsrat vor der Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder bei dem jeweiligen Kandidaten vergewissern soll, dass er den für die Wahrnehmung des Amts erforderlichen Zeitaufwand aufbringen kann. Hintergrund der Neuerung ist, dass die zeitlichen Anforderungen an Aufsichtsräte in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind. Die neue Regelung soll insbesondere für die Kandidaten mehr Transparenz und für den Aufsichtsrat mehr Klarheit darüber schaffen, was von dem jeweiligen Kandidaten erwartet werden kann.
Stärkung der Präsenz- und Diskussionskultur im Aufsichtsrat
Auch die dritte materielle Änderung des Kodex zielt auf eine Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit ab, indem sie die Bedeutung einer intensiven Präsenz- und Diskussionskultur unterstreicht. So soll im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung zukünftig vermerkt werden, wenn eines seiner Mitglieder in einem Geschäftsjahr nur an der Hälfte oder weniger der Sitzungen des Aufsichtsrats und der Ausschüsse, denen er angehört, teilgenommen hat. Als Teilnahme gilt zwar auch eine solche über Telefon- oder Videokonferenz, allerdings sollte dies wiederum nicht den Regelfall darstellen.
Bewertung der Kodexänderungen mit Blick auf die Praxis
Die Arbeit von Aufsichtsräten ist heute in Anbetracht immer komplexerer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen anspruchsvoller denn je. Zugleich steigt die Bedeutung eines professionellen Aufsichtsgremiums in der Wirtschaftspraxis ständig. Die Kodexkommission tut daher gut daran, diesen Aspekt im Zuge einer moderaten Änderung des Kodex weiter zu betonen. Wenn Kritiker dem Kodex entgegenhalten, er führe zu einer Überregulierung, so überzeugt dies zumindest im Hinblick auf die jüngst vorgenommenen Änderungen nicht. Vielmehr hat die Kommission eher eine Art Agenda-Setting betrieben, indem sie bewusst flexiblen Regelungen mit individuellem Gestaltungsspielraum den Vorzug eingeräumt hat.
Gewählter Regelungsansatz auf das gesamte Kodex-Verständnis zu übertragen
Unternehmen sollten ohnehin nicht davor zurückschrecken, vom Kodex abzuweichen. Sie sollten vielmehr im Sinne einer maßgeschneiderten Corporate Governance sorgfältig prüfen, welche der Kodex-Regelungen für das Unternehmen konkret sinnvoll, und welche weniger passgenau sind. Erst recht gilt dies für Gesellschaften, deren Führungs- und Kontrollstrukturen nicht denen des klassischen Typus der börsennotierten (Publikums-) AG entsprechen, an den sich der DCGK primär richtet. Dies kann etwa der Fall sein, weil Gesellschaften maßgeblich beteiligte Ankeraktionäre haben oder sie in der Rechtsform der monistischen SE oder KGaA strukturellen Besonderheiten im Hinblick auf ihre Corporate Governance unterliegen. Es sind gerade die Elemente der Freiwilligkeit und der Flexibilität, die den DCGK als Regulierungsinstrument der Wirtschaft auszeichnen. Legt man dieses Verständnis zugrunde, kann von Überregulierung nicht die Rede sein.
Vgl. zum Thema Corporate Governance auch weiterführend:
– v. Werder, EU-Empfehlung für das Corporate Governance Reporting: Zehn Thesen zur Kodexpublizität, DB 2015 S. 847
– v. Werder, Corporate Governance Report 2015: Kodexakzeptanz und Kodexanwendung, DB 2015 S. 1357
– Seibt, Corporate Reputation Management: Rechtsrahmen für Geschäftsleiterhandeln, DB 2015 S. 171