Änderungskündigung zur Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld aufgrund des höheren Stundenlohnes nach dem Mindestlohngesetz unwirksam

RA Thomas Bader, maat Rechtsanwälte, München

RA Thomas Bader, maat Rechtsanwälte, München

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden können und eine Änderungskündigung zur Streichung dieser Leistungen wegen des höheren Stundenlohns nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) unwirksam ist (u. a. Urteil vom 11.08.2015 – AZ. 19 Sa 819/15). Eine Leistungszulage hielt das Gericht dagegen für anrechenbar.

Hintergrund und Sachverhalt

Seit dem 01.01.2015 gilt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro je Zeitstunde. Gewährt der Arbeitgeber neben einer Grundvergütung von weniger als 8,50 Euro zusätzliche Leistungen wie Zulagen, Zuschläge oder Sonderzahlungen, stellt sich die Frage, ob die zusätzlichen Leistungen auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden können. Ist dies der Fall, hat der Arbeitgeber den Mindestlohnanspruch erfüllt. Ist die Anrechnung nicht möglich, muss der Arbeitgeber den Grundlohn auf 8,50 Euro je Zeitstunde aufstocken. Die zusätzlichen Leistungen muss der Arbeitgeber gleichwohl weiter gewähren. In den vom LAG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fällen hatte der Arbeitnehmer zusätzlich zum Grundlohn in Höhe von 6,13 Euro Anspruch auf Urlaubsgeld, eine „Sonderzahlung am Jahresende“ und eine Leistungszulage. Um die Frage der Erfüllung des Mindestlohnanspruchs zu klären, griff der Arbeitgeber zum Mittel der Änderungskündigung: Er kündigte das Arbeitsverhältnis aus dringenden betrieblichen Gründen und bot den Mitarbeitern gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu einem Stundenlohn in Höhe von 8,50 Euro bei gleichzeitigem Wegfall von Urlaubsgeld, Jahressonderzahlung und Leistungszulage an. Mit diesem Vorgehen hatte er keinen Erfolg.

Anrechenbarkeit von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Leistungszulage als Vorfrage

Das Landesarbeitsgericht setzte sich – soweit aus der bislang nur vorliegenden Pressemitteilung ersichtlich – zunächst mit der Anrechenbarkeit von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Leistungszulage auf den Mindestlohnanspruch auseinander. Die Anrechenbarkeit zusätzlich zur Grundvergütung gewährter Vergütungsbestandteile auf den gesetzlichen Mindestlohn gehört zu den umstrittensten Fragen des Mindestlohngesetzes. Die wohl überwiegende Meinung hält es für richtig, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts zu entsenderechtlichen Mindestlöhnen auf das Mindestlohngesetz zu übertragen – wonach es maßgeblich darauf ankommt, ob die zusätzlichen Zahlungen „funktional gleichwertig“ sind und den Zweck haben, die „Normalleistung“ zu vergüten. Eine beachtliche Mindermeinung weist allerdings darauf hin, dass dies beim gesetzlichen Mindestlohn im Unterschied zu den Mindestlöhnen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz keinen Tarifvertrag gibt, der die „die Normalleistung“ definiert. Im Hinblick auf die Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld spielt darüber hinaus die vom MiLoG angeordnete Fälligkeit des Mindestlohnanspruchs spätestens zum letzten Bankarbeitstag des Folgemonats eine Rolle. Die Pressemitteilung lässt vermuten, dass das LAG in der Frage der Anrechenbarkeit im Wesentlichen dem Arbeitsgericht folgte, das wie folgt entschieden hatte: Das Urlaubsgeld sei nicht anrechenbar, denn es werde nicht für die Normalleistung des Mitarbeiters gezahlt, sondern diene der Kompensation von Zusatzkosten, die dem Mitarbeiter während der Erholung im Urlaub entstehen. Mit der Jahressonderzahlung werde ebenfalls nicht die normale Arbeitsleistung vergütet, sie diene vielmehr dem Zweck, die Betriebstreue zu belohnen und zu fördern. Die Pressemitteilung deutet allerdings an, dass das LAG hier je nach Vertragsgestaltung im Einzelfall auch eine Anrechenbarkeit für möglich hält, namentlich wenn für die Jahressonderzahlung eine Kürzungsmöglichkeit im Fall von Krankheitszeiten besteht. Die Leistungszulage hielt das Gericht dagegen für anrechenbar, wohl da im Arbeitsvertrag zwar von quantitativen und qualitativen Vorgaben die Rede war, die Leistungszulage tatsächlich aber unabhängig davon für jede gearbeitete Stunde gezahlt wurde.

Konsequenz: Auch Änderungskündigung unwirksam

Mit der fehlenden Anrechenbarkeit von Urlaubsgeld und Jahressonderzahlung war auch das Schicksal der Änderungskündigung mit dem Ziel ihrer Streichung vorgezeichnet. Da diese Leistungen zusätzlich zu der auf den gesetzlichen Mindestlohn angehobenen Grundvergütung zu gewähren waren, unterlag ihre Streichung den strengen Voraussetzungen über die Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung. Diese waren nicht gegeben, sodass die Änderungskündigungen unwirksam waren.

Genaues Hinschauen kann sich lohnen

Die vom LAG Berlin-Brandenburg gefundenen Ergebnisse bewegen sich im Rahmen der Diskussion in der arbeitsrechtlichen Literatur und sind daher nicht überraschend. Sie deuten aber an, dass es bei der Frage der Anrechenbarkeit von zusätzlichen Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohn auch auf die Vertragsgestaltung und die praktische Durchführung im Einzelfall ankommen dürfte, sodass sich lohnen könnte, insoweit genau hinzuschauen. Klarheit über die Frage der Anrechenbarkeit wird wohl demnächst das Bundesarbeitsgericht schaffen.

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